Im Hürdenlauf zur elektronischen Patientenakte

Seit zweieinhalb Jahren können gesetzlich Versicherte bei ihrer Krankenkasse die elektronische Patientenakte ePA beantragen – doch bislang hat dies nicht einmal jeder hundertste Versicherte getan.

Die elektronische Patientenakte (ePA) ist das Vernetzungsinstrument der modernen digitalen Medizin schlechthin. Im Idealfall haben alle autorisierten Akteure des Gesundheitswesens Zugriff auf die dort hinterlegten Daten – Arztpraxen, Kliniken, Therapeuten und Apotheken, aber auch die Kassen und nicht zuletzt der Patient oder die Patientin selbst. Es sei ihm daher eine Freude, betonte Moderator Spethmann einleitend, in der Talk-Runde Experten begrüßen zu können, die das Projekt aus verschiedenen Perspektiven beleuchteten.

Im ersten Impulsvortrag legte Prof. Dr. med. Harald Dormann, Chefarzt der zentralen Notaufnahme am Klinikum Fürth, die Sicht der Akutmedizin auf die ePA dar. Gerade in seinem Fachbereich liegt der Nutzen eigentlich auf der Hand. „In der Notaufnahme müssen zeitkritische Entscheidungen oft in einem Feld von Wissenslücken getroffen werden“, so Dormann. Eine gut funktionierende ePA könne hier rasch überlebenswichtige Informationen liefern und wertvolle Zeit sparen. Dafür müssten jedoch Lücken geschlossen werden – etwa beim Datenschutz, bei der Interoperabilität der IT-Systeme oder beim Einbinden der Apotheken, Stichwort: OTC-Medikamente. Oberste Maxime müsse dabei immer die Patientensicherheit sein. Diese sei nur gewährleistet, wenn die in der ePA hinterlegten Daten jederzeit vollständig und aktuell seien. Medikation und Laborbefunde müssten vorrangig abgebildet werden, ebenso der für akute Situationen wichtige Notfalldatensatz.

Dr. med. Sibylle Steiner, Mitglied im KBV-Vorstand, führte anschließend aus, welche Anforderungen die ePA aus vertragsärztlicher Sicht erfüllen muss. Sie startete mit einem Live-Voting, bei dem die knapp 1200 Zuschauer der Sendung aufgefordert waren, ihre Erfahrungen mit der ePA rückzumelden. Angesichts der geringen Verbreitung nicht überraschend, hatten rund 90 % der Kolleginnen und Kollegen noch nie Kontakt mit dem neuen Instrument, 4 % nur einmal, und lediglich 6 % mehrmals. Um die Akzeptanz zu verbessern und das Potenzial der ePA zu heben, müsste hauptsächlich die Praktikabilität verbessert werden, so Steiner. „Die Erwartung wäre, dass elektronische Anwendungen von Bürokratie entlasten.“ Bislang sei das Gegenteil der Fall. Forderungen der KBV zielen daher auf eine einfache Bedienung, eine funktionierende Technik und das Vermeiden von Parallelentwicklungen ohne automatischen Abgleich. Dabei müsse stets der Schutz der Patienten, ihrer Daten und der Arzt-Patienten-Beziehung gewährleistet bleiben.

Einblicke in die internen Abläufe bei der Umsetzung der ePA in der Klinik gab Dr. med. Peter Gocke, Chief Digital Officer an der Charité, der über den Aufbau der Telematikinfrastruktur in seinem Haus berichtete. Auch die Charité erlebe bislang nur eine sehr geringe Nachfrage. Trotz des festen Glaubens an die Vorteile der ePA sei man darüber nicht böse, betonte Gocke, weil man selbst noch mit einigen Kinderkrankheiten zu kämpfen habe. Diese zu „heilen“ binde momentan viel Arbeitskraft. Problematisch sei etwa die unzureichende Integration in KIS und PVS, mit mangelndem Virenschutz einerseits und komplizierter Datenübernahme andererseits. „Alles, was keine menschliche Entscheidung involviert, muss automatisiert ablaufen und nicht händisch“, so seine Forderung. Wichtig sei auch, die ePA von einer PDF-Sammlung hin zu strukturierten Daten weiterzuentwickeln, die elektronisch durchsucht werden könnten.

Als Schlussredner brachte Michael Hübner, der bei der BARMER Ersatzkasse den Bereich digitale Versorgung leitet, die Rolle der Kassen ins Spiel. Bislang sei die ePA auch unter BARMER-Versicherten nicht weit verbreitet – die Zahl von weniger als 1 % wurde bereits genannt. Man versuche aber, Hürden zu senken und aktiv auf die Versicherten zuzugehen. „Die BARMER sieht es als ihre Aufgabe an, die digitale Gesundheitskompetenz ihrer Versicherten zu fördern“, betonte Hübner. Dazu zähle es auch, sie in die Funktion und Handhabung elektronischer Anwendungen einzuführen, auch damit diese Aufgabe nicht an den Ärztinnen und Ärzten hängenbleibe. Solange die ePA nach dem Opt-in-Prinzip vergeben werde, müsse sie für die Versicherten erkennbare Vorteile bieten. „Die Patientinnen und Patienten werden die ePA nur dann akzeptieren, wenn sie für sie einen echten Mehrwert hat“, so Hübner. Dabei sei es wichtig, auch die ältere, mit digitalen Anwendungen weniger vertraute Generation mitzunehmen.

Trotz aller Hürden gab sich die Runde in der abschließenden Diskussion zuversichtlich, dass die ePA letztlich ihre Vorteile ausspielen kann: Dass sie den Informationsfluss verbessert, die digitale Einbeziehung der Patienten verstärkt und so letztlich zu einer besseren medizinischen Versorgung beiträgt. 

Hinweis

Über die Zukunft der ePA spricht PD Dr. Spethmann auch im Interview mit unserer Newsletter-Redaktion. Zu finden unter www.dgim.de/interview-mit-professor-spethmann.