Wege zur personalisierten Medizin

„Wege zur personalisierten Medizin – Von einer patientenzentrierten Gesundheitsplattform zum ‚Digital Mindset‘ lautete der Titel des Frühjahrssymposiums 2019 der Korporativen Mitglieder der DGIM auf dem 125. Internistenkongress. Es fand unter Vorsitz von <b>Dr. Michael Meyer, Siemens Healthineers AG, Erlangen und Dr. Matthias Mahn, Pfizer Pharma GmbH, Berlin,</b> statt.

„Wege zur personalisierten Medizin – Von einer patientenzentrierten Gesundheitsplattform zum ‚Digital Mindset‘ lautete der Titel des Frühjahrssymposiums 2019 der Korporativen Mitglieder der DGIM auf dem 125. Internistenkongress. Es fand unter Vorsitz von Dr. Michael Meyer, Siemens Healthineers AG, Erlangen und Dr. Matthias Mahn, Pfizer Pharma GmbH, Berlin, statt.

In seinem Grußwort hob DGIM-Kongresspräsident Prof. Claus Vogelmeier die Chancen der Digitalisierung im Gesundheitswesen hervor. Am Beispiel Estland, das seit vielen Jahren eine Digital-Infrastruktur im Gesundheitswesen eingerichtet hat, zeigte er auf, wie Ärzte und Patienten auch hierzulande profitieren könnten. Eine transparente elektronische Patientenakte etwa ermögliche jederzeit den direkten Abruf von Patientendaten und könne so Leben retten. „Wir werden kolossal abgehängt, wenn wir noch jahrelang herumspielen. Wir müssen endlich vorankommen“, bekräftigte er.


Über aktuelle Entwicklungen und Trends in der Digitalisierung der Medizin informierten Experten auf einer Pressekonferenz der Korporativen Mitglieder der DGIM auf dem 125. Internistenkongress. V. l. n. r.: Dr. Michael Meyer, Siemens Healthineers AG, Marcel Weigand, Aktionsbündnis Patientensicherheit (APS), Dr. Adelheid Liebendörfer, Thieme Kommunikation, Prof. Dr. Dr. h. c. Ulrich R. Fölsch, DGIM, Prof. Dr. Christof von Kalle, Deutsches Krebsforschungszentrum (DKFZ sowie Sidra Medicine, Doha, Katar), und Dr. Matthias Mahn, Pfizer Pharma GmbH

Auch Dr. Michael Meyer warnte in seinem Beitrag davor, den Anschluss an die internationale Forschung zu verlieren. Bei steigender Anzahl und Komplexität von verfügbaren Daten – aus verschiedenen Quellen und über unterschiedliche Disziplinen hinweg – sei Künstliche Intelligenz (KI) der Schlüssel, um die Medizintechnik intelligenter, die Analyse von Bilddaten oder Laborwerten schneller und Untersuchungen präziser zu machen. Unterstützung für den gesamten klinischen Prozess böten etwa „digitale Zwillinge“: Mithilfe von Deep-Learning-Algorithmen könnten anatomisch zusammengehörende Strukturen wie das Herz ohne aufwendige, manuelle Bearbeitung automatisch erkannt und freigestellt und dann, beispielsweise zur Therapieplanung, mit Vergleichsdaten zehntausender anderer Patienten angereichert werden. Vernetzte Geräte hätten das Potenzial, zielgerichtete Präventionsstrategien und Therapien auf ein neues Effektivitätsniveau zu heben, führte er weiter aus. Die Chancen, Standards in der klinischen Versorgung neu zu definieren und die Effizienz im Gesundheitssektor zu erhöhen, wären enorm. Das digitale Know-how sei auch in Deutschland vorhanden, werde jedoch bislang nur eingeschränkt realisiert.

Für den Umbau des Gesundheitssystems zu einem lernenden System sprach sich auch Prof. Christof von Kalle, Translationale Onkologie am Deutschen Krebsforschungszentrum (DKFZ sowie Sidra Medicine, Doha, Katar), Heidelberg, aus. Am Beispiel der Prävention von Krebs – in absehbarer Zeit die Todesursache Nummer eins – stellte er seine „Vision Zero“ vor: Erklärtes Handlungsziel von Politik und Gesellschaft müssten null Krebstote sein. Vorbild für die Umsetzung ist die Verbesserung der Sicherheit im Straßenverkehr seit den 1970er Jahren durch die sogenannte „Vision Zero“. Mithilfe des entsprechenden Konzepts konnte seitdem in Europa die Todesrate um bis zu 90 % gesenkt werden, obwohl der Verkehr in der gleichen Zeit stark zugenommen hat. Bei dem Vorhaben wurden zunächst die wahren Kosten für Unfallopfer erhoben. Diese bildeten die Grundlage für ein umfangreiches Handlungskonzept mit aktiven und passiven Sicherheitsmaßnahmen zu jeder erdenklichen Einflussgröße auf ein Unfallgeschehen. „Wir brauchen auch bei Krebs eine gesellschaftliche Übereinkunft, die erkennt, welche immensen menschlichen und wirtschaftlichen Verluste uns diese Krankheit zufügt. Auf dieser Basis könnten wir an jeder Stellschraube der Krebsentstehung drehen und einen Masterplan zur Krebsvermeidung und -bekämpfung erarbeiten“, so der Forscher. Die Daten und Erfahrungen aus jeder Behandlung müssten für den nächsten Erkrankungsfall gleicher Art zur Verfügung stehen, nannte er einen Ansatzpunkt. Durch den Zugang zu Genom-Datenbanken etwa hätten die Patienten deutlich höhere Überlebenschancen. „Dafür brauchen wir sektorenübergreifende Vernetzung.“ In diesem Zusammenhang stellte von Kalle auch die patientenzentrierte Gesundheitsplattform „DataBox“ vor. Sie sammelt gesundheitsrelevante Daten wie etwa Laborbefunde oder Röntgenbilder, die beim Hausarzt, Spezialisten oder in der Klinik generiert werden. Bisher gibt es in Deutschland noch kein einheitliches System, das diese sehr persönlichen Informationen zusammenfasst. Stünden sie sowohl für die Behandlung als auch für die Forschung zur Verfügung, könnte damit ein Mehrwert für die Allgemeinheit geschaffen werden.


Sprecher der Korporativen Mitglieder der DGIM ist Dr. Paul Herrmann, Springer Medizin Verlag GmbH (Mitte). Seine Stellvertreter sind Dr. Michael Meyer, Siemens Healthineers AG (rechts im Bild), und Dr. Henning Kleine, Abbvie Deutschland GmbH & Co. KG (links) – auf der Mitgliederversammlung der Korporativen Mitglieder auf dem 125. Internistenkongress

In Vertretung von Dr. Christian Kaiser, Siemens Healthineers AG, berichtete Dr. Meyer über die Möglichkeiten des intersektoralen Informationsaustausches in der Onkologie. Bislang seien die Patientendaten meist in verschiedenen Systemen und Standards abgelegt – und dadurch nicht sektorenübergreifend verfügbar, etwa zum Abgleich verschiedener Therapieoptionen bei Krebs. In diesem Zusammenhang sprach sich Meyer für „Structured Data Aggregation und Data Access“ aus: Einzelne Infosysteme geben ihre Daten auf eine gemeinsame Oberfläche, die andere Beteiligte bearbeiten und nutzen können. Jedes der Subsysteme werde dabei laufend weiter optimiert. Dabei plädierte er dafür, international zu denken und entsprechend bewährte Lösungen zu nutzen. So könnten „Digital Ecosystem Clouds“ entstehen, mit der Endvision einer signifikant verbesserten „Patientenjourney“.

Martina Stamm-Fibich, Patientenbeauftragte der SPD Bundestagsfraktion, sagte in ihrem Beitrag: „Die politische Gestaltung der Digitalisierung ist auch im Gesundheitswesen eine der größten Herausforderungen. Der technische Fortschritt ist rasant, die Chancen für uns als Gesellschaft sind enorm.“ Durch digitale Angebote und eine bessere Vernetzung könne die Versorgung patientenorientiert, niedrigschwellig und interdisziplinär verbessert werden. Wann immer hochsensible persönliche Daten massenhaft zusammengeführt werden, sei aber auch große Vorsicht geboten. Man dürfe die Digitalisierung nicht allein dem Spiel der Märkte überlassen. Deshalb setze sie sich für verbindliche Rahmenbedingungen für die Digitalisierung im Gesundheitswesen ein. Sicherheit und Schutz der Daten von Patientinnen und Patienten müssten neben dem Solidargedanken der gesetzlichen Krankenversicherung an erster Stelle stehen.

Für eine digitale Strategie der Gesundheitspolitik sprach sich auch Marcel Weigand vom Aktionsbündnis Patientensicherheit e. V. (APS), Berlin, aus. Die Digitalisierung im Gesundheitswesen habe das Potenzial, wesentliche Verbesserungen für die Patientensicherheit zu erreichen. Digitale Anwendungen, wie KIgestützte Diagnostik oder elektronische Patientenakte (ePA) könnten die Versorgung besser und sicherer machen – sie dürften jedoch nicht als Plug-In-Technologie verstanden werden.

Zum Heben der Potenziale brauche es zudem einheitliche Rahmenvorgaben für Anwendungen und deren Datenstruktur. Erst so werde die anbieterübergreifende Verwendung und Auswertung von Daten möglich. Ein Umdenken hin zu einem „digital Mindset“ im Gesundheitswesen forderte abschließend Dr. Christian Müller, Bayer Vital GmbH, Leverkusen.

Nach Müller ist digitale Transformation kein Wechsel der Betriebssysteme, sondern ein Wechsel, Dinge zu denken, eine Einstellung beziehungsweise Haltung gegenüber den Möglichkeiten und Gefahren, die mit der Digitalisierung verbunden sind. Er beleuchtete in seinem Vortrag, welche Haltung in der Ärzteschaft und im deutschen Gesundheitssystem benötigt wird, um eine digitale Transformation in die Tat umzusetzen.

Dieser grundsätzliche Ausblick rundete eine gelungene Veranstaltung ab, die auf eine hohe Resonanz stieß.

Korporative Mitglieder der DGIM
Die Korporativen Mitglieder der DGIM (KM) arbeiten als Partner der Fachgesellschaft an gemeinsamen Projekten der Wissenschafts- und Gesundheitspolitik. Sie unterstützen sich gegenseitig in wissenschaftlichen und gesundheitspolitischen Fragen. Vorrangiges Ziel der Zusammenarbeit ist die Förderung von Informationen über Innovationen in der Forschung und deren Umsetzung in Klinik und Praxis. In diesem Kontext richten die KM traditionell auch das sogenannte Frühjahrssymposium auf dem Internistenkongress aus. Hier greifen namhafte Experten eines der Hauptthemen des Kongresses auf und vertiefen relevante Aspekte. Beauftragter für die Korporativen Mitglieder der DGIM ist Prof. Dr. Georg Ertl, Generalsekretär der DGIM. Dr. Paul Herrmann, Springer Medizin Verlag GmbH fungiert als ihr Sprecher. Dr. Michael Meyer, Siemens Healthineers AG, und Dr. Henning Kleine, Abbvie Deutschland GmbH & Co. KG, sind seine Stellvertreter. Mehr über die Korporativen Mitglieder sowie eine Mitgliedschaft als Unternehmen bei der DGIM ist auf der Webseite der DGIM abrufbar unter: https://www.dgim.de/mitglieder/korporative-mitgliedschaft/