Leitlinien praktisch angewandt: Perioperatives Management mit Apixaban bei geplanter Koloskopie mit Polypektomie
Ein 55-jähriger VHF<sup>♦︎</sup>-Patient steht im Rahmen des Darmkrebs-Früherkennungsprogramms vor einer Koloskopie mit möglicher Polypektomie. Seit vier Jahren erhält er Apixaban zur Schlaganfallprophylaxe. Jetzt stellt sich die Frage: Muss pausiert werden – und wenn ja, wie lange?
Anhand eines fiktiven Patientenfalls möchten wir in dieser Artikelreihe auf eine besondere Situation in der klinischen Praxis eingehen und die Herangehensweise und mögliche leitliniengerechte Lösungen aufzeigen. Halten Sie in den nächsten Monaten Ausschau nach neuen Fällen!
Heute: „Koloskopie mit Polypektomie bei einem VHF♦︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎-Patienten unter Apixaban“
Anamnese
Bei einem 55-jährigen Patienten mit VHF♦︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎ ist im Rahmen des Darmkrebs-Früherkennungsprogramms eine Koloskopie geplant. Etwaige Darmpolypen sollen dabei direkt entfernt werden (Polypektomie). Aufgrund von diagnostiziertem VHF♦︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎ wird der Rentner seit 4 Jahren mit Apixaban (ELIQUIS®) in der Standarddosierung* von 5 mg 2 x täglich oral antikoaguliert.
Welche Besonderheiten gilt es zu beachten?
Die Fortführung einer oralen Antikoagulation mit einem Nicht-Vitamin K-abhängigen oralen Antikoagulans (NOAC) rund um eine Operation ist stets ein Balanceakt: Einerseits besteht ein erhöhtes Blutungsrisiko, andererseits steigt das Risiko für thrombotische Ereignisse wenn das NOAC perioperativ ausgesetzt wird.1 Um beide Risiken bestmöglich zu steuern, wurden unterschiedliche Strategien entwickelt – von einer durchgehenden Antikoagulation bis hin zu einer pausierten Therapie mit oder ohne Heparin-Überbrückung (Bridging).2
Doch welche Strategie ist im konkreten Fall eines VHF♦︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎-Patienten unter Apixaban-Therapie bei geplanter Koloskopie mit Polypektomie die geeignete?
Fachinformation & Leitlinien: Das sagen die Empfehlungen
Das perioperative Management von Patient:innen unter einem NOAC ist einfach: Aufgrund der kurzen Halbwertszeiten reicht in der Regel das Aussetzen der nächsten Dosis innerhalb von 24 h oder 48 h vor der OP.
Für Apixaban-Patient:innen gilt folgendes perioperatives Management:
Wie lange vor einer geplanten OP die Einnahme eines NOACs pausiert werden sollte, richtet sich u.a. nach dem während des Eingriffes zu erwartenden Blutungsrisiko.
Wir haben für Sie eine hilfreiche Klassifizierung elektiver Eingriffe nach Blutungsrisiko gemäß der EHRA (European Heart Rhythm Association)-Praxisleitlinie von 2021 zur Antikoagulationstherapie mit NOACs bei Patient:innen mit VHF♦︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎ tabellarisch aufbereitet (siehe Akkordeon, Tab. 1).3
Jetzt informieren und sicher entscheiden!
Eingriffe mit geringfügigem Risiko
(d. h. mit nur gelegentlichen Blutungen und geringer klinischer Auswirkung)
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Zahnextraktionen (1-3 Zähne), Parodontalchirurgie, Implantatpositionierung, Entfernung von Zahnstein/Zahnreinigung
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Eingriff bei Katarakt oder Glaukom
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Endoskopie ohne Biopsie oder Resektion
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Oberflächliche Eingriffe (z. B. Abszessinzisionen, kleine dermatologische Exzisionen, Hautbiopsien)
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Implantation von Herzschrittmachern oder implantierbaren Kardioverter/Defibrillatoren (ICDs; mit Ausnahme komplexer Verfahren)
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Elektrophysiologische Untersuchung oder Katheterablation (außer komplexe Verfahren)
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Routinemäßige elektive Eingriffe an den Herzkranzgefäßen/peripheren Arterien (mit Ausnahme komplexer Verfahren)
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Intramuskuläre Injektion (z. B. Impfung)
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Eingriffe mit niedrigem Risiko
(d. h. seltene Blutungen oder mit nicht-schweren klinischen Auswirkungen)
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Komplexe zahnärztliche Verfahren
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Endoskopie mit einfacher Biopsie
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Kleine orthopädische Operationen (Fuß, Hand, Arthroskopie, etc.)
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Eingriffe mit hohem Risiko
(d. h. häufige Blutungen und/oder mit erheblichen klinischen Auswirkungen)
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Herzchirurgie
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Periphere arterielle Revaskularisationseingriffe (z. B. Reparatur von Aortenaneurysmen, Gefäßbypass)
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Komplexe invasive kardiologische Eingriffe, einschließlich Elektrodenextraktion, epikardiale Ablation ventrikulärer Tachykardien, Perkutane koronare Interventionen (PCI) bei chronischen Totalverschlüssen etc.
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Neurochirurgie
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Spinal- oder Epiduralanästhesie; diagnostische Lumbalpunktion
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Komplexe Endoskopie (z. B. multiple/große Polypektomie, Endoskopische retrograde Cholangiopankreatikographie (ERCP) mit Inzision eines Schließmuskels etc.)
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Abdominalchirurgie (einschließlich Leberbiopsie)
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Thoraxchirurgie
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Größere urologische Eingriffe/Biopsien (einschließlich Niere)
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Extrakorporale Stoßwellenlithotripsie
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Große orthopädische Chirurgie
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Tab. 1: Klassifizierung von elektiven chirurgischen Eingriffen nach Blutungsrisiko3
Neben den operationsbedingten Risiken sollte auch die individuelle Blutungsgefahr zur Risikostratifizierung berücksichtigt werden. Beachtet werden sollten z. B. Nierenfunktion sowie Wechselwirkungen des NOAC mit anderen Medikamenten.4
Wie gehen wir in unserem Fall vor?
Gemäß aktueller EHRA-Praxisleitlinie handelt es sich bei der geplanten Koloskopie mit Polypektomie um eine komplexe Endoskopie und somit um einen Eingriff mit hohem Blutungsrisiko.3 Folglich sollte Apixaban laut Fachinformation mindestens 48 h vor Beginn des Eingriffes abgesetzt werden.4 Nach der Pause sollte die Apixaban-Therapie unter Berücksichtigung der klinischen Situation und einer ausreichenden Hämostase so bald wie möglich wieder aufgenommen werden.4
Praxistipps für das perioperative Management unter Apixaban:
✓ Patient:innenindividuell entscheiden
- Pausieren und Wiederaufnahme der NOAC-Therapie sollten stets patientenindividuell abgewogen werden – abhängig von VTE-Risiko, Blutungsrisiko und Eingriffsart.
✓ Ischämierisiko beachten
- Bei hohem Risiko (z. B. < 3 Monate nach Lungenembolie) möglichst keine Pause – Eingriff idealerweise verschieben.
- Ist eine Pause unvermeidbar, sollte sie so kurz wie möglich gehalten und interdisziplinär abgestimmt werden.
- Bridging nur in Hochrisikosituationen - etwa bei dringenden Eingriffen mit hohem Blutungsrisiko und kürzlich (≤ 3 Monate) aufgetretenem thromboembolischen Ereignis oder bei Ereignissen unter früherer NOAC-Pause, in Erwägung ziehen.3
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* Zur Prophylaxe von Schlaganfällen und systemischen Embolien bei erwachsenen VHF♦︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎-Patient:innen beträgt die Standarddosierung von Apixaban (ELIQUIS®) 5 mg 2x täglich. Bei VHF♦︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎-Patient:innen mit mindestens zwei der folgenden Kriterien: Alter ≥ 80 Jahre, Körpergewicht ≤ 60 kg oder Serumkreatinin ≥ 1,5 mg/dl (133 µmol/l) beträgt die empfohlene Dosis von Apixaban 2,5 mg 2 x täglich. Bei schwerer Niereninsuffizienz (Kreatinin-Clearance 15-29 ml/min) wird Apixaban 2,5 mg 2 x täglich empfohlen.
VHF♦︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎︎: nicht-valvuläres Vorhofflimmern
- Spyropoulos AC, Douketis JD. How I treat anticoagulated patients undergoing an elective procedure or surgery. Blood 2012; 120(15):2954–62.
- Weitz JI et al. Periprocedural management of new oral anticoagulants in patients undergoing atrial fibrillation ablation. Circulation 2014; 129(16):1688–94.
- Steffel J et al. 2021 European Heart Rhythm Association Practical Guide on the Use of Non-Vitamin K Antagonist Oral Anticoagulants in Patients with Atrial Fibrillation. Europace 2021; 23(10):1612–76.
- Fachinformationen ELIQUIS® 5 mg, 2,5 mg, aktueller Stand.