Anamnese: Sekundären Kopfschmerz sicher erkennen

Die Anamnese ist das wichtigste Instrument, um Kopfschmerzen zu beurteilen. Sie gibt wichtige Hinweise für die Unterscheidung zwischen primären und sekundären Kopfschmerzen. Da sekundäre Kopfschmerzen ein Notfall sein können, ist es wichtig, die Anamnese sehr gezielt durchzuführen.

Primäre Kopfschmerzen – zum Beispiel Spannungskopfschmerzen und Migräne – machen in der Praxis rund 90 Prozent der Fälle aus. Allein durch Fragen im Patientengespräch – oft ohne weitere Untersuchungen – können Warnzeichen ausgeschlossen, die richtige Diagnose für die Kopfschmerzerkrankung gestellt und eine wirksame Akuttherapie oder Prophylaxe begonnen werden1.

Sekundäre Kopfschmerzen sind hingegen keine eigenständige Erkrankung, sondern Symptom einer anderen Erkrankung. Die Prävalenz sekundärer Kopfschmerzformen liegt bei circa acht Prozent2. Hierunter fallen Kopfschmerzen, die sehr schnell erkannt und behandelt werden müssen:

Schlagartig auftretende, stärkste Kopfschmerzen können zum Beispiel auf eine Subarachnoidalblutung hindeuten, oft verursacht durch ein geplatztes Aneurysma. Sie erfordern eine sofortige notfallmäßige Abklärung und Behandlung.

Starke Kopfschmerzen in Kombination mit Fieber über 39,5°C und Nackensteifigkeit können Anzeichen einer Meningitis sein. Auch hier sind eine umgehende Diagnose und Therapie entscheidend für die Prognose.

Eine präzise Anamnese und schnelles Handeln können in diesen und vielen weiteren Fällen lebensrettend sein und schwerwiegende neurologische Folgeschäden verhindern.

Diagnostisches Vorgehen bei Kopfschmerzen

1. Anamnesefragen

Die folgenden Fragen klären die Schmerzcharakteristika, die Auslöser und Modifikatoren sowie kontextuelle Faktoren ab:

SNOOP Checkliste

Um die Antworten auf die Anamnese-Fragen gut einordnen zu können, sind die SNOOP-Kriterien nützlich. Sie weisen auf potenziell gefährliche Ursachen von Kopfschmerzen hin und das im angelsächsischen Sprachraum etablierte Kürzel SNOOP macht sie merkfähig2:

Systemische Symptome, z.B. Fieber, Sepsis, Gerinnungsstörungen

Neurologische Symptome, z.B. fokal-neurologische Defizite, qualitative oder quantitative Bewusstseinsstörungen, Meningismus, Sehstörungen/Visusverlust

Onset (Beginn) Akuter Beginn mit Schmerzmaximum nach Sekunden (Vernichtungskopfschmerz), progredienter Kopfschmerz

Old (Alter) Erstmaliges Auftreten oder veränderte Symptomatik nach dem 50. Lebensjahr

Previous (Vorgeschichte) Maligne Grunderkrankungen, Immundefekte (z.B. HIV-Infektion), Schwangerschaft, Postnatalperiode, Thrombose-/Blutungsneigung, Medikamenten- bzw. Drogeneinnahme, Kopfschmerz ist in dieser Form nicht aus der Vorgeschichte bekannt

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Bei Kopfschmerzen in Verbindung mit Bewusstseins- oder Sprachstörungen, Lähmungserscheinungen, neurologischen Ausfallerscheinungen, Sehstörungen oder plötzlicher Erblindung ist besondere Aufmerksamkeit und eine weiterführende Diagnostik geboten.

2. Körperliche Untersuchung

Die körperliche Untersuchung schließt die Prüfung der Funktionen des Nervensystems, der Reflexe und der Koordination ein.

3. Bildgebung

Eine zügige Durchführung eines cCT oder cMRT ggf. mit Gefäßdarstellung erfolgt bei Verdacht auf sekundäre Kopfschmerzen3.

4. Laboruntersuchungen

Ein Blutbild ist angezeigt, Liquordiagnostik bei Infektions- oder ggf. bei Blutungsverdacht.

Sekundäre Kopfschmerzen: Wichtigste Differenzialdiagnosen

Bei plötzlichem Beginn der Kopfschmerzen und maximaler Intensität in wenigen Sekunden kann eine Subarachnoidalblutung (SAB) oder ein reversibles cerebrales Vasokonstriktionssyndrom (RCVS) vorliegen.

Bei Fieber und/oder Meningismus können eine Meningitis, eine Enzephalitis, ein Hirnabszess oder eine SAB zugrunde liegen.

Treten neurologische Symptome auf, sollte auf Hirnblutung, Sinusvenenthrombose, arterielle Dissektion, ischämischen Schlaganfall und Malignom untersucht werden.

Bei Kopfschmerz in Verbindung mit geröteten Augen, verhärtetem Augapfel und/oder weiter lichtstarrer Pupille besteht der Verdacht auf ein Glaukom.

Die Therapie sekundärer Kopfschmerzen richtet sich nach der zugrunde liegenden Erkrankung.

Diagnose der wichtigsten primären Kopfschmerzen

Eine Migräne kann vorliegen, wenn einseitige Kopfschmerzen von moderater bis schwerer Intensität bestehen, oft begleitet von Licht-, Lärm- und Geruchsempfindlichkeit. Migränekopfschmerz kann von einer vorausgehenden Aura begleitet sein und sich bei körperlicher Anstrengung verstärken. Die Dauer beträgt 4 bis 72 Stunden.

Der Kopfschmerz vom Spannungstyp zeichnet sich durch leichte bis mittlere Intensität und seine bilaterale, bandförmige Ausprägung aus. Anders als die Migräne hat er meist keine Begleitsymptome und nimmt bei körperlicher Aktivität nicht zu. Seine Dauer liegt zwischen 30 Minuten und 7 Tagen.

Clusterkopfschmerz ist eine eher seltene primäre Kopfschmerzerkrankung. Die schweren einseitigen Attacken dauern 15-180 Minuten und können mehrmals täglich auftreten. Sie sind oft begleitet von trigemino-autonomen Symptomen wie ipsilaterale Lakrimation, nasale Kongestion oder Rhinorrhoe. Clusterkopfschmerzen führen zu Unruhe oder Bewegungsdrang und treten oft tageszeitlich (nachts) oder saisonal auf.

Sonderfall: Kopfschmerz durch Medikamentenübergebrauch

Die Anamnese-Frage nach der Einnahme von Medikamenten dient auch dazu, den Kopfschmerz durch Medikamentenübergebrauch zu erkennen: Er kann bei Patienten mit vorbestehender Kopfschmerzerkrankung und 15 oder mehr Kopfschmerztagen im Monat vorliegen, wenn diese an mindestens 10 Tagen im Monat spezifische Kopfschmerzmedikamente (Triptane) oder an mindestens 15 Tagen im Monat Nichtopioid-Analgetika einnehmen.

Die DMKG-Initiative »Attacke! Gemeinsam gegen Kopfschmerzen« bietet einen knappen handlichen Praxisleitfaden zu primären und sekundären Kopfschmerzen an: Das Leporello für die Kitteltasche enthält wichtige Infos zu Diagnose und Therapie gemäß Leitlinie. Kostenfrei hier im Infocenter oder direkt bei der Initiative »Attacke«.

Der neue DMKG-Kopfschmerzfragebogen für medizinisches Fachpersonal erfasst Kopfschmerzen, Begleitsymptome, Medikation, Beeinträchtigungen sowie Begleiterkrankungen und bildet damit eine fundierte Grundlage für Anamnese und individuelle Therapieplanung. Der Fragebogen ist für die Dokumentation im Rahmen der Qualitätsvereinbarung Schmerztherapie geeignet. Zum Download.

Mehr praxisrelevantes Wissen finden Fachkreise auch online im Migräne- und Kopfschmerz-Guide unter www.mk-guide.org.

Literatur

  1. Thunstedt, C; Straube, A. Kopfschmerzdiagnostik in der hausärztlichen Praxis, MMW 1/2025
  2. Förderreuther, S. ; Kamm, K. Sekundäre Kopfschmerzsyndrome, Klinische Neurologie 2020 n. pag.
  3. Förderreuther, S. et al. Kopfschmerzen in der Notaufnahme, Neurologie up2date 2020; 3:12-20