Gesichtsschmerzen: Ist es immer der Trigeminus?
Patientinnen und Patienten mit Gesichtsschmerzen stellen in der Praxis und im klinischen Alltag eine große Herausforderung dar, da nicht immer der Trigeminusnerv die Ursache ist. Doch was verbirgt sich hinter dieser komplexen Symptomatik?
Aufgrund der Vielzahl von Differenzialdiagnosen, Krankheitsbildern und möglichen Symptomüberlappungen ist die korrekte Zuordnung von Gesichtsschmerzen im klinischen Alltag nicht einfach.
Versucht man, Kopf- und Gesichtsschmerz voneinander abzugrenzen, so ist der Kopfschmerz im Bereich des ersten Trigeminusastes und/oder im Bereich des Hinterhaupts lokalisiert. Der Gesichtsschmerz hingegen tritt im Bereich des zweiten und dritten Trigeminusastes auf. Als anatomische Grenze zwischen Kopf- und Gesichtsschmerz gilt die Orbitomeatallinie. Diese theoretische Trennung entspricht jedoch oft nicht dem klinischen Bild und birgt bei strikter Anwendung die Gefahr von Fehldiagnosen.
So leiden manche Migränepatientinnen und -patienten auch an Schmerzen im Bereich des zweiten und dritten Trigeminusastes, die oft als unklarer Gesichtsschmerz identifiziert werden.
Unter den Gesichtsschmerzen überwiegt die Trigeminusneuralgie
Es ist wichtig, die Trigeminusneuralgie von anderen Erkrankungen mit ähnlichen Symptomen zu unterscheiden, wie z.B. Clusterkopfschmerzen, die auch häufig mit Schmerzen im Gesicht einhergehen oder dem idiopathischen Gesichtsschmerz, früher auch als atypischer Gesichtsschmerz bezeichnet. Vereinzelt treten auch die postherpetische Neuralgie sowie z.B. Okzipitalisneuralgie auf. Bei der Klassifikation der Gesichtsschmerzen darf nicht nur die Lokalisation des Schmerzes berücksichtigt werden. Insbesondere die klinischen Merkmale müssen von den behandelnden Ärztinnen und Ärzten erfasst werden, um die Schmerzen korrekt einordnen zu können. Dafür ist die internationale Klassifikation von Kopfschmerzerkrankungen hilfreich (ICHD-3), in der beide Aspekte berücksichtigt werden.
Diese Symptome kennzeichnen eine Trigeminusneuralgie
Die Trigeminusneuralgie ist an ihrer prägnanten Symptomatik zu erkennen: Wenn kurze, elektrisierende, einschießende Schmerzattacken im Versorgungsgebiet des Trigeminusnervs im Vordergrund stehen und die Schmerzattacken durch z. B. Kauen oder Sprechen evozierbar sind, sollte die Diagnose einer Trigeminusneuralgie geprüft werden.2 Die Schmerzen sind streng auf das Versorgungsgebiet eines oder mehrerer Äste des N. trigeminus begrenzt und von hoher Intensität.
Die Attacken treten spontan auf oder werden durch vorangegangene harmlose Reize ausgelöst. Diese Triggerbarkeit ist typisch für die Trigeminusneuralgie. Auslöser können Berührungen, Essen, Sprechen oder heiße/kalte Getränke sein. Bei starker Schmerzintensität kann der Schmerz eine Verkrampfung der Gesichtsmuskulatur auf der betroffenen Seite auslösen und wird als Tic douloureux sichtbar. Zwischen den Attacken besteht bei den meisten Betroffenen Schmerzfreiheit, ein Teil der Patientinnen und Patienten beschreibt jedoch einen dumpfen Dauerschmerz.2
Wann die Diagnose kritisch betrachtet werden sollte
Die Trigeminusneuralgie tritt häufiger bei älteren Patientinnen und Patienten auf, 90 % der Betroffenen sind älter als 40 Jahre. Eine Diagnose in jungen Jahren sollte immer kritisch betrachtet werden. Besonders eine symptomatische Form der Trigeminusneuralgie sollte dann ausgeschlossen werden, wie sie z. B. im Rahmen einer Multiplen Sklerose auftreten kann.
Klassifikation der Trigeminusneuralgien
Typisch für die „klassische“ Trigeminusneuralgie ist ein neurovaskulärer Kontakt (meist Arteria cerebelli superior) mit nachfolgender Schädigung der Myelinscheide bis hin zur Atrophie des Nervs.3
Lässt sich im Rahmen der Diagnostik weder ein pathologischer Gefäß-Nerven-Kontakt noch eine morphologische Veränderung (d. h. Atrophie oder Verlagerung) der Nervenwurzel nachweisen und liegt auch keine Grunderkrankung vor, die eine Neuralgie auslösen kann, spricht man von einer idiopathischen Trigeminusneuralgie.2
Eine symptomatische Trigeminusneuralgie lässt sich auf eine Grunderkrankung des zentralen Nervensystems zurückführen und wird klinisch von einer schmerzhaften Trigeminusneuropathie abgegrenzt. Letztere ist gekennzeichnet durch einen Dauerschmerz mit brennendem, drückendem oder nadelstichartigem Charakter. Die Trigeminusneuropathie wird in der Regel durch ein Trauma oder eine Erkrankung, wie z. B. Herpes zoster, verursacht, die zu einer neuronalen Schädigung geführt hat.2
Trigeminusneuralgie: Das sind die ersten Schritte der Akutversorgung
Schmerzgeplagte Patientinnen und Patienten, die mit einer Trigeminusneuralgie vorstellig werden, müssen effektiv und schnell behandelt werden. Der Beginn einer oralen Medikation mit Carbamazepin ist nach wie vor der Goldstandard der Behandlung, alternativ kann (allerdings off label) auch Oxcarbazepin eingesetzt werden. Als zugelassenes Medikament steht zudem Phenytoin i. v. zur Verfügung, das auch oral fortgeführt werden kann. Es ist jedoch in der Langzeittherapie mit Nebenwirkungen und einem klinisch relevanten Interaktionsrisiko behaftet.2
Unterstützend kann intraorales Lidocain-Pumpspray genutzt werden. Das Pumpspray kann auf die Schleimhäute aufgetragen werden und ermöglicht kurzzeitig sprechen, essen und trinken ohne Schmerztriggerung.
Welche Prophylaxe im hausärztlichen Setting angewendet werden kann
Erste Wahl in der medikamentösen Prophylaxe der Trigeminusneuralgie ist nach wie vor die Monotherapie mit Carbamazepin. Alternativ kann Oxcarbazepin eingesetzt werden (weniger zentralnervöse Nebenwirkungen und Auswirkungen auf Leberwerte und Blutbild, häufigere Hyponatriämie), das jedoch derzeit für die Behandlung der Trigeminusneuralgie nicht zugelassen ist.
Bei guter Verträglichkeit, aber unzureichender Wirksamkeit von Carbamazepin oder Oxcarbazepin kann eine Kombinationstherapie mit Substanzen der zweiten Wahl sinnvoll sein. Dazu gehören z. B. Gabapentin/Pregabalin oder Baclofen. Bei guter Wirksamkeit, aber unzureichender Verträglichkeit von Carbamazepin/Oxcarbazepin kann eine Umstellung auf Lamotrigin erwogen werden. Auch die Kombination von Lamotrigin mit einer reduzierten Dosis von Carbamazepin/Oxcarbazepin wird erfolgreich eingesetzt. Botulinumtoxin gehört aufgrund der vorhandenen Evidenz und Verträglichkeit ebenfalls zu den Medikamenten der zweiten Wahl, kann aber aufgrund der Eigenkostenübernahmenur begrenzt eingesetzt werden. Als Medikament der dritten Wahl ist Lacosamid ebenfalls vielversprechend.
Die Redaktion der aktuellen Leitlinie weisen darauf hin, dass bei unzureichender Wirksamkeit der medikamentösen Therapie frühzeitig eine neurochirurgische Mitbeurteilung und Beratung erfolgen sollte.2
Differenzialdiagnose anhaltender idiopathischer Gesichtsschmerz
Idiopathische Gesichtsschmerzsyndrome (früher atypischer Gesichtsschmerz oder atypische Odontalgie) treten vergleichsweise selten auf und nur wenige Behandlerinnen und Behandler sind im Umgang mit dieser Erkrankung und deren Therapie vertraut. Die Folge: Betroffene erhalten häufig keine adäquate Behandlung.
Idiopathische Gesichtsschmerzen sind gekennzeichnet durch täglich auftretende, undulierende, tiefe Dauerschmerzen. Das unterscheidet sie klar von einer Trigeminusneuralgie. Objektivierbare neurologische Defizite sind nicht zu diagnostizieren. Oft setzen die Schmerzen ein, wenn zuvor ein kleiner, meist zahnärztlicher Eingriff im betroffenen Gebiet durchgeführt wurde. Der Schmerz ist anfangs lokal auf eine Gesichtshälfte begrenzt und breitet sich später aus. Klinisch neurologische Ausfälle wie Hypästhesie treten nicht auf. Apparative Untersuchungen sind unauffällig.
Sehr häufig haben die Betroffenen multiple Arztbesuche und operative oder zahnärztliche Eingriffe hinter sich gebracht. Festzuhalten bleibt, dass einem Großteil der Betroffenen Zähne aus schmerztherapeutischer Indikation extrahiert werden. Sehr häufig werden die Zähne nach der Extraktion als unauffällig beschrieben.4 Viele der Patientinnen und Patienten weisen zudem eine ausgeprägte psychische Komorbidität auf.4
Was tun bei idiopathischem Gesichtsschmerz?
Die erste Regel lautet: Keine weiteren chirurgischen Eingriffe bei gesundem Zahnstatus! Im Allgemeinen neigen Schmerzen nach invasiven Eingriffen zur Chronifizierung oder breiten sich auf einen anderen Trigeminusast oder sogar auf die Gegenseite aus! Aus diesem Grund empfiehlt die S1-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, auf zahnärztliche Eingriffe zu verzichten und nur absolut notwendige Eingriffe durchzuführen.4
Die pharmakologische Therapie ist im Wesentlichen die gleiche wie bei neuropathischen Schmerzen. Von besonderer Bedeutung sind Antidepressiva wie Amitriptylin, Duloxetin, Amitriptylinoxid, Doxepin und Antikonvulsiva wie Gabapentin oder Pregabalin. Ein wichtiger Baustein bei einer interdisziplinären multimodalen Schmerztherapie besteht in verhaltenstherapeutischen Maßnahmen.5 Eine fachübergreifende Abstimmung wird hier klar empfohlen.
Fazit für die Praxis
Aufgrund der Vielzahl von Krankheitsbildern und möglichen Symptomüberlappungen kann die korrekte Zuordnung von Gesichtsschmerzen im klinischen Alltag schwierig sein. Bei der Klassifikation der Schmerzen darf nicht nur die Lokalisation des Schmerzes berücksichtigt werden. Insbesondere die klinischen Merkmale müssen genau erfasst werden, um die Schmerzen korrekt einordnen zu können. Dafür ist die internationale Klassifikation von Kopfschmerzerkrankungen hilfreich. Die Trigeminusneuralgie ist aufgrund ihrer prägnanten Symptomatik eindeutig zu charakterisieren. Weitere Differenzialdiagnosen, wie u. a. der idiopathische Gesichtsschmerz, dürfen jedoch nicht außer Acht gelassen werden. Besonders wichtig ist es, Komorbiditäten zu beachten. Durch interdisziplinäre Einschätzung können Diagnosequalität und Versorgung von Patientinnen und Patienten mit Gesichtsschmerzen verbessert werden.
Mehr praxisrelevantes Wissen finden Fachkreise online im Migräne- und Kopfschmerz-Guide unter www.mk-guide.org, einem Projekt der DMKG-Initiative „Attacke! Gemeinsam gegen Kopfschmerzen“.
- The International Classification of Headache Disorders 3rd edition, ICHD-3. https://ichd-3.org/
- Goßrau G, Gierthmühlen J et al. Diagnose und Therapie der Trigeminusneuralgie, S1-Leitlinie, 2023, In: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. Online: www.dgn.org/leitlinien (abgerufen am 05.03.2024) https://dnvp9c1uo2095.cloudfront.net/cms-content/030016_LL_Trigeminusneuralgie_2023_1705399986284.pdf
- Antonini G, Di Pasquale A et al. Magnetic resonance imaging contribution for diagnosing symptomatic neurovascular contact in classical trigeminal neuralgia: a blinded case-control study and meta-analysis, Pain 2014 Aug;155(8):1464-1471. doi: 10.1016/j.pain.2014.04.020
- Sommer C, Pfaffenrath V et al. Anhaltender idiopathischer Gesichtsschmerz. Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie 2018. dgn.org/leitlinien/ll-53-2012-anhaltender-idiopathischer-gesichtsschmerz (abgerufen am 05.03.2024)
- Schlereth T. Diagnose und nicht interventionelle Therapie neuropathischer Schmerzen, S2k-Leitlinie. DGN – Deutsche Gesellschaft für Neurologie 2019. dgn.org/leitlinien/ll-030–114-diagnose-und-nicht-interventionelle-therapie-neuropathischer-schmerzen-2019 (abgerufen am 05.03.2024)