Kopfschmerzen vom Spannungstyp: Was in der Praxis wichtig ist

Betroffene, die sich mit Kopfschmerzen vorstellen, leiden meistens am Kopfschmerz vom Spannungstyp. Die Diagnose ist jedoch nicht trivial, dazu kommt häufig Übergebrauch durch Selbstmedikation - ein Wegweiser.

So häufig sie sind - Kopfschmerzen vom Spannungstyp gehören in der Haus- und Allgemeinarztpraxis zu den schwierigsten Diagnosen, sagt PD Dr. Stefanie Förderreuther von der LMU München und ehemalige Präsidentin der DMKG: Sie sind oft unspezifisch und sollen klassisch bilateral oder holozephal auftreten - doch kommen sie auch einseitig vor. Weil sie episodisch erscheinen, werden sie oft vernachlässigt, denn solange übliche Schmerzmittel funktionieren, gehen Betroffene nicht unbedingt zum Arzt. Auch erkennen manche Hausärzte nicht, wann Chronifizierung oder Medikamenten­übergebrauch drohen. Wegen der hohen Prävalenz und der Unauffälligkeit von Kopfschmerzen kommt auch die Differenzialdiagnose oft zu kurz, warnt PD Dr. Stefanie Förderreuther: Sie hofft auf mehr Aufmerksamkeit für Kopfschmerzen bei Allgemeinmedizinern und Hausärzten. Schließlich sind diese die erste Anlaufstelle, kennen Lebensumstände und Krankengeschichte am besten und können mit strukturiertem Vorgehen die beste Behandlung sichern.

Kopfschmerzen vom Spannungstyp: Ursachen unbekannt, Folgen erheblich

Dabei sind Ursachen und Pathomechanismus der Kopfschmerzen vom Spannungstyp bisher unklar. Ein neurobiologischer Hintergrund ist wahrscheinlich,3 dazu kommt ein genetischer Faktor: In Familien, bei denen andere Mitglieder betroffen sind, ist das Risiko um das Dreifache erhöht.4 In der Anamnese sollten Ärztinnen und Ärzte daher immer die Familiengeschichte zu Kopfschmerz und Migräne erfragen. Wichtig sind auch psychische Störungen wie Depressionen oder Panikattacken im Hintergrund: Bei Patienten, die an diesen Erkrankungen leiden, treten chronische Spannungskopfschmerzen deutlich öfter auf.5 Umgekehrt erhöhen häufige Kopfschmerzen das Risiko für Depressionen. Individuelle Auslöser für den Schmerz können Stress, Schlafstörungen, Überlastung oder Ängste sein.6

Spannungskopfschmerz oder Migräne ohne Aura?

Abzugrenzen ist der Spannungskopfschmerz vor allem von der Migräne ohne Aura. Das ist oft schwierig, denn nicht wenige Betroffene leiden an beiden Krankheitsbildern. Die internationale Kopfschmerzklassifikation der IHS, die ICHD-3, unterteilt bei den primären Kopfschmerzen vom Spannungstyp weitere Formen. Unter diesen kann auch der häufig auftretende episodische Kopfschmerz vom Spannungstyp eine medikamentöse Therapie erfordern.7 Tatsächlich, so die Deutsche Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG), werden sowohl Migräne als auch die verschiedenen Arten der Kopfschmerzen vom Spannungstyp oft nicht identifiziert und falsch behandelt. In der Praxis sollten Allgemeinmediziner und Hausärzte daher möglichst schnell und sicher erkennen, ob Kopfschmerzen vom Spannungstyp vorliegen.

Strukturiertes Anamnesegespräch und Differenzialdiagnose

Dazu dient ein strukturiertes Anamnesegespräch, es spart Zeit und ist nicht zuletzt wirtschaftlich. Zusammen mit der körperlichen Untersuchung zeigt es, ob eine Überweisung zu Neurologen oder Schmerztherapeuten sowie Bildgebung nötig sind. Dies ist etwa bei erstmals auftretenden, starken und anhaltenden Kopfschmerzen oder bei Auffälligkeiten wie Doppelbildern der Fall. Bei der Anamnese helfen Checklisten für Ärzte, mit nur drei Fragen kommt der Kieler Kopfschmerz-Kurztest aus, entwickelt von Prof. Dr. Hartmut Göbel:

Kurztest Spannungskopfschmerz der Schmerzklinik Kiel

  1. Können körperliche Aktivitäten wie Treppensteigen oder Laufen an frischer Luft die Kopfschmerzen unbeeinflusst lassen oder sogar verbessern?
  2. Ist während der Kopfschmerzen Ihr Appetit ungestört?
  3. Können Sie trotz der Kopfschmerzen Ihren üblichen Tätigkeiten (Arbeit, Schule, Freizeit) nachgehen?8

Damit lassen sich Migräne und Clusterkopfschmerz ausschließen, denn diese verstärken sich bei Aktivität und beeinträchtigen die Leistungsfähigkeit. Die ICHD-3 nennt weitere Unterschiede, zum Beispiel ist der Schmerz bei Migräne deutlich stärker und dauert länger. Körperlicher Befund und Anamnesegespräch reichen für die Diagnose bei Kopfschmerz in der Regel aus, Bildgebung ist meist unnötig.9 Wichtige Differenzialdiagnosen sind druckabhängige Kopfschmerzen, Sinus-Venenthrombose, Arteriitis temporalis und Somatisierung.10

Sekundäre Kopfschmerzen als Folge des Medikamentenübergebrauchs

Abzugrenzen ist der primäre Kopfschmerz vom Spannungstyp außerdem vom sekundären Kopfschmerz, der als Symptom anderer Erkrankungen auftritt. Eine Routinebildgebung schließt dabei nicht alle sekundären Kopfschmerzarten aus.11 Zu den sekundären Formen zählt auch der Kopfschmerz durch Medikamentenübergebrauch. Er kommt bei rund 1 Prozent aller Patienten vor und zieht hohe gesellschaftliche Kosten nach sich - sie liegen dreimal höher als bei der Behandlung einer episodischen Migräne.12 Bei allen Kopfschmerzpatienten ist daher nach Medikation und Selbstmedikation zu fragen, letztere ist die Regel: In Fallbeispielen kam es zu 40 Ibuprofen pro Monat und mehr, berichtet PD Dr. Stefanie Förderreuther.13 Patienten sollten in der Praxis intensiv über die Risiken der Selbstbehandlung aufgeklärt werden, neben dem Übergebrauchskopfschmerz sind das auch Nierenschäden.14 Sofern Übergebrauch vorliegt oder droht, erfolgt die Therapie nach dem Absetzen mit Amitriptylin oder anderen trizyklischen Antidepressiva, dasselbe gilt für chronische Kopfschmerzen vom Spannungstyp ohne Übergebrauch.15

Die S1-Leitlinie zum Kopfschmerz bei Übergebrauch von Schmerz- oder Migränemitteln (MOH) spezifiziert die Medikamente, die zu sekundärem Kopfschmerz führen können, darunter gängige Analgetika wie Ibuprofen und Paracetamol. Bei diagnostizierter Migräne mit medikamentöser Therapie können auch Triptane die Ursache sein. Für Hausarztpraxis und Allgemeinmedizin relevant sind die Risikofaktoren für MOH, die bei vielen ihrer Patientinnen und Patienten vorliegen: Darunter sind Übergewicht, Rauchen, ein niedriger sozialer Status oder Angststörungen. Frauen sind deutlich häufiger betroffen.16

Für den Alltag: Ausdauertraining, Entspannung, Kopfschmerztagebuch

Auf dem Weg zur Diagnose helfen Kopfschmerztagebücher oder Schmerzkalender, etwa der DMKG-Kopfschmerzkalender.17 Sie erleichtern auch Differenzialdiagnose und Behandlung, zudem stärken sie Selbstmanagement und Therapieadhärenz. Neben Papiervorlagen gibt es auch digitale Versionen: Die DMKG bietet eine Kopfschmerz-App an, die Patienten kostenlos herunterladen können.18 Andere Programme geben zusätzlich Rat für das Selbstmanagement oder zeigen Übungen zum Entspannen.

Steht die Diagnose „Kopfschmerz vom Spannungstyp“ fest, rücken individuelle Auslöser sowie das soziale und berufliche Umfeld in den Blick. In der nicht-medikamentösen Therapie generell angezeigt sind Entspannungstechniken und Ausdauertraining, ihre Wirksamkeit ist belegt. Auch Verhaltenstherapie kann nötig sein. So können in der Kombination von Medikamenten, Selbstregulation und psychologischen Elementen Kopfschmerz-Betroffene in der Hausarztpraxis umfassend versorgt werden.

Hier finden Sie weitere Informationen und Patientenbroschüren zum Thema.

Quellen

  1. Schmerzklinik Kiel https://schmerzklinik.de/migrane-app-fur-ios-und-android/
  2. Therapiemanual Migräne für die hausärztliche Praxis, Schmerzklinik Kiel
  3.  ICHD-3  - Internationale Klassifikation von Kopfschmerzerkrankungen 3, 2018, deutsche Fassung https://ichd-3.org/de/2-kopfschmerz-vom-spannungstyp/
  4. Westdeutsches Kopfschmerzzentrum Universitätsklinikum Essen https://www.uk-essen.de/wkz/patienteninfos/erkrankungen/spannungs-kopfschmerz/
  5.  Westdeutsches Kopfschmerzzentrum Universitätsklinikum Essen https://www.uk-essen.de/wkz/patienteninfos/erkrankungen/spannungs-kopfschmerz/
  6. https://migraineaction.ch/index.php/ausloeser-von-kopfschmerzen
  7. ICHD-3, s. oben https://ichd-3.org/de/2-kopfschmerz-vom-spannungstyp/
  8. S chmerzklinik Kiel, PDF als Download https://schmerzklinik.de/wp-content/uploads/2009/02/kopfschmerz-kurztest_nach_prof_gobel.pdf
  9.  ICHD-3 s. oben https://ichd-3.org/de/2-kopfschmerz-vom-spannungstyp/
  10.  PD Dr. Stefanie Förderreuther, DMKG – Video „Spannungskopfschmerzen – ungefährlich oder Wolf im Schafspelz?“
  11. PD Dr. Stefanie Förderreuther, DMKG – Video „Spannungskopfschmerzen – ungefährlich oder Wolf im Schafspelz?“
  12.  S1-Leitlinie zu Kopfschmerz bei Übergebrauch von Schmerz- oder Migränemitteln (Medication Overuse Headache = MOH) von DGN und DMKG 2022, https://dgn.org/leitlinie/113
  13.  PD Dr. Stefanie Förderreuther, DMKG – Video „Spannungskopfschmerzen – ungefährlich oder Wolf im Schafspelz?“
  14. Kochen, Michael, Allgemeinmedizin und Familienmedizin, Seite 3085. Auflage, Stuttgart 2017
  15.  S1-Leitlinie zu Kopfschmerz bei Übergebrauch von Schmerz- oder Migränemitteln (Medication Overuse Headache = MOH) von DGN und DMKG https://dgn.org/leitlinie/113, s.a. Pharmakotherapie häufiger Kopfschmerzsyndrome, Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft 2016, https://www.akdae.de/arzneimitteltherapie/arzneiverordnung-in-der-praxis/ausgaben-archiv/ausgaben-ab-2015/ausgabe/artikel/2016/2016-04/pharmakotherapie-haufiger-kopfschmerzsyndrome#:~:text=Bei%20chronischem%20Spannungskopfschmerz%20hat%20Amitriptylin,chronischen%20Kopfschmerz%20durch%20Medikamenten%C3%BCbergebrauch%20f%C3%BChren
  16.  S1-Leitlinie zu Kopfschmerz bei Übergebrauch von Schmerz- oder Migränemitteln (Medication Overuse Headache = MOH) von DGN und DMKG 2022, https://dgn.org/leitlinie/113
  17.  Webseite der DMKG, PDF zum Herunterladen https://dmkg.de/patienten/dmkg-kopfschmerzkalender
  18. DMKG unter https://www.dmkg.de/patienten/dmkg-app