Leitlinien praktisch angewandt: „Der Koch mit Adipositas und Vorhofflimmern“

Ein Koch mit Adipositas bekam vor kurzem die Diagnose Vorhofflimmern (VHF). Zur Schlaganfallprophylaxe wird er mit einem Nicht-Vitamin-K-abhängigen oralen Antikoagulans (NOAC) behandelt. Muss die Dosis des NOACs aufgrund seines stark erhöhten Körpergewichts angepasst werden?

Anhand eines fiktiven Patientenfalls möchten wir in dieser Artikelreihe auf eine besondere Situation in der klinischen Praxis eingehen und die Herangehensweise und mögliche leitliniengerechte Lösungen aufzeigen. Halten Sie in den nächsten Monaten Ausschau nach neuen Fällen!

Heute: „Der Koch mit Adipositas und Vorhofflimmern“

Anamnese

Ein 63-jähriger Patient wurde vor kurzem mit VHF diagnostiziert. Er arbeitet als Koch und war schon immer übergewichtig. Nach der Diagnose hat er allerdings mit dem Rauchen aufgehört und weiter zugenommen. Mit einem Gewicht von 123 kg und einem Body-Mass-Index (BMI) von 38 kg/m2 ist er nun adipös. Zur Schlaganfallprophylaxe wird er mit einem NOAC behandelt.

Sollte die Dosierung des NOACs wegen dem Gewicht angepasst werden? Was sagen die Leitlinien zum Einsatz von NOACs bei Adipositas?

Das sagen aktuelle Leitlinien zu NOACs bei VHF und Adipositas

Hinsichtlich der optimalen NOAC-Dosierung bei Menschen mit sehr hohem BMI sind die Daten limitiert. In der aktuellen Leitlinie der European Society of Cardiology findet sich daher keine Aussage zum Einsatz von NOACs bei Adipositas und VHF, allerdings wird eine Gewichtsreduktion als Baustein des Risikofaktormanagements empfohlen.1

Laut der European Heart Rhythm Association scheinen NOACs allerdings aufgrund ihrer pharmakokinetischen Eigenschaften und der verfügbaren Daten bis zu einem BMI von 40 kg/m2 sicher und wirksam zu sein – sofern keine anderen klinisch relevanten Faktoren vorliegen.2

Ab einem BMI ≥ 40 kg/m2 ist die Datenlage begrenzt. Daher sollten NOACs ab einem BMI von ≥ 40 kg/m2 oder einem Gewicht von ≥ 120 kg mit Vorsicht eingesetzt werden2, siehe Abb. 1. Ab einem BMI ≥ 50kg/m2 kann die Messung der NOAC-Plasmaspiegel oder der Einsatz von Vitamin-K-Antagonisten (VKA) angemessen sein.2 Hierbei wird die Messung der Talspiegel empfohlen, da diese besser reproduzierbar ist und eine bessere Korrelation mit den klinischen Ergebnissen gewährleistet.2 Für den Fall, dass die Plasmaspiegel nicht im erwarteten Bereich liegen (siehe Tab. 1), wird keine Dosisanpassung der NOACs empfohlen. Der Wechsel zu VKA kann in Betracht gezogen werden.2 Außerdem wird eine Gewichtsabnahme als wesentliche Maßnahme in der Behandlung von Patient:innen mit VHF und Adipositas empfohlen.2

Abb. 1: NOACs bei unter- und übergewichtigen Patient:innen. NOAC: Nicht-Vitamin-K-abhängiges orales Antikoagulans, VKA: Vitamin-K-Antagonist, BMI: Body Mass Index, adaptiert nach Steffel et al. 20212

Apixaban3 Dabigatran4–6 Edoxaban7,8 Rivaroxaban9–11
Spitzenspiegel* 69-321 52-383 101-288 178-343
Talspiegel* 34-230 28-215 12-43 12-137

Tab. 1: Erwartete Plasmalevel unter NOAC-Therapie bei VHF, adaptiert nach Steffel et al. 20212

Was sagen die Daten zu Apixaban bei Adipositas?

Auch in der Apixaban Fachinformation12 wird keine Dosisanpassung bei hohem Körpergewicht empfohlen. Im Vergleich zur Apixaban-Exposition bei Personen mit einem Körpergewicht von 65 bis 85 kg war ein Körpergewicht von > 120 kg mit einer um etwa 30 % geringeren Exposition verbunden.12

Eine umfassende Analyse der verfügbaren Daten zu Apixaban bei übergewichtigen Gesunden und bei übergewichtigen Patient:innen mit VHF oder venösen Thromboembolien kam zu dem Schluss, dass Übergewicht keinen wesentlichen Einfluss auf die Wirksamkeit, Effektivität oder Sicherheit von Apixaban bei diesen Patient:innen zu haben scheint.13

Zudem war der Behandlungseffekt von Apixaban vs. Warfarin in einer Post hoc-Analyse der ARISTOTLE-Studie14 bei Patient:innen mit nicht-valvulärem Vorhofflimmern (VHF¨) in Bezug auf die Rate an Schlaganfällen/systemischen Embolien, Tod jeglicher Ursache oder Myokardinfarkt konsistent über das gesamte Gewichtsspektrum (p für Interaktion > 0,05; Gewichtskategorien ≤ 60, > 60-120, > 120 kg).14

Daten aus der zulassungsrelevanten Phase-III-Studie ARISTOTLE15:

In der ARISTOTLE-Studie, die 18.201 Patient:innen mit VHF¨ im Alter von im Median 70 Jahren einschloss, zeigte sich unter Apixaban im Vergleich zu Warfarin:

Fazit

NOACs scheinen bis zu einem BMI von 40 kg/m2 sicher und wirksam zu sein, wenn neben dem Übergewicht keine anderen klinisch relevanten Faktoren vorliegen.2 Dennoch sollte der Einsatz von Apixaban bei Patient:innen mit (starkem) Übergewicht mit Vorsicht erfolgen. In aktuellen Leitlinien wird bei Adipositas und VHF keine NOAC-Dosiserhöhung empfohlen,1, 2 stattdessen kann eine Messung der Plasmaspiegel oder die Umstellung auf VKA in Betracht gezogen werden.2 In jedem Fall sind Maßnahmen zur Gewichtsreduktion anzuraten.1, 2

* 5-95 % Perzentile (ng/ml) für Faktor-Xa-Inhibitoren und 10-90 % Perzentile (ng/ml) für Dabigatran.

Abkürzungen

BMI: Body Mass Index
NOAC: Nicht-Vitamin-K-abhängiges orales Antikoagulans
VHF: Vorhofflimmern
VHF¨: nicht-valvuläres Vorhofflimmern
VKA: Vitamin-K-Antagonist

Referenzen

  1. Hindricks G und Potpara T et al. 2020 ESC Guidelines for the diagnosis and management of atrial fibrillation developed in collaboration with the European Association of Cardio-Thoracic Surgery (EACTS). Eur Heart J 2021; 42(5):373–498.
  2. Steffel J et al. 2021 European Heart Rhythm Association Practical Guide on the Use of Non-Vitamin K Antagonist Oral Anticoagulants in Patients with Atrial Fibrillation. EP Europace 2021; 42:373.
  3. Frost C et al. Safety, pharmacokinetics and pharmacodynamics of multiple oral doses of apixaban, a factor Xa inhibitor, in healthy subjects. British Journal of Clinical Pharmacology 2013; 76(5):776–86.
  4. Reilly PA et al. The effect of dabigatran plasma concentrations and patient characteristics on the frequency of ischemic stroke and major bleeding in atrial fibrillation patients: the RE-LY Trial (Randomized Evaluation of Long-Term Anticoagulation Therapy). J Am Coll Cardiol 2014; 63(4):321–8.
  5. Ezekowitz MD et al. Dabigatran with or without concomitant aspirin compared with warfarin alone in patients with nonvalvular atrial fibrillation (PETRO Study). Am J Cardiol 2007; 100(9):1419–26.
  6. van Ryn J et al. Dabigatran etexilate--a novel, reversible, oral direct thrombin inhibitor: interpretation of coagulation assays and reversal of anticoagulant activity. Thromb Haemost 2010; 103(6):1116–27.
  7. Ruff CT et al. Association between edoxaban dose, concentration, anti-Factor Xa activity, and outcomes: an analysis of data from the randomised, double-blind ENGAGE AF-TIMI 48 trial. The Lancet 2015; 385(9984):2288–95.
  8. Steffel J et al. Randomized, Double-Blind Comparison of Half-Dose Versus Full-Dose Edoxaban in 14,014 Patients With Atrial Fibrillation. J Am Coll Cardiol 2021; 77(9):1197–207.
  9. Mueck W et al. Clinical pharmacokinetic and pharmacodynamic profile of rivaroxaban. Clin Pharmacokinet 2014; 53(1):1–16.
  10. Kubitza D et al. Safety, pharmacodynamics, and pharmacokinetics of single doses of BAY 59-7939, an oral, direct factor Xa inhibitor. Clin Pharmacol Ther 2005; 78(4):412–21.
  11. Girgis IG et al. Population pharmacokinetics and pharmacodynamics of rivaroxaban in patients with non-valvular atrial fibrillation: results from ROCKET AF. J Clin Pharmacol 2014; 54(8):917–27.
  12. Fachinformationen Eliquis® 5 mg / 2,5 mg, aktueller Stand.
  13. Jamieson MJ et al. Apixaban Use in Obese Patients: A Review of the Pharmacokinetic, Interventional, and Observational Study Data. Am J Cardiovasc Drugs 2022.
  14. Hohnloser SH et al. Efficacy and Safety of Apixaban Versus Warfarin in Patients With Atrial Fibrillation and Extremes in Body Weight. Circulation 2019; 139(20):2292–300.
  15. Granger CB et al. Apixaban versus warfarin in patients with atrial fibrillation. N Engl J Med 2011; 365(11):981–92.