- Pellegrino et al., 2018
- Kropp et al., 2016
Psychologische Maßnahmen können Migräne und Kopfschmerz vom Spannungstyp positiv beeinflussen und eignen sie sich zur Therapie dieser sogenannten primären Kopfschmerzen. Ansätze wie Beratung und Psychoedukation, Entspannung, Biofeedback und kognitiver Verhaltenstherapie sind wirksam und werden in Leitlinien empfohlen. Viele Betroffene kennen die Optionen allerdings nicht, wissen nicht um den schmerzmodulierenden Einfluss psychologischer Faktoren oder glauben nicht, von psychologischen Ansätzen zu profitieren.
Wichtig ist die Erwartungshaltung, selbst etwas gegen die Kopfschmerzen tun zu können: Wer Vertrauen in die eigene Kompetenz dabei hat und an die von der Wirksamkeit der eingesetzten therapeutischen Optionen ausgeht, kann leichter eine Verbesserung der Symptomatik erzielen oder der Chronifizierung der Kopfschmerzen vorbeugen. Deswegen ist Beratung und Psychoedukation ein entscheidender erster Schritt.
Der Placeboeffekt ist in der Therapie von Schmerzen erwünscht und sollte über eine positive Erwartungshaltung gefördert werden.
Ebenso sollten die individuellen Lebensumstände von Betroffenen berücksichtigt werden. Stress per se gilt als der häufigste Auslöser von Kopfschmerz2, doch auch bei hormonellen Auslösern oder schlechtem Schlaf spielt das Stresserleben eine Rolle. Das Stresserleben bezeichnet dabei nicht den Stressor selbst, sondern vielmehr den individuellen Umgang damit. Psychologische Maßnahmen wie Entspannungsübungen und Stressregulationsstrategien stärken die Stresskompetenz und beeinflussen das Stresserleben positiv.
Die Behandlung primärer Kopfschmerzen mithilfe von psychologischen Maßnahmen ist mittlerweile auch in Leitlinien verankert2. Die S1-Leitlinie der Deutschen Migräne- und Kopfschmerzgesellschaft (DMKG) und der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (DGN) empfiehlt etwa Beratung und Psychoedukation, Entspannung, Biofeedback und kognitive Verhaltenstherapie. Seit der letzten Aktualisierung 2022 wird auch Ausdauersport empfohlen.
Die Information über das eigene Krankheitsbild gehört zu den Grundlagen der Kopfschmerzversorgung. Studien zeigen, dass allein das Wissen über die eigene Erkrankung die Kopfschmerzsymptomatik reduzieren kann. Allen Kopfschmerzpatientinnen und -patienten sollte daher eine entsprechende Beratung angeboten werden. Diese kann von einer Aufklärung über die Ursachen der Erkrankung bis hin zum Erkennen von Auslösern über strukturiertes Tagebuchführen reichen.
Zu den Basiselementen der Kopfschmerzversorgung gehören auch das Erlernen von Entspannungstechniken wie der progressiven Muskelrelaxation nach Jacobson, dem autogenen Training nach Schulz, Meditation oder Atemübungen. Die Verfahren haben die generelle Anspannungsreduktion zum Ziel und müssen regelmäßig geübt werden. Welche Technik Betroffene genau erlernen, spielt eine eher untergeordnete Rolle – individuelle Vorlieben sollten daher unbedingt berücksichtigt werden, um mit einem für sich geeignetem Verfahren Entspannung zu erreichen.
Im Rahmen der prophylaktischen Therapie können auch Biofeedbackverfahren genutzt werden. Die Patientinnen und Patienten lernen dabei, Körpersignale wahrzunehmen und willentlich zu regulieren. So können Betroffene etwa durch Vasokonstriktionstraining lernen, den Durchmesser ihrer Schläfenarterien zu verringern und der bei einem Migräneanfall auftretenden Gefäßerweiterung so entgegenwirken. Biofeedbackverfahren sind dabei immer durch technische Geräte unterstützt.
Die kognitive Verhaltenstherapie zeigt Patientinnen und Patienten die Zusammenhänge zwischen ihren Stressoren, ihrem individuellen Stresserleben und ihrer Kopfschmerzsymptomatik auf. Im Lauf der Therapie wird die Stresskompetenz gefördert und Betroffene lernen, Stressoren zu erkennen und ihr Verhalten gegebenenfalls anzupassen. Wichtig ist, den Umgang mit nicht vermeidbaren Auslösern zu „managen“, denn nicht jede Dienstreise kann (und sollte auch nicht) vermieden werden, ebenso wenig stehen Wetteränderungen unter dem direkten Einfluss der Patientinnen und Patienten.
Patientinnen und Patienten mit primären Kopfschmerzen sollten in jedem Fall eine Beratung erhalten. Ebenfalls gehört das Erlernen von Entspannungstechniken zur Grundversorgung. Hierfür stehen mittlerweile auch Apps zur Verfügung, z.B. Meditationsapps oder digitale Kopfschmerztagebücher. Seit 2019 können Betroffene Apps, die als digitale Gesundheitsanwendungen (DiGAs) zugelassen sind, auch verordnet und von ihrer gesetzlichen Krankenversicherung erstattet bekommen.
Bei schweren oder chronischen Kopfschmerzen oder wenn komorbide Störungen, wie Angststörungen, Depressionen oder Essstörungen auftreten, reicht Beratung und Entspannung oft nicht mehr aus. Eine kognitive Verhaltenstherapie durch Fachpersonal kann helfen. Je nach Ausstattung der Praxis kann diese Therapie auch mit Biofeedbackverfahren kombiniert werden.
Prinzipiell eignen sich psychologische Verfahren für alle Kopfschmerzpatientinnen und -patienten – auch in Kombination mit einer medikamentösen Therapie. Der wohl größte Vorteil von psychologischen Maßnahmen in der Kopfschmerzversorgung ist allerdings, dass sie auch dann ergriffen werden können, wenn eine medikamentöse Behandlung nicht gewünscht wird oder aufgrund bestimmter Kontraindikationen nicht möglich ist. Psychologische Verfahren können entsprechend auch während einer Schwangerschaft oder während der Stillzeit durchgeführt werden. Ebenfalls stellen sie eine sinnvolle Alternative zur medikamentösen Behandlung dar, wenn die Patientinnen und Patienten diese nicht vertragen, unter starken Nebenwirkungen leiden, die gewünschte Effektivität ausbleibt oder bereits Anzeichen für einen Kopfschmerz durch Medikamentenübergebrauch vorliegen. Auch wenn Betroffene vermehrt mit Belastungsmomenten konfrontiert sind, bieten sich psychologische Maßnahmen an, um einen souveränen Umgang mit Stressoren zu erlenen.
Fazit: Psychologische Verfahren können die Kopfschmerzsymptomatik bei primären Kopfschmerzen reduzieren und stellen eine sinnvolle Ergänzung oder sogar eine Alternative zur medikamentösen Behandlung dar.
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