Darm-Hirn-Kommunikation jenseits der Hormone

Die Erforschung der gastrointestinalen Chemosensorik wurde bis vor wenigen Jahren von der Untersuchung gastrointestinaler Hormone bestimmt. Zwei Forscher der gastroenterologischen Abteilung der Duke Universität plädieren in einem Review-Artikel auf Grundlage neuester Forschungsergebnisse nun dafür, dieses hormondominierte Konzept zu hinterfragen.

Die Erforschung der gastrointestinalen Chemosensorik wurde bis vor wenigen Jahren von der Untersuchung gastrointestinaler Hormone bestimmt.

Zwei Forscher der gastroenterologischen Abteilung der Duke Universität, North Carolina, USA, plädieren in einem Review-Artikel auf Grundlage neuester Forschungsergebnisse nun dafür, dieses hormondominierte Konzept zu hinterfragen und das Verständnis der maßgeblich beteiligten enteroendokrinen Zellen um ihre neuronalen Eigenschaften sowie ihre synaptische Anbindung an das Darmnervensystem zu erweitern.1 Die Autoren hoffen, mit ihrer Arbeit zu einem tiefergehenden Verständnis von Krankheiten beizutragen, bei denen eine Beteiligung von Darm und Gehirn bestehe. Als Beispiele solcher Erkrankungen führen sie Anorexie, entzündlichen Darmerkrankungen, Übergewicht, Parkinson oder posttraumatische Belastungsstörungen (PTSD) auf.2

In Umsetzung ihres Anliegens führen die Autoren in ihrer Arbeit die Bezeichnung  der"gut sensory epithelial cells" (GESC) für den seit gut 100 Jahren als enteroendokrine oder enterochromaffine Zellen bekannten Zelltyp ein.

GESC weisen alle kanonischen Eigenschaften innervierter epithelialer Sensoren auf

In der Veröffentlichung tragen die Autoren zunächst bekannte Eigenschaften von GESC zusammen. Diese

Damit, so die Autoren, wiesen GESC alle kanonischen Eigenschaften auf, die als charakteristisch für innervierte epitheliale Sensoren angesehen würden.

Auf Grundlage stark verfeinerter molekularer Werkzeuge sei es zudem in den vergangenen Jahren gelungen, neuronale Verschaltungen mit bisher ungekannter Genauigkeit zu untersuchen. U. a. sei es mit Hilfe von Viren gelungen, selbst monosynaptische Verbindungen neuronaler Zellen nachzuweisen. Dazu gehöre auch die synaptische Anbindung von Kolon-GESC an die Mukosa-Nerven dieses Darmabschnitts.3

Indizien für die Anbindung an das Darm-Nervensystem

Darüber hinaus sei es der Forschungsgruppe der beiden Review-Autoren gelungen, Eigenschaften der GESC zu dokumentieren, die ihre erweiterte Einordnung der Zellen als Verbindungsstelle zwischen Verdauungssystem und Gehirn unterstützten.

So würden GESC synaptisch aktive Bereiche, synaptische Adhäsion und typische postsynaptische Proteine entwickeln. Auch würden 9 von 10 mit grün fluoreszierendem Protein (GFP) markierte Peptid YY (PYY) sezernierende GESC immunologisch mit dem präsynaptischen Marker Synapsin-1 reagieren. In Serotonin sezernierenden GESC wären darüber hinaus DOPA-Decarboxylase und Tyrosin-Hydroxylase nachgewiesen worden, die beide essentiell für die Synthese des Neurotransmitters Dopamin seien. Ebenfalls entdeckte post-synaptische Proteine könnten die Grundlage einer potenziellen Modulation der sensorischen Erregbarkeit von GESC durch efferente Nervensignale darstellen.

Für das Verständnis von GESC als epitheliale Sensorzellen spräche auch, dass Neurone und GESC die Fähigkeit behielten, Verbindungen zueinander herzustellen, selbst wenn sie von anderen Zelltypen isoliert kultiviert würden. In Zeitraffer-Aufnahmen mittels Fluoreszenzmikroskopie sei dabei deutlich erkennbar, wie GESC danach strebten, sich mit Nervenzellen zu verbinden. Solche Verbindungen würden anschließend über mehrere Tage stabil bleiben.

Könnten GESC die Eintrittspforte für oral übertragbare Nervenerkrankungen sein?

Die  bereits erwähnte monosynapische nervale Anbindung der GESC könnte einen weit schnelleren Kommunikationsweg zwischen Darm und Gehirn darstellen, als ihn Hormone bieten. So sei kürzlich nachgewiesen worden, dass die Aktivität hungererregender  hypothalamischer Agouti-related-peptide-(AgRP)-Neurone binnen weniger Sekunden nach dem Eintritt eines Nahrungsstimulus in das intestinale Lumen unterdrückt wird – deutlich zu schnell für eine hormonale Signalübertragung.4 Als Signalstoffe seien bei dieser Übertragung zudem ausschließlich Transmitter nachgewiesen worden, die auch in GESC vorkämen.5

Aus diesen und weiteren Beobachtungen folgern die Review-Autoren, dass Pathogene aus dem Darmlumen über die Verbindung von GESC und Mukosa-Neuronen Zugang zum peripheren und zentralen Nervensystem finden könnten. Es werde vermutet, dass verschiedene neurodegenerative Erkrankungen wie z. B. Parkinson ihren Ausgang im Darm nähmen, ohne dass deren Ursache oder Eintrittspforte jedoch bisher hätten identifiziert werden können. GESC, so die Spekulation der Autoren, könnten einen solchen, noch dazu die Blut-Hirn-Schranke umgehenden Zugangsweg zum ZNS darstellen.

Quellen: 
1. Kaelberer MM, Bohórquez DV. The now and then of gut-brain-signaling. Brain Res. Brain Res. 2018; 1693(Pt B): 192-196. https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0006899318301628?via%3Dihub
2. Kaelberer MM, Bohórquez DV. Where the gut meets the brain. Brain Res. 2018; 1693(Pt B): 127. https://www.sciencedirect.com/science/article/pii/S0006899318302415/pdfft?md5=b209c2da786fd4bfa586ff7c6b4aae3a&pid=1-s2.0-S0006899318302415-main.pdf
3. Bohórques DV, et al. Neuroepithelial circuit formed by innervation of sensory enteroendocrine cells. J. Clin. Invest. 2015; 125: 782–786. https://doi.org/10.1172/jci78361.
4. Beutler LR, et al. Dynamics of gut-brain communication underlying hunger. Neuron 2017; 96: 461-475 e465. https://doi.org/10.1016/j.neuron.2017.09.043.
5. Su Z, et al. Nutritive, post-ingestive signals are the primary regulators of AgRP neuron activity. Cell Rep. 2017; 21: 2724–2736. https://doi.org/10.1016/j.celrep.2017.11.036.