Leitlinien praktisch angewandt: „Die junge Sportlerin mit Pille“

Eine junge sportliche Frau, die seit einem halben Jahr die Pille nimmt, kommt mit einer Thrombose aus ihrem Urlaub zurück. Wie lang sollte die Antikoagulation fortgeführt werden und sollte die orale Kontrazeption abgesetzt werden?

Wir haben für diese Artikelreihe von Ihren Kolleg:innen einige Fallbeispiele gesammelt. Sie zeigen die Herangehensweise und mögliche leitliniengerechte Lösungen in alltäglichen und nicht so alltäglichen Situationen auf. Halten Sie in den nächsten Monaten Ausschau nach neuen Fällen!

Heute: „Die junge Sportlerin mit Pille“

Anamnese

Eine 31-jährige Patientin kommt nach einer langen Autofahrt mit einer Beinvenenthrombose aus ihrem Urlaub in Slowenien zurück. Sie ist eine Freundin des Outdoorsports und hat den Urlaub zum Canyoning genutzt. Seit 6 Monaten nimmt sie ein hormonelles Kontrazeptivum.

In diesem Fall stellt sich neben der Frage nach der geeigneten Antikoagulation und deren Dauer gleich noch eine Frage: Sollte die Pille abgesetzt werden?

Was tun mit der Kontrazeption?

Zur hormonellen Kontrazeption ist Folgendes zu bedenken: wenn die Pille unter Antikoagulation abgesetzt wird, wäre eine verstärkte Abbruchblutung zu erwarten. Daher sollte ein sofortiges Absetzen vermieden werden.1 Aktuell gibt es zudem keine Evidenz, dass eine hormonelle Kontrazeption das VTE-Rezidivrisiko unter fortgesetzter Antikoagulation erhöht.1

Die aktuelle S3-Leitlinie zur hormonellen Empfängnisverhütung der AWMF1 empfiehlt, die Kontrazeption während der Antikoagulation fortzuführen. Handelt es sich um ein östrogenhaltiges Präparat, so sollte dieses spätestens 6 Wochen vor Absetzen der Antikoagulation auf eine östrogenfreie Pille umgestellt werden.1

Unter Antikoagulation wird bei gleichzeitiger Einnahme der Pille zum einen keine verstärkte Abbruchblutung provoziert und zum anderen eine sichere Empfängnisverhütung gewährleistet.1 Eine Schwangerschaft sollte unter Antikoagulation effektiv verhindert werden.1 Die einzige Option zur Antikoagulation im Fall einer Schwangerschaft wären Heparine.2

Einfacher Einstieg in die Antikoagulation

Wie kann die Patientin nun behandelt werden? Die Leitlinien empfehlen zur initialen Antikoagulation Nicht-Vitamin-K-abhängige orale Antikoagulanzien (NOACs) vor Vitamin-K-Antagonisten (VKA), wenn keine Besonderheiten vorliegen, die gegen NOACs sprechen.2–4 Für die aktive Patientin kann dabei relevant sein, dass bei Apixaban oder Rivaroxaban keine Einleitung mit Heparin notwendig ist.5, 6 Für Apixaban ist die initiale Dosierung für die ersten 7 Tage 10 mg 2 x tgl., gefolgt von 5 mg 2 x tgl.5

Antikoagulation – wie lange fortführen?

Im Fall der jungen Sportlerin ist die lange Autofahrt als transienter Risikofaktor zu werten, der mit einem intermediären Risiko für ein VTE-Rezidiv einhergeht.4 Außerdem sind östrogenhaltige Kombipillen mit einem intermediären4 oder – wenn sie nicht weiter eingenommen werden – einem niedrigen Rezidivrisiko2 verbunden. Das Rezidivrisiko der Patientin ist daher als niedrig bis intermediär einzustufen.2, 4 Eine Antikoagulation von 3-6 Monaten kann als angemessen angesehen werden (siehe auch Abb. 1).2, 4

Sollten allerdings weitere Faktoren vorliegen, die das VTE-Rezidivrisiko erhöhen, wie beispielsweise aktives Rauchen, Adipositas und/oder eine milde Thrombophilie, wie eine heterozygotes Faktor-V-Leiden oder eine heterozygote Prothrombin G20210A Mutation, kann eine verlängerte VTE-Rezidivprophylaxe in Betracht gezogen werden.2

Abb. 1: Entscheidungshilfe zur Dauer der Antikoagulation nach Risikogruppen. Modifiziert nach der Ampel des Aktionsbündnis Thrombose.7 *z. B. Lupus-Antikoagulans, Antithrombin-Defizienz, Antiphospholipidsyndrom.

Wenn über eine mögliche Verlängerung der Antikoagulation entschieden wird, sollten das VTE-Rezidivrisiko, das Blutungsrisiko und die Präferenz des:der Patient:in einbezogen werden.2 Inzwischen stehen auch orale Antikoagulanzien, wie z. B. Apixaban, zur Verfügung, die nach abgeschlossener 6-monatiger Behandlung für die verlängerte Antikoagulation in einer reduzierten Dosierung (bei Apixaban 2,5 mg 2 x tgl.) eingesetzt werden. In dieser Dosierung konnte Apixaban im Vergleich zu Placebo das VTE-Rezidivrisiko reduzieren; gleichzeitig lag die Rate für schwere Blutungen auf Placebo-Niveau.8

Apixaban – Daten aus den Zulassungsstudien

Zur Behandlung von VTE wurde Apixaban auf der Grundlage der Phase-III-Studie AMPLIFY9 zugelassen. Lesen Sie hier mehr über die Ergebnisse der Studie.

In der Phase-III-Studie AMPLIFY-EXT8 zur verlängerten VTE-Rezidivprophylaxe demonstrierte Apixaban vs. Placebo eine überlegene Wirksamkeit bei vergleichbarem Risiko für schwere Blutungen. 2.482 Patient:innen, die zuvor wegen VTE mit einem NOAC oder VKA über 6-12 Monate antikoaguliert worden waren, erhielten über weitere 12 Monate eine Rezidivprophylaxe mit Apixaban.8 Im Vergleich zu Placebo zeigten sich unter Apixaban (2,5 mg 2 × tgl.):

Definition nach ISTH: Klinisch manifeste Blutungen, begleitet von mindestens einem dieser Kriterien: Hämoglobinabfall ≥ 2 g/dl, Transfusion von ≥ 2 Erythrozytenkonzentraten, Blutungen mit kritischer Lokalisation oder tödliche Blutungen.

Referenzen

  1. AWMF (Arbeitsgemeinschaft der Wissenschaftlichen Medizinischen Fachgesellschaften e. V.) S3-Leitlinie "Hormonelle Empfängnisverhütung". Registernummer 015/015. Stand: September 2020. Version 1.2.
  2. Kakkos SK et al. Editor's Choice - European Society for Vascular Surgery (ESVS) 2021 Clinical Practice Guidelines on the Management of Venous Thrombosis. Eur J Vasc Endovasc Surg 2021; 61(1):9–82.
  3. Stevens SM et al. Antithrombotic Therapy for VTE Disease: Second Update of the CHEST Guideline and Expert Panel Report - Executive Summary. Chest 2021; 160(6):2247–59.
  4. Konstantinides SV et al. 2019 ESC Guidelines for the diagnosis and management of acute pulmonary embolism developed in collaboration with the European Respiratory Society (ERS). Eur Heart J 2020; 41(4):543-603.
  5. Fachinformationen Eliquis® 5 mg / 2,5 mg, aktueller Stand.
  6. Fachinformationen Xarelto® 20 mg / 15 mg, aktueller Stand.
  7. Aktionsbündnis Thrombose der Deutschen Gesellschaft für Angiologie - Gesellschaft für Gefäßmedizin e.V. Wie lange antikoagulieren nach einer Thrombose? Verfügbar unter: https://www.risiko-thrombose.de/files/downloads/Infomaterial%20Aerzte/Handzettel_Ampel.pdf.
  8. Agnelli G et al. Apixaban for extended treatment of venous thromboembolism. N Engl J Med 2013; 368(8):699–708.
  9. Agnelli G et al. Oral apixaban for the treatment of acute venous thromboembolism. N Engl J Med 2013; 369(9):799–808.