Von allem etwas weniger, bitte!

Die DGIM-Initiative „Klug entscheiden“ richtet sich gegen Unter-und Überversorgung in der Medizin. Seit 2016 hat sie mehr als 170 evidenzbasierte Empfehlungen erarbeitet, die dazu beitragen sollen, verbreitete Fehler in der Praxis zu vermeiden.

Die Initiative „Klug entscheiden“ steckt nach sieben Jahren und über 170 Empfehlungen zwar nicht mehr in den Kinderschuhen, dennoch sind viele Ärztinnen und Ärzte damit bislang nicht oder nur wenig in Berührung gekommen, wie eine Umfrage zu Beginn des DGIMTalks zeigte. Auf der anderen Seite des Spektrums sagten 13 %, dass KEE ihr ärztliches Handeln bereits verändert hätten. „Die KEE sind keine Leitlinien, sondern sie werfen Schlaglichter auf konkrete Beispiele der Über- und Unterversorgung und sollen so die Qualität der Behandlung weiter verbessern“, erklärte Moderator Professor Dr. med. Sebastian Schellong aus Dresden, der im Vorstand der DGIM für die KEE Initiative zuständig ist, zum Einstieg.

Parenterale Ernährung am Lebensende ist nicht für alle sinnvoll

Das Lebensende zählt zu den Phasen, in denen es besonders häufig zu einer Übertherapie kommt. So betraf die erste KEE des Abends die Versorgung von Patientinnen und Patienten, die nur noch kurz zu leben haben. „Eine parenterale Ernährung ist bei fortgeschrittener inkurabler Tumorerkrankung mit Appetitverlust und eingeschränkter Lebenserwartung von unter drei Monaten in der Regel nicht indiziert“, sagte Professor Dr. med. Andreas Neubauer aus Marburg, der an der Erarbeitung der KEE beteiligt war. Allerdings gebe es eine Ausnahme bei Patientinnen und Patienten mit einer gastrointestinalen Passage- Störung. An konkreten Praxisbeispielen illustrierte Neubauer, wie wichtig die Einschätzung des Krankheitsstadiums, die Berücksichtigung verbleibender Therapieoptionen und damit die Abschätzung der voraussichtlichen Überlebenszeit sind. „Haben Patienten weniger als drei Monate zu leben, sollte man sie nicht mit invasiven Maßnahmen belästigen“, so Neubauer. Liege die Lebenserwartung bei drei bis sechs Monaten, stünden die Präferenzen des Patienten im Vordergrund, bei einer Lebenserwartung über sechs Monaten seien die Benefits deutlich.

Blutprodukte bitte sparsam einsetzen

Die zweite KEE, die Neubauer vorstellte, soll als Negativempfehlung der zu großzügigen Verabreichung von Erythrozytenkonzentraten entgegenwirken. „Bei Indikation zur Transfusion sollten nicht mehr Einheiten gegeben werden, als notwendig sind, um einen sicheren Bereich von ca. 7 g/dl zu erreichen“, so die Empfehlung. „Anämie ist ein Befund, keine Diagnose“, stellte Neubauer klar. Nicht immer sei ein Eisenmangel die Ursache. Ziel der Blutgabe sei es, eine anämiebedingte Hypoxie zu verhindern oder zu therapieren, nicht, einen Laborwert ohne klinische Symptome zu korrigieren. Bei stabilen Patientinnen und Patienten ohne schwere kardiale Begleiterkrankung sei eine Transfusion daher oft unnötig – Blutprodukte seien knapp, und Fremdbluttransfusionen könnten auch mit Nebenwirkungen einhergehen. Die KEE setzt an, wenn die Entscheidung zur Transfusion bereits gefallen ist: Dann sollte zunächst nur eine Einheit – statt der früher oft üblichen zwei Einheiten – gegeben werden, wenn es klinisch vertretbar erscheint.

Protonenpumpeninhibitoren abgestuft einsetzen

Die Vorstellung der KEE aus dem Bereich der Gastroenterologie übernahm mit Professor Dr. med. Axel Holstege aus Landshut ein weiterer DGIM-Experte mit langjähriger „Klug entscheiden“-Erfahrung. Er befasste sich mit dem Thema Ulcusprävention bei Einnahme nicht-selektiver nichtsteroidaler Antirheumatika (nsNSAR). Diese zählen zu den am häufigsten verordneten Medikamenten überhaupt. Doch zu oft werden sie mit Protonenpumpenhemmern (PPI) kombiniert, um Geschwüren im oberen Gastrointestinaltrakt vorzubeugen. Daher plädiert eine aktuelle KEE für eine abgestufte Anwendung. „Damit ließen sich sowohl Kosten, als auch Nebenwirkungen vermeiden“, so Holstege. Denn unter PPI kann es unter anderem zu bakteriellen Infektionen, einer Nephritis oder Osteoporose sowie nach Absetzen zu einem Säure-Rebound kommen. Laut der neuen KEE soll eine Therapie mit PPI bei Gabe von nsNSAR daher nicht regelhaft erfolgen. Wie Holstege sagte, sei sie jedoch dann indiziert, wenn Risikofaktoren wie eine Helicobacter-pylori-Infektion, bestimmte Begleiterkrankungen oder Entzündungen vorliegen, oder auch bei Einnahme bestimmter Medikamente oder Drogen.

Glutenfreie Diät nur in medizinisch begründeten Fällen

Viele Menschen ernähren sich auch ohne Zöliakie-Diagnose glutenfrei. Wie in dieser Situation gehandelt werden sollte, war Gegenstand der zweiten gastroenterologischen KEE, die Holstege vorstellte. Demnach soll eine Zöliakie „serologisch ausgeschlossen werden, wenn lediglich zur Besserung unspezifischer gastroenterologischer Symptome eine gluten- oder weizenfreie Diät eingehalten wird“. Eine solche Diät sei teuer, sozial einschränkend und berge die Gefahr eines Mangels an Mikronährstoffen. „Nur drei Gründe sprechen für eine glutenfreie Ernährung: eine Zöliakie, eine Weizenallergie oder eine Nicht-Zöliakie-Weizensensitivität.“ Sind diese Erkrankungen nicht nachgewiesen, ist eine glutenfreie Diät auch aus diagnostischen Gründen problematisch: Unter Glutenkarenz verschwinden die für eine Zöliakie typischen Antikörper und lassen sich erst nach einer erneuten dreimonatigen Glutenbelastung wieder nachweisen. Als erster Schritt sollte daher ein Test auf Risikogene veranlasst werden, die – wenn sie nicht vorliegen – eine Zöliakie mit hoher Sicherheit ausschließen.
Alle „Klug entscheiden“-Empfehlungen sind auf der Website der Initiative unter www.klug-entscheiden.de abrufbar. Den DGIMTalk „Klug entscheiden“ können Sie hier noch einmal ansehen: https://streamed-up.com/video/klug-entscheiden-hamato-onkologie-gastroenterologie