Wenn viel nicht viel hilft: Kopfschmerzen durch Medikamentenübergebrauch

Viele Patientinnen und Patienten behandeln sich bei Kopfschmerz und Migräne selbst. Sie nehmen frei verkäufliche Schmerzmittel oder Triptane ein, oft längere Zeit ohne ärztliche Kontrolle. Bei einer zu häufigen Einnahme kann es zur Chronifizierung kommen, die sich in einem Dauerkopfschmerz sowie häufigere und länger anhaltende Attacken manifestiert. Hier erfahren Sie, wer gefährdet ist, wie sich Übergebrauchskopfschmerz erkennen lässt und wie Therapeuten vorbeugen können.

Dauerkopfschmerz und das Gefühl von „kein klarer Kopf“

Patientinnen und Patienten, die an einer primären Kopfschmerzerkrankung wie Migräne oder einem Kopfschmerz vom Spannungstyp leiden, können einen Kopfschmerz durch Medikamentenübergebrauch entwickeln. Triptane oder Analgetika wirken immer schlechter und werden immer höher dosiert. Typischerweise erfolgen die Schmerzattacken häufiger und halten länger an, so dass die Kopfschmerzen an 15 und mehr Tagen im Monat auftreten. Zwischen den Attacken gibt es oft keine vollständige Beschwerdefreiheit, ein leichter, drückender Dauerkopfschmerz bleibt: Viele Patientinnen und Patienten haben das Gefühl, keinen „klaren Kopf“ mehr zu haben.

Wer ist gefährdet?

Kopfschmerzen bei Medikamentenübergebrauch entwickeln Patientinnen und Patienten, die an einer primären Kopfschmerzerkrankung leiden. Häufige Komorbiditäten sind andere Schmerzerkrankungen, Depressionen, Angststörungen und Adipositas, laut MOH-Leitlinie bestehen weitere Risikofaktoren: weibliches Geschlecht, mehr als zehn Kopfschmerztage pro Monat, niedriger sozialer Status, Stress, körperliche Inaktivität, Rauchen, abhängiges Verhalten und psychische Erkrankungen.1
Wichtig zu wissen ist dabei, dass die Gefahr für einen MOH bei gängigen Schmerzmitteln und Triptanen immer besteht: Sie alle können zu Kopfschmerzen führen, wenn sie zu häufig eingenommen werden. Zwischen einzelnen Präparaten zu wechseln verringert das Risiko nicht. Der Übergebrauch entwickelt sich dabei meist aus dem Bedürfnis, im Alltag zu funktionieren, eine klassische Abhängigkeit wie bei Alkohol oder Drogen liegt nicht vor. Den Betroffenen ist aber nicht bekannt, dass die Schmerz- und Migränemittel bei Übergebrauch zu Kopfschmerz führen.2 Fehlendes Wissen über diese Folgen, aber auch das fehlende Einhalten vorbeugender Maßnahmen ist ein häufiger Grund für den Übergebrauch. Essenziell sind daher Aufklärung sowie die Erhöhung der Motivation, andere präventive Maßnahmen zu ergreifen bzw. den Übergebrauch zu beenden und die Medikamente abzusetzen. Gute persönliche Beratung ist dafür essenziell: Schmerztherapeutinnen und -therapeuten ist bekannt, dass ein Gespräch und die Aufklärung um einiges effektiver ist als Informationsmaterial alleine.3

Diagnose: Wie viel ist zu viel?

Für die Diagnose eines MOH erfolgt eine Anamnese der vorbestehenden primären Kopfschmerzerkrankung. Die Patientinnen und Patienten sollten dazu ein Kopfschmerztagebuch führen, in dem sie dokumentieren, wann und wie häufig Attacken auftreten, aber auch, wie oft sie Akutmedikation einnehmen. Die wichtigsten Diagnosekriterien für Übergebrauchskopfschmerz sind Dauer und Häufigkeit: Werden über einen Zeitraum von mindestens drei Monaten an zehn oder mehr Tagen pro Monat Schmerzmittel oder Triptane eingenommen, liegt ein Übergebrauch vor. Entscheidend sind die Tage mit Medikation, ohne Rücksicht auf die Anzahl der Tabletten.

Medikamentenpause kombiniert mit Prophylaxe

Bei mindestens zwei Dritteln der Betroffenen verbessern sich die Symptome deutlich, wenn sie alle Schmerzmittel und Triptane für 14 Tage pausiert werden. Es kann erforderlich sein, die Medikamente langsam auszuschleichen und nicht abrupt abzusetzen.4 Zusätzlich sollte im Rahmen der Medikamentenpause mit einer medikamentösen Kopfschmerz-Prophylaxe begonnen werden. Diese erfolgt bei Migräne zum Beispiel mit Betablockern, Topiramat oder monoklonalen Antikörpern, bei Kopfschmerzen vom Spannungstyp auch mit Amitriptylin und anderen Antidepressiva. Sie verringern die Symptome des Entzugs und sollen die Häufigkeit der Kopfschmerzen insgesamt reduzieren.
Das Absetzen der Schmerzmittel ist eine Herausforderung, weil es in den ersten Tagen zu einer Zunahme der Kopfschmerzen, die mit Übelkeit, vermehrtem Schwitzen, Herzklopfen und innerer Unruhe einhergehen können, kommen kann. Meist zeigt sich jedoch nach wenigen Tagen eine deutliche Besserung.

Prof. Dr. Zaza Katsarava: MOH – Was kann der Hausarzt tun?

Wichtig: nichtmedikamentöse Maßnahmen

Die meisten Patientinnen und Patienten können ihre Medikamentenpause ambulant vornehmen. Ist der Versuch jedoch schon mehrfach gescheitert – zum Beispiel bei großer Angst vor Entzugskopfschmerz, hoher psychosozialer Belastung oder psychischer Erkrankungen – ist es oft besser, die Medikamentenpause stationär durchzuführen. Bei erfolgreicher Therapie verschwindet der MOH. Der Kopfschmerz, der am Anfang der Entwicklung stand, kann jetzt wieder fachgerecht behandelt werden.
Wichtig ist dabei vor allem die Kombination mit nichtmedikamentösen Maßnahmen. Neben Ausdauersport und Entspannungstechniken profitieren viele Betroffene von verhaltenstherapeutischen Maßnahmen und einer psychotherapeutischen Schmerztherapie.
Nach der Medikamentenpause können Schmerzmittel wieder kontrolliert eingenommen werden. Um dabei den Überblick zu behalten, sollten Patienten und Patientinnen motiviert werden, einen Kopfschmerzkalender zu führen. Gelingt es mit diesen Maßnahmen nicht, den Schmerzmittelkonsum zu begrenzen, müssen die vorbeugenden Maßnahmen zusammen mit der behandelnden Ärztin oder dem Arzt überprüft werden.

Empfehlungen für Ärztinnen und Ärzte

Um einem MOH vorzubeugen, ist es wichtig, Patientinnen und Patienten bei Erstvorstellung ausdrücklich zu ihrer Schmerzmitteleinnahme zu befragen. Für das Kopfschmerztagebuch sind auf dmkg.de Downloads verfügbar, mit neuen Apps kann das Tagebuch auch digital geführt werden. Manche Apps geben weitere Ratschläge zum Schmerzmanagement oder zur Entspannung. Die folgende medikamentöse Therapie sollte immer individualisiert werden. Bei mehr als drei Migräneattacken pro Monat ist eine Migräneprophylaxe zu empfehlen. Sie erfolgt außer mit den erwähnten Betablockern auch mit Kalziumantagonisten Flunarizin oder der Substanzklasse der Antikonvulsiva mit Topiramat. Bei der chronischen Migräne steht zur Prophylaxe zusätzlich Botox zur Verfügung. Monoklonale Antikörper, die CGRP oder den CGRP-Rezeptor blockieren, werden bei Versagen, intolerablen Nebenwirkungen oder Kontraindikationen eingesetzt. Zu beachten ist, dass ein Drittel aller Patientinnen und Patienten mit MOH innerhalb eines Jahres einen Rückfall erleidet. Daher sollten Betroffene nach initial erfolgreichem Entzug in einer gezielten kopfschmerztherapeutischen Behandlung bleiben.5 Grundsätzlich ist, auch nach der neuen S1-Leitlinie von 2022, der frühe Beginn einer medikamentösen Kopfschmerz-Prophylaxe angezeigt, um den Übergebrauch zu vermeiden: Eine individualisierte Prophylaxe von ausreichender Dauer reduziert die Attacken und damit die Einnahme von Akutmedikamenten erheblich.

Hier finden Sie weitere Informationen und Patientenbroschüren zum Thema.

Quellen

  1. DGN, Pressemitteilung zur S1-Leitlinie zu MOH, 2022, https://dgn.org/artikel/2368
  2. Nierenschäden und Blutdruck: Uniklinik Essen, Übergebrauchskopfschmerz, https://www.uk-essen.de/wkz/patienteninfos/erkrankungen/uebergebrauchskopfschmerz/#:~:text=Entscheidend%20f%C3%BCr%20die%20Diagnose%20ist,Welche%20Risiken%20hat%20ein%20Medikamenten%C3%BCbergebrauch%3F
  3. Prof. Diener von der DGN, Pressetext vom 18.6.2020 der DGN, Quelle: Deutsches Apotheken-Portal, Gespräch über die Leitlinie Medikamentenübergebrauchskopfschmerz „Diese Empfehlung ist zwar streng genommen nicht evidenzbasiert, laut Professor Dr. Hans-Christoph Diener, DGN-Pressesprecher und Erstautor der Leitlinie, aber eine Common-Sense-Empfehlung. „Wir wissen, dass Patienten seltener einen MOH entwickeln, die umfassend über den Zusammenhang von Schmerzmitteln und Schmerzmittelübergebrauchskopfschmerz informiert wurden, und es gibt Studien, die zeigen, dass ein Beratungsgespräch plus Print-Informationsmaterial um einiges effektiver ist als das Informationsmaterial allein", so der Experte. „Es liegt auf der Hand, dass regelmäßige Gespräche die Sensibilität für die Thematik erhöhen und die Bereitschaft, trotz Schmerzen gelegentlich auf Medikamente zu verzichten oder die Dosis zu reduzieren, weiter stärken.“ https://www.deutschesapothekenportal.de/rezept-retax/nachrichten/arzneimittel/detail/neue-europische-leitlinie-zu-medikamentenbergebrauchskopfschmerz/
  4. Leitlinie MOH, 2022, https://dgn.org/artikel/2368
  5. DMKG – Text Kopfschmerzen bei Übergebrauch https://www.dmkg.de/patienten/antworten-auf-die-wichtigsten-fragen-rund-um-den-kopfschmerz-onlinebroschuere/online_broschuere_medikamentenuebergebra