Revolution oder Problemfall?

Als Revolution des Gesundheitswesens wurde sie angekündigt, und obwohl an ihrer Ausgestaltung noch gearbeitet wird, herrscht bereits jetzt ein buntes Gemenge aus Kritik, Zustimmung und Zweifel. Die Rede ist von der Krankenhausreform, die von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach angestoßen wurde.

Bereits die Zusammensetzung der Talk-Runde spiegelte die wichtigsten Themen wider, die der DGIM in der Diskussion um die Klinikreform am Herzen liegen. Zum einen betrift die Reform, wie Moderator Professor Dr. med. Dirk Müller-Wieland betonte, nicht nur den Kliniksektor, sondern hat auch Auswirkungen auf den hausärztlichen und ambulanten Bereich. Zum anderen gibt es besonders in der Inneren Medizin Spezialisierungen, denen die Reform quasi das Wasser abgraben könnte.Müller-Wieland freute sich daher besonders, neben Dr. med. Marcel Schorrlepp aus Mainz-Gonsenheim, dem Sprecher der DGIM-AG Hausärztliche Internistinnen und Internisten, auch zwei Kollegen aus den Fächern der Angiologie und Infektiologie – zwei „Sorgenkindern“ der Inneren Medizin in der Krankenhausreform – begrüßen zu können.

Gefahr ökonomischer Fehlanreize

Zunächst jedoch übergab er an Professor Dr. med. Jan-Christoph Galle, Lüdenscheid, der als President elect ab 2024 den Vorsitz der DGIM übernehmen wird und in seinem Vortrag die Eckpunkte der Reform und die Position der DGIM vorstellte. Dass eine Reform notwendig ist, ergibt sich bereits aus dem Personalmangel, einem steigendem Versorgungsbedarf, Problemen bei der Finanzierung und der zunehmenden Ambulantisierung. Nicht zuletzt wird seit Jahren eine Abkehr vom DRG-System gefordert, weil es ökonomische statt medizinische Anreize setzt. „Damit wird de facto die Therapiefreiheit eingeschränkt“, so der künftige DGIM-Präsident.
Die ersten Vorschläge der Kommission bewertete die DGIM daher sehr positiv, sahen sie doch nach der Maßgabe „Mehr Medizin – weniger Ökonomie“ auch die Vergütung von Vorhalteleistungen vor. Im derzeitigen Entwurf werden die Vorhaltevergütungen jedoch letztlich wieder über die DRGs an die Leistungsgruppen gekoppelt – damit ist nach Ansicht der DGIM die Gefahr ökonomischer Fehlanreize erneut gegeben. Ein echtes Dilemma sieht Galle zudem im Bund-Länder-Dualismus. Während der Bund für die Finanzierung der Krankenhäuser zuständig ist, liegt die bedarfsorientierte Krankenhaus-Planung bei den Ländern. „Man muss sich daher die Frage stellen, wie diese Systeme vereint werden können“, so Galle. Bei fortbestehen-dem Bund-Länder-Konfikt würden die notwendige Bündelung von fachärztlichen Angeboten und die Schließung von Standorten nicht geregelt, sondern unkontrolliert ablaufen. In einem Live-Voting zeigten sich auch die Zuschauer größtenteils skeptisch – nur 17 % äußerten die Erwartung, die Reform werde ein Erfolg und die Versorgungslage werde sich verbessern.

Angiologie und Infektiologie in Not

„Leistungsgruppen in Not“ – unter diesen Titel stellte Professor Wulf Ito aus Immenstadt im Allgäu, Präsident der Deutschen Gesellschaft für Angiologie, seinen Impulsvortrag. Darin beleuchtete er, was die aktuellen Reformentwürfe für die zahlreichen Querschnittsfächer innerhalb der Inneren Medizin bedeuten – insbesondere für die Angiologie, die trotz des hohen und steigenden angiologischen Behandlungsbedarfs derzeit nicht als eigenständige Leistungsgruppe gelistet ist. Gerade aus dem Konzept der Vorhaltevergütung, das eigentlich für Bedarfsorientierung stehen sollte, ergeben sich damit massive Probleme. „Ohne dass ein Fach als Leistungsgruppe erscheint, ist eine adäquate Vorhaltefnanzierung nicht möglich“, so Ito. Der hohe Anteil der Vorhaltevergütung von 60 % führe dazu, dass Mehrleistung zu Verlust führe, Krankenhausträger also fast zwingend zu weniger Leistung tendieren werden. Hierdurch werde ein Umbau gefördert, der zu einem Verlust der Angiologie als eigenständiger Fachrichtung führen werde.
Doch auch Querschnittsfächer, die bereits als Leistungsgruppen verankert sind, können durch die Reform in Not geraten, wie Professor Dr. Bernd Salzberger aus Regensburg, Past-Präsident der Deutschen Gesellschaft für Infektiologie, für sein Fachgebiet darlegte. Erst 2021 ist die Infektiologie als neuer internistischer Schwerpunkt eingeführt worden. „Dennoch sind wir nicht raus aus der Not“, so Salzberger. Denn die Infektiologie sei ein Fachbereich, der nicht gut charakterisiert werden könne. Nur 13 % der stationären Patientinnen und Patienten wiesen eine infektiologische Hauptdiagnose auf, zudem gebe es keine speziellen Untersuchungen oder Instrumente, die charakteristisch für die Infektiologie seien. Der wichtige Beitrag des Fachs sei daher schlicht nicht abbildbar: „Es gibt kein Infektioskop“, brachte es Salzberger auf den Punkt. Eine Lösung sieht der Experte darin, neue OPS-Codes zu schafen, die es leichter machen, Leistungsgruppen voneinander abzugrenzen.

Level-I-Krankenhäuser als Chance

Zu positiveren Tönen fand Dr. med. Marcel Schorrlepp, der sich mit der Allgemeinen Inneren Medizin und ihrer Verzahnung auf dem geplanten Versorgungslevel I befasste. Level-I-Krankenhäuser können sich aus bestehenden Krankenhäusern, aber auch aus ambulanten Modellen entwickeln, ihre Leitung kann ärztlich, aber auch pfegerisch sein, und sie sollen die wohnortnahe Gesundheitsversorgung sichern. „Sie bieten ein großes Spektrum an Diagnostik und Therapie und bündeln stationäre, ambulante, hausärztliche und pfegerische Leistungen unter einem Dach“, sagte Schorrlepp. Als sektorenübergreifende Versorger seien sie eine echte Domäne der Allgemeinen Inneren Medizin. Besonders für Patienten, die nicht mehr sehr selbstständig oder mobil sind, seien sie wichtige Anlaufstellen.
Auch eine bestimmte fachärztliche Versorgung kann in Level-I-Krankenhäusern stattfnden, es sollen zudem Notfallbetten und Kapazitäten für eine Kurzzeitpfege bestehen. „Ich als Niedergelassener wäre zum Beispiel dankbar, wenn ich einen Patienten mit schwerer Exsikkose wohnortnah einweisen könnte und dort versorgt und beobachtet wüsste“, so Schorrlepp. Ofen ist für ihn noch die Frage, wie der konkrete Bedarf ermittelt werden soll. Wenn die vorgenannten ökonomischen Zwänge eingehegt und die Trennschärfe der internistischen Leistungen verbessert werden könnten, sieht er in der Reform jedoch durchaus eine große Chance.
In der anschließenden Diskussion wurden auch Fragen der Zuschauer aufgegrifen, unter anderem zur geplanten Transparenz-ofensive. Auch diese stieß unter den Experten nicht auf uneingeschränkte Zustimmung. Zwar seien Qualitätserhebungen in jedem Fall notwendig, sagte etwa Professor Galle, allerdings habe man schon Probleme, sie überhaupt für Ärzte lesbar zu machen. Dies auch für Patienten zu erreichen, sei derzeit illusorisch. Auch befürchteten die Talk-Teilnehmer, dass das neue Krankenhausgesetz ein Personaleinsparungs- und Bettenreduktionsgesetz wird. Die Erwartung „Vorhaltekosten bedeuten Entökonomisierung“ sei deutlich zu kurz gesprungen, so Galle. Vielmehr werde es für die Träger attraktiv, Leistungen zu kürzen. Ein noch ungelöstes Dilemma sieht er darin, dass dem nicht einfach durch erhöhte Anforderungen für Leistungsgruppen entgegengewirkt werden kann. Denn zu hohe Anforderungen könnten viele Kliniken nicht mehr erfüllen.
Moderator Müller-Wieland schloss mit dem Versprechen, dass dies nicht die letzte Äußerung der DGIM zu den Reformplänen gewesen sei. Man werde nun abwarten, bis der Referentenentwurf auf dem Tisch liege. „Dann werden wir den Prozess weiterhin konstruktiv begleiten.“

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