Migräne<br> Aktuelles zu Symptomen, Akuttherapie und Prophylaxe

Mehr als 8 Millionen Menschen in Deutschland sind Schätzungen zufolge von Migräne betroffen<sup>1</sup>. Migräne steht, gemessen an der Beeinträchtigung im Alltag, weltweit in der Altersgruppe der 15-49-jährigen an erster Stelle aller Erkrankungen<sup>2</sup>.

Migräne ist eine neurologische Erkrankung des Gehirns mit einer vorübergehenden Fehlfunktion schmerzregulierender Systeme. Früher ging man von einer Fehlsteuerung der Blutgefäße im Gehirn aus. Aktuelle Untersuchungen sprechen jedoch für eine Aktivierung des trigeminalen Systems im Hirnstamm, wodurch es zur perivaskulären Freisetzung verschiedener Neuropeptide, wie z.B. Calcitonin Gene-related Peptide (CGRP), kommt. Dies führt zur Aktivierung von schmerzleitenden Fasern, die das Schmerzsignal über aufsteigende Bahnen an den Hirnstamm und das Großhirn zurückführen.

Migränesymptome richtig deuten

Da Migräne häufig fehldiagnostiziert wird, ist es wichtig, diese zuverlässig von anderen Kopfschmerzarten, insbesondere Spannungskopfschmerzen, abzugrenzen. Typische Symptome der Migräne äußern sich durch heftige, häufig einseitig pulsierend-pochende Kopfschmerz-Attacken meist an Stirn oder Schläfe, manchmal auch am Hinterkopf, die bei körperlicher Betätigung an Intensität zunehmen6. Die einzelnen Migräneattacken können von Appetitlosigkeit (fast immer), Übelkeit (80 %), Erbrechen (40–50 %), Lichtscheu (60 %), Lärmempfindlichkeit (50 %) und Überempfindlichkeit gegenüber bestimmten Gerüchen (10 %)7 begleitet werden. Die Kopfschmerz-Lokalisation als auch die Kopfschmerz-Intensität kann zwischen den Attacken variieren. Die Dauer beträgt nach der Definition der Internationalen Kopfschmerzgesellschaft zwischen 4 und 72 Stunden8.

PD Dr. Gudrun Goßrau: Kopfschmerz in der Hausarztpraxis: schnell und effektiv zur Diagnose

Migräne mit Aura: neben Kopfschmerzen auch neurologische Symptome

Bei etwa 15 % der Betroffenen leitet die Aura – also neurologische Ausfallsymptome - die Migräneattacke ein. Bei den meisten Betroffenen handelt es sich um eine visuelle Aura, d.h. visuellen Symptome wie Flimmersehen, Fortifikationsspektren oder Skotome, die sich allmählich ausbreiten. Die Aura dauert typischerweise mindestens 5 Minuten, meist nicht länger als eine Stunde, an. Treten nacheinander verschiedene Aurasymptome auf, kann die Aura entsprechend länger anhalten. Zweithäufigstes Symptom der Migräne mit Aura sind Sensibilitätsstörungen, die sich allmählich ausbreiten. An dritter Stelle folgen aphasische Störungen mit Wortfindungs- und Sprachverständnisstörungen. Motorische Auren mit Paresen sind selten, könnten auf eine hemiplegische Migräne hinweisen.

Migräne-Diagnostik: Zusatzdiagnostik nur bei Auffälligkeiten

Die Diagnose der Migräne stützt sich auf die Anamnese und einen unauffälligen klinisch-neurologischen Untersuchungsbefund. Zusatzdiagnostik und insbesondere eine Bildgebung mittels cMRT sind notwendig Auftreten von Warnsymptomen, bei Kopfschmerzen mit ungewöhnlicher Klinik und bei Kopfschmerzen mit neurologischen oder psychopathologischen Auffälligkeiten. Tritt erstmals eine Migräneattacke mit Aura auf, kann es erforderlich sein, eine zerebrale Ischämie mit nachfolgenden Kopfschmerzen auszuschließen. Die Indikation für Zusatzdiagnostik hängt davon ab, wie typisch eine Attacke verlaufen ist und ob begleitende kardiovaskuläre Risikofaktoren vorhanden sind. Genetische Diagnostik kann bei Verdacht auf eine familiäre hemiplegische Migräne veranlasst werden.

Neue Medikamente gegen akute Migräne zugelassen

Die effektive Akuttherapie der Migräne ist wichtig, um eine Chronifizierung zu vermeiden. Für die Betroffenen ist vor allem eine gute Wirksamkeit und Verträglichkeit mit wenig Nebenwirkungen entscheidend. Akutmedikation gegen Migräne sollte jedoch höchstens an 8 bis maximal 10 Tagen im Monat eingenommen werden. Laut aktuell überarbeiteter Leitlinie gibt es für die die medikamentöse Therapie der akuten Migräne im Erwachsenenalter neue Möglichkeiten: Ergänzend zu den etablierten Triptanen werden in Zukunft Substanzen aus den zwei neuen Gruppen der Gepante (z.B. Rimegepant) und Ditane (z.B. Lasmiditan) zur Verfügung stehen.

PD Dr. Charly Gaul: Medikamentöse und nicht-medikamentöse Basismaßnahmen in der Migräneprophylaxe

Vorbeugende Medikamente für mehr Lebensqualität

Eine medikamentöse Migräneprophylaxe ist bei häufigen Migräneattacken (≥ 4 Kopfschmerz-Attacken/ Monat) indiziert, um einer Chronifizierung oder dem Übergebrauch von Akutmedikation vorzubeugen und die Lebensqualität der Betroffenen zu verbessern. Klassische Substanzen mit nichtspezifischem Wirkmechanismus sind Betablocker, Flunarizin, Topiramat, Amitriptylin und Onabotulinumtoxin (bei chronischer Migräne). Bei Kontraindikation oder Unverträglichkeit gegenüber den klassischen Prophylaxe-Medikamenten können auch die spezifischen monoklonalen Antikörper gegen CGRP bzw. seinen Rezeptor (Erenumab, Fremanezumab und Galcanezumab) zum Einsatz kommen. Die Dauer einer prophylaktischen Therapie sollte von der Schwere und Dauer der Erkrankung sowie von den aktuellen persönlichen Lebensumständen abhängig gemacht werden, heißt es in der neuen Leitlinie.

Migränevorbeugung ohne Medikamente

Die neue Leitlinie geht auch explizit auf nicht-medikamentösen Maßnahmen zur Migräneprophylaxe (Ausdauersport, Entspannungstechniken) sowie psychotherapeutische Verfahren ein. Als neue Möglichkeit zur Behandlung der akuten Migräne wurde die nicht-invasive Neurostimulation aufgenommen. Aktualisiert wurden auch Hinweise zu unterstützende Maßnahmen von Diagnostik und Therapie wie Smartphone-Applikationen und telemedizinische Angebote.

Migräne – wo sind die Stolperstellen

Viele Betroffene können mit einer guten Basistherapie beim Hausarzt versorgt werden. Die Vorstellung beim Spezialisten ist immer dann sinnvoll, wenn sich ein schwerwiegender Verlauf mit schlechtem Ansprechen auf die Therapiemaßnahmen abzeichnet, wenn Zweifel an der Diagnose bestehen, bei Vorliegen von Begleitfaktoren, die eine besonders intensive Beratung und Therapie erfordern. Das ist z.B. der Fall, wenn von Anfang an eine hohe Frequenz der Attacken vorliegt, Betroffene unzureichend auf Akutmedikation ansprechen, bei Verdacht auf Übergebrauch von Akutmedikation (10 und mehr Tage pro Monat über mindestens 3 Monate) oder wenn Zusatzuntersuchungen Auffälligkeiten gezeigt haben, die weiter eingeordnet werden müssen.

Hier finden Sie weitere Informationen und Patientenbroschüren zum Thema.

Prof. Dr. Martin Marziniak: Häufige Fragen an den Hausarzt zur Migräne: Akupunktur, Antikörper, Akutmedikamente

PD Dr. Lars Neeb: Migräneattacken effektiv behandeln

Quellen

  1. Pfaffenrath V, Fendrich K, Vennemann M, et al. Regional variations in the prevalence of migraine and tension-type headache applying the new IHS criteria: the German DMKG Headache Study. Cephalalgia. 2009;29(1):48-57. doi:10.1111/j.1468-2982.2008.01699.x
  2. Steiner T, Stovner L, Vos T, Jensen R, Katsarava Z. Migraine is first cause of disability in under 50s: will health politicians now take notice? J Headache Pain. 2018;19(1):17. doi:10.1186/s10194-018-0846-2
  3. Ziegeler, C., Brauns, G., Jürgens, T. et al. Shortcomings and missed potentials in the management of migraine patients - experiences from a specialized tertiary care center. J Headache Pain 20, 86 (2019)
  4. Katsarava Z, Mania M, Lampl C, Herberhold J, Steiner TJ (2018) Poor medical care for people with migraine in Europe – evidence from the Eurolight study. J Headache Pain 19(1):10.
  5. Diener HC, Förderreuther S, Kropp P et al., Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne, S1-Leitlinie, 2022, in: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. Online: www.dgn.org/leitlinien
  6. Headache Classification Committee of the International Headache Society (IHS). The International Classification of Headache Disorders ICHD-3, 3rd edition. Cephalalgia.2018;38(1):1-211.
  7. Diener H.-C., Gaul C., Kropp P. et al., Therapie der Migräneattacke und Prophylaxe der Migräne, S1- Leitlinie, 2018, in: Deutsche Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.), Leitlinien für Diagnostik und Therapie in der Neurologie. Online: www.dgn.org/leitlinien (abgerufen am 23.11.2022)
  8. https://www.ichd-3.org