Kopfschmerzen im Schulalter: Trotz steigender Prävalenz gibt es wenig spezifische Therapieangebote
Kopfschmerzen sind nicht nur bei Erwachsenen eines der am weitesten verbreiteten gesundheitlichen Leiden. Auch für immer mehr Kinder und Jugendliche im Schulalter sind Kopfschmerzen eine schwere gesundheitliche Belastung. Dennoch erhalten die wenigsten eine ärztliche Diagnose und Therapie.
Kopfschmerzen können den Alltag der Heranwachsenden stark beeinträchtigen und zu Fehltagen in der Schule und sozialer Isolation führen. Unbehandelte Kopfschmerzen können chronisch werden und im Erwachsenenalter Erwerbsunfähigkeit und Frühverrentung nach sich ziehen. Krankenkassendaten von mehr als 56.000 deutschen Schülerinnen und Schülern im Alter von 15 Jahren zeigten für Jugendliche mit Migräne ein 2,1-fach höheres Risiko für stressbedingte, auch somatoforme Störungen und ein 1,6-fach höheres Risiko für Rückenschmerzen1. Eine Studie des Universitätsklinikums Carl Gustav Carus Dresden mit über 2.700 Schülerinnen und Schülern ergab, dass etwa 80 % der Kinder mit mindestens zwei monatlichen Kopfschmerztagen keine ärztliche Hilfe suchen2. „Kopfschmerzen haben im Kindes- und Jugendalter eine hohe, tendenziell steigende Prävalenz und sind ein ernst zu nehmendes Gesundheitsproblem, das rechtzeitig und individuell behandelt werden muss“, sagt Prof. Dr. Gudrun Goßrau, Leiterin der Kopfschmerzambulanz am Uniklinikum Dresden und Leiterin der Studie.
Hohe Prävalenz von Kopfschmerzen bei Kindern und Jugendlichen
In der Dresdner Studie gaben zwei Drittel der befragten Schülerinnen und Schüler an, regelmäßig Kopfschmerzen zu haben. Mehr als ein Fünftel aller Kinder und Jugendlichen mit mindestens zwei Kopfschmerztagen im Monat fehlten dadurch häufiger in der Schule. 7 % der Schülerinnen und Schüler, die häufiger Kopfschmerzen haben, litten mit mehr als 15 Tagen pro Monat an chronischen Kopfschmerzen. Am stärksten betroffen waren Heranwachsende in höheren Jahrgangsstufen und Mädchen nach der Pubertät. Auch der Schultyp hatte einen Einfluss: Schülerinnen und Schüler an Gymnasien hatten seltener Kopfschmerzen als Jugendliche an Oberschulen. Chronische Erkrankungen wie Asthma oder ADHS waren ebenfalls häufiger mit Kopfschmerzen assoziiert2. Fachleute gehen davon aus, dass Risikofaktoren wie (Schul-)Stress, zu viel Bildschirmzeit und Bewegungsmangel Kopfschmerzen bei Kindern und Jugendlichen begünstigen.
Diagnostik und Klassifikation: Migräne äußert sich bei Kindern anders
Am Beginn der Schmerzbehandlung steht die diagnostische Einordnung der Kopfschmerzen durch eine Fachärztin oder einen Facharzt. Kopfschmerzen im Kindesalter werden formal genauso wie bei Erwachsenen nach den Kriterien der International Headache Society (IHS) klassifiziert3. Sekundäre Kopfschmerzen sind durch klinische Untersuchungen und Beachtung der Red Flags auszuschließen. Primäre Kopfschmerzen, insbesondere Kopfschmerz vom Spannungstyp und Migräne, sind bei Kindern und Jugendlichen am häufigsten.
Eine österreichische Studie aus dem Jahr 2022 untersuchte die Prävalenz der primären Kopfschmerzen in einem Face-to-Face-Interview mit 14- bis 19-Jährigen entsprechend den aktuellen Diagnosekriterien4: 48 % der 1923 Jugendlichen waren von Kopfschmerzen geplagt, 10 % hatten Migräne, davon 2,6 % mit Aura, wiederum 30 % litten an Kopfschmerz vom Spannungstyp. Die Kopfschmerzen korrelierten mit Schlafstörungen, Alkoholkonsum, wenig körperlicher Aktivität und langer Bildschirm-Exposition – Faktoren, die auch in wiederholten Lockdowns der COVID-19-Pandemie eine Rolle spielten.
Die Kopfschmerzsymptomatik bei Kindern und Jugendlichen unterscheidet sich teilweise von der bei Erwachsenen, insbesondere bei Migräne (Tabelle 1). Bei Kindern sind die Migräneattacken kürzer und können auch vordergründig mit heftiger Übelkeit, Erbrechen und Schwindel einhergehen5.
Migräne
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Kopfschmerz vom Spannungstyp
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- Mind. 5 Attacken mit freiem Intervall
- Kopfschmerzdauer mind. 30 min–72 h (bei Erwachsenen mind. 4 h–72 h)
- Unilateral oder bilateral (75 %) meist frontotemporal und nicht okzipital (bei Erwachsenen unilateral)
- Pulsierender Charakter
- Wechselnde Intensität
- Verstärkung durch körperliche Aktivität
- Nausea und/oder Erbrechen
- Licht- und Lärmempfindlichkeit
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- Kopfschmerzdauer von 30 min bis 7 Tage
- Bilaterale Lokalisation
- Drückender Charakter
- Schmerzstärke mild bis mittelschwer
- Keine Verstärkung durch körperliche Aktivität
- Gelegentlich Licht- oder Lärmempfindlichkeit
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Tabelle 1: Unterscheidung Kopfschmerzsymptomatik
Der Kopfschmerz bei Kindern und Jugendlichen, insbesondere die Migräne, ist eine genetisch bedingte Erkrankung, deren Verlauf stark von Umweltfaktoren beeinflusst wird. Bei unzureichender Therapie ist eine Chronifizierung auch im Jugendalter oder jungen Erwachsenenalter möglich. Dementsprechend ist eine frühzeitige Diagnostik in einem multidisziplinären Team, bestehend aus Fachärzten für Pädiatrie und Neurologie sowie Psychologen, notwendig.
Empfehlungen für die akute Migränetherapie bei Kindern und Jugendlichen
Empfehlungen zur Therapie idiopathischer Kopfschmerzen im Kindes- und Jugendalter sind in den Leitlinien der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) zusammengefasst5,6. Danach werden Migräneattacken bei Kindern am besten mit Ibuprofen (10 mg/kg) oder Paracetamol (15 mg/kg, 2. Wahl) behandelt. Zur Behandlung von Migräneattacken mit Triptanen bei Jugendlichen ab dem 12. Lebensjahr sind in Deutschland Sumatriptan-Nasenspray (10 mg) und Zolmitriptan-Nasenspray (5 mg) zugelassen. Alle anderen Triptane sind bis zum 18. Lebensjahr nicht zugelassen, werden jedoch von spezialisierten Ärzten off-label eingesetzt. Bei begleitender Nausea oder Erbrechen ist ab dem 12. Lebensjahr Domperidon zugelassen. Kinder und Eltern sollten über Therapiemöglichkeiten, frühzeitige Einnahme von Akutmedikamenten, Einfluss von Lebensstilfaktoren und Risiko von Medikamentenübergebrauchskopfschmerz aufgeklärt werden. Auch nicht medikamentöse Therapien können bei Kindern und Jugendlichen sehr effektiv sein. Lokales Kühlen und die Möglichkeit zu Rückzug und Schlaf stellen die Basistherapie bei akuten Migräneattacken dar.
Nicht medikamentöse Prophylaxe: frühzeitig vorbeugen und gegensteuern
Für die Prophylaxe von Kopfschmerzen im Kindes- und Jugendalter sollten nicht medikamentöse Therapieansätze bevorzugt werden. Hierzu gehören Kopfschmerzedukation, aber auch der Einsatz von Entspannungstechniken (progressive Muskelrelaxation, autogenes Training, Fantasiereisen), idealerweise über ein entsprechendes Training im Rahmen der Heilmittelverordnung. Auch Bio- oder Neurofeedback können in diesem Zusammenhang wirksam sein8. Weiterhin sollte bei psychischer Komorbidität oder chronifizierungsfördernden Verhaltensmustern kognitive Verhaltenstherapie zum Einsatz kommen. Wichtig sind auch Sport und regelmäßige körperliche Aktivität. Besonders effektiv sind Gruppentherapieprogramme. Eine offene Studie aus Deutschland an 75 Kindern und Jugendlichen mit primären Kopfschmerzen zeigte sowohl eine signifikante Reduktion der Kopfschmerzfrequenz als auch eine Verbesserung der Alltagsfunktion nach einem interdisziplinären multimodalen Therapieprogramm7.
Mangel an spezifischer Versorgung von Kopfschmerzpatienten im Schulalter
Mit einer frühzeitigen Behandlung können die Auswirkungen von Kopfschmerzen bei Kindern und Jugendlichen meist deutlich gemindert werden. „Leider werden Kopfschmerzen bei Kindern oft nicht als ernst zu nehmende Erkrankung wahrgenommen, Diagnostik und Therapie werden nicht konsequent verfolgt, passende Behandlungsmöglichkeiten sind kaum vorhanden“, betont Prof. Dr. Gudrun Goßrau. Die überraschend hohe Prävalenz von Kopfschmerzen im Kindes- und Jugendalter und das Wissen um die unmittelbaren sowie langfristigen Auswirkungen, wie z. B. Veränderungen des Bildungswegs, sollten Grund genug sein, gezielte Präventionsstrategien zu entwickeln und mehr spezifische Therapien anzubieten. Beispiele dafür sind die Kinderkopfschmerzambulanz am Universitätsklinikum Carl Gustav Carus und das interdisziplinäre Dresdner Kinder/JugendKopfschmerzprogramm (DreKiP). Zentraler Baustein in der Behandlung junger Patientinnen und Patienten ist dort die Gruppentherapie.
Mehr praxisrelevantes Wissen finden Fachkreise online im Migräne- und Kopfschmerz-Guide unter www.mk-guide.org, einem Projekt der DMKG-Initiative „Attacke! Gemeinsam gegen Kopfschmerzen“.
- Gerstl L et al. Migraine and the development of additional psychiatric and pain disorders in the transition from adolescence to adulthood. Cephalalgia, 2021;41(13):1342-7 https://doi.org/10.1177/03331024211021792
- Nieswand V et al. The prevalence of headache in German pupils of different ages and school types. Cephalalgia, 2019 https://doi.org/10.1177/0333102419837156
- Internationale Klassifikation von Kopfschmerzerkrankungen, 3. Auflage, www.ichd-3.org
- Kaltseis K et al. Primary headache disorders in adolescents in North- and South-Tyrol: Findings of the EVA-Tyrol-Study. Cephalalgia, 2022 Sep;42(10):993-1004 https://doi.org/10.1177/03331024221088997
- Diener H-C, Förderreuther S, Kropp P et al. Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne, S1-Leitlinie, 2022, DGN und DMKG; in: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. Online: www.dgn.org/leitlinien
- Evers S et al. Therapie idiopathischer Kopfschmerzen im Kindes- und Jugendalter. Nervenheilkunde 2008; 27:1127-1137. https://doi.org/10.1055/s-0038-1627355
- Sobe H et al. Functional improvement in children and adolescents with primary headache after an interdisciplinary multimodal therapy program: the DreKiP study. J Headache Pain, 2022;23(1):109. https://doi.org/10.1186/s10194-022-01481-1
- Blume HK et al. Biofeedback therapy for pediatric headache: factors associated with response. Headache, 2012;52(9):1377-86 https://doi.org/10.1111/j.1526-4610.2012.02215.x