Verdacht auf Lungenembolie – Abklärung und Behandlung anhand eines Fallbeispiels

Aufgrund der hohen Sterblichkeit innerhalb der ersten 2h ist eine schnelle Diagnose und Risikoeinschätzung bei einer akuten Lungenembolie besonders wichtig.<sup>1,2</sup> Im dargestellten Fall wird eine 77-jährige Patientin nach erfolgter Risikostratifizierung behandelt. Hätten Sie in diesem Fall die gleiche Therapieentscheidung getroffen? Hier gelangen Sie zum Fall aus der Praxis.

1. Anamnese

Die 77-jährige Patientin - Größe: 160 cm, Gewicht: 83 kg - stellt sich am 30.05.2017 mit pleuritischem Thoraxschmerz und Dyspnoe vor. Sie gibt an, vor zwei Tagen von einer Flugreise aus Südamerika zurückgekehrt zu sein.

2. Untersuchungsbefunde

Bei der vorgestellten Patientin besteht der Verdacht auf eine Lungenembolie (LE) – ohne Schock oder Hypotension (definiert als systolischer Blutdruck < 90 mmHg oder Abfall des systolischen Blutdrucks um ≥ 40 mmHg, mit Dauer > 15 Min*).1 Die Patientin gilt damit als hämodynamisch stabil.1 Weiterhin wurden folgende Vitalwerte festgestellt: Herzfrequenz 120/min und ein systolischer Blutdruck von 97 mmHg, sowie eine Sauerstoffsättigung von 91 %. Im Labor zeigte sich eine altersgerechte Kreatinin-Clearance (CrCl) mit 40 ml/min. Der Verdacht auf einen Myokardinfarkt konnte nicht bestätigt werden (Troponin I: 0,2 ng/ml).

3. Therapeutisches Vorgehen und Zwischenbefunde

Anhand des vereinfachten Wells Scores, der für die Einschätzung der klinischen Wahrscheinlichkeit einer LE herangezogen wird, scheint eine Lungenembolie wahrscheinlich. Die daraufhin durchgeführte computertomographische Pulmonalisangiographie (CTPA) bestätigt eine Lungenembolie mit einem Füllungsdefekt in der proximalen Pulmonalarterie.

Im Echokardiogramm zeigt sich eine rechtsventrikuläre Dysfunktion. Gemäß Leitlinien wird für die weitere Risikostratifizierung der sPESI-Score (simplified pulmonal embolism severity index) herangezogen. Er soll eine an den klinischen und hämodynamischen Schweregrad der LE angepasste Therapie ermöglichen. Aus der erhöhten Herzfrequenz und dem erniedrigten Blutdruck ergibt sich ein Score von 2 Punkten. Ab einem Score ≥ 1 besteht ein 30-Tagesmortalitätsrisiko von 11 %.2 Das klinische Risiko wird aufgrund des positiven sPESI und der rechtsventrikulären Dysfunktion bei negativem kardialen biochemischen Marker (Troponin I) als intermediär niedrig eingeschätzt.

Empfehlungen der Leitlinien

Die aktuelle Leitlinie der European Society of Cardiology (ESC) empfiehlt bei intermediär niedrigem Risiko eine sofortige Antikoagulation analog zu Patienten mit alleiniger Beinvenenthrombose einzuleiten.1 Eine Reperfusionstherapie ist nur angezeigt, wenn im Verlauf Zeichen einer hämodynamischen Dekompensation auftreten.

Die Behandlung einer venösen Thromboembolie (VTE: tiefe Venenthrombose (TVT) und/oder Lungenembolie (LE)) erfolgte über Jahre standardmäßig initial mit parenteralen Antikoagulanzien überlappend gefolgt von Vitamin-K-Antagonisten (VKA), z. B. Phenprocoumon. Soll parenteral antikoaguliert werden, so empfehlen die Leitlinien niedermolekulares Heparin (NMH) oder Fondaparinux gegenüber unfraktioniertem Heparin.1

Als Alternative zur parenteralen Antikoagulation sind mit Apixaban und Rivaroxaban auch zwei Nicht-Vitamin-K-abhängige Antikoagulanzien (NOACs) zugelassen.3, 4 Sie kommen bei VTE für die initiale Behandlung und die Weiterbehandlung in Frage. Edoxaban und Dabigatran können erst zur Weiterbehandlung nach initialer Anwendung eines parenteralen Antikoagulans eingesetzt werden.5, 6

In der Studie AMPLIFY7 bestand bei Therapie mit dem NOAC Apixaban (Eliquis®) ein vergleichbares Risiko für ein VTE-Rezidiv oder einen VTE-assoziierten Todesfall wie bei Behandlung mit Enoxaparin/Warfarin.7 Apixaban war also genauso wirksam wie die Standardtherapie, bei einem deutlich niedrigeren Risiko für schwere Blutungen.8 Im Gegensatz zu VKA kann Apixaban auch zur Akutbehandlung und ohne initiale Heparin- bzw. Fondaparinux-Behandlung eingesetzt werden. 

Aktuelle internationale Leitlinien1, 9 empfehlen NOACs bevorzugt vor VKA einzusetzen, wenn eine orale Antikoagulation zur Behandlung einer TVT oder LE gestartet wird.1 Die deutschen AWMF-S2k-Leitlinien werden aktuell überarbeitet, es bleibt also abzuwarten, ob sie sich dieser Einschätzung anschließen.9

Therapeutisches Vorgehen

Die hämodynamisch stabile Patientin mit intermediär niedrigem klinischen Risiko wurde in der Akutphase und zur Weiterbehandlung mit Apixaban therapiert: in der Akutphase über sieben Tage mit der empfohlenen Dosis von 10 mg 2 x täglich, gefolgt von 5 mg 2 x täglich über bislang 6 Monate.3 Unter der durchgeführten Therapie zeigte sich die Patientin schnell symptomfrei; Herzfrequenz, Blutdruck und Laborparameter normalisierten sich. Die Patientin ist bislang rezidivfrei (Stand November 2017).

Weiterführende Links:

Studiensteckbrief AMPLIFY
Studiensteckbrief AMPLIFY-EXT

* Wenn nicht durch neu einsetzende Arrhythmien, Hypovolämie oder Sepsis verursacht.
VTE: Venöse Thromboembolie (tiefe Venenthrombose (TVT) und/oder Lungenembolie (LE))

Referenzen

  1. Konstantinides SV et al. Eur Heart J. 2020; 41(4):543-603. doi:10.1093/eurheartj/ehz405
  2. Jiménez D et al. Arch Intern Med. 2010; 170(15):1383–1389. doi:10.1001/archinternmed.2010.199
  3. Fachinformationen Eliquis® 5 mg / 2,5 mg, aktueller Stand.
  4. Fachinformationen Xarelto® 20 mg / 15 mg, aktueller Stand.
  5. Fachinformationen Lixiana® 60 mg, aktueller Stand.
  6. Fachinformationen Pradaxa® 150 mg / 110 mg, aktueller Stand.
  7. Agnelli G et al. N Engl J Med. 2013; 369(9):799–808. doi:10.1056/NEJMoa1302507
  8. Kearon C et al. Chest. 2016; 149(2):315–352. doi:10.1016/j.chest.2015.11.026
  9. AWMF (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e.V. https://www.awmf.org/leitlinien/detail/anmeldung/1/ll/065-002.html. Zugegriffen: 12. Februar 2021