Corona-Krise: Praxisalltag im Ausnahmezustand

Die Corona-Pandemie stellt die gynäkologischen Praxisteams und ihre Patientinnen auf eine besondere Belastungsprobe. Sie eröffnet aber auch neue Chancen: Für die Videosprechstunde könnte sie den Durchbruch bedeuten.

Der gynäkologische Praxisbetrieb geht auch im Ausnahmezustand der Corona-Pandemie weiter, allerdings unter erschwerten Bedingungen und mit geänderten Abläufen aufgrund der massiven Infektionsschutzanforderungen. Die Umsetzung der Empfehlungen von Behörden und Kassenärztlichen Vereinigungen erfolgt in den Praxen mit individuellen und oft einfallsreichen Lösungen. Atemschutzmasken wurden angesichts des Mangels an Schutzausrüstung selbst genäht, Praxiseingänge verlegt, Wartezelte errichtet und die Temperaturmessung vor Betreten der Praxis routinemäßig eingeführt, um für einen kontrollierten Zugang zu sorgen.

Patientenzahl sinkt, Beratungsbedarf steigt

Der Praxisbesuch soll ohne Begleitpersonen, aber mit Mund-Nasen-Schutz erfolgen. Bei Erkältungssymptomen oder Corona-Kontaktverdacht ist eine vorherige telefonische oder elektronische Kommunikation erforderlich. Auf vieles, was nicht unbedingt stattfinden muss, wird vorerst verzichtet. Das Mammografie-Screening wurde ausgesetzt. Durch die Absage von Routineterminen kann für mehr Platz im Wartezimmer gesorgt werden, um die erforderlichen Sicherheitsabstände einzuhalten. Gleichzeitig kommt es in vielen Praxen im Zuge der Pandemie-Situation auch zu einer Ausdünnung des anwesenden Personals. Notwendige medizinische Behandlungen lassen sich aber ebenso wenig verschieben wie die Schwangerenbetreuung. Zudem wird der in der gynäkologischen Praxis ohnehin hohe Beratungsbedarf durch Coronavirus-spezifische Fragestellungen und Ängste noch zusätzlich erhöht.

Fragen rund um die spezifischen Risiken der COVID-19-Virusinfektion für schwangere Frauen und ihre Familien thematisiert eine FAQ-Sammlung (PDF), die von Berufsverband und Fachgesellschaft im März veröffentlicht wurde. Ein Informationspapier zur mutterschutzrechtlichen Bewertung von Gefährdungen durch SARS-CoV-2 (PDF) hat vor kurzem der Ausschuss für Mutterschutz (AfMu) beim Bundesamt für Familie und zivilgesellschaftliche Aufgaben (BAFzA) zur Verfügung gestellt. Schwangeren und insbesondere jenen, die jetzt aus Angst vor einer Coronavirus-Infektion den Aufenthalt in einer Klinik in Frage stellen, sollten dringend die Kreißsaalempfehlungen der DGGG nahegebracht werden.

Appell: Schwangerschaftsabbrüche unter telemedizinischer Betreuung

Eine besonders bedrohliche Problematik besteht derzeit für ungewollt Schwangere. Es ist zu befürchten, dass sich schon vor der Corona-Krise existierende Engpässe beim Zugang zum sicheren Schwangerschaftsabbruch durch Einschränkungen im Klinik- und Praxisbetrieb sowie durch kontaktbeschränkende Maßnahmen weiter verschärfen werden. In den meisten Bundesländern ist laut familienplanung.de gegenwärtig eine Schwangerschaftskonfliktberatung über digitale Medien oder per Telefon möglich. In einem offenen Brief hat der Arbeitskreis Frauengesundheit in Medizin, Psychotherapie und Gesellschaft (AKF) an Einrichtungen und Ärzte, die Schwangerschaftsabbrüche vornehmen, appelliert:

„Vervielfachen Sie ihr Angebot für den medikamentösen Abbruch und setzen Sie sich mit uns für den Homeuse unter telemedizinischer Betreuung ein. Das ist die einfachste, mit den WHO Richtlinien konforme Möglichkeit, Abbrüche medizinisch sicher und ‚coronasicher‘ durchzuführen. Der Homeuse wurde auch in einer Stellungnahme der DGGG bereits als sichere Methode für Deutschland beschrieben.“

Kein Grund zur Panik

Auch jenseits dieser speziellen Problematik erwachsen in der Krise neue Chancen für die Etablierung der Telemedizin. Ein im Januar 2019 auf allgemeinarzt-online.de erschienener Beitrag mit dem Titel „Auch Telemedizin will gelernt sein“ endete mit dem folgenden Ausblick: „Bereits während der Ausbildung sollten die digitalen Möglichkeiten zum Thema gemacht werden: Wie muss der Behandelnde sich im Gegensatz zur Präsenz-Sprechstunde verhalten? Wie funktioniert die Abrechnung mit der Krankenkasse? Auch bereits praktizierende Ärzte müssen auf den neuen Stand gebracht werden. Nur dann lässt sich die Videosprechstunde zum Vorteil aller effektiv nutzen. Bevor allerdings die Panik vor rein virtueller Behandlung bei Patienten als auch bei Ärzten aufsteigt: Die Videosprechstunde wird bleiben, was sie ist – ein zusätzlicher Kommunikationskanal.“

In Zeiten der Corona-Pandemie hat sich die Situation spürbar gewandelt. Nicht unbedingt für Panikgefühle, aber doch für Verunsicherung und Sorgen geben die derzeitigen Herausforderungen bei der Aufrechterhaltung des physischen Praxisbetriebs Anlass. Der „zusätzliche Kommunikationskanal“ kann sich hier als ein wichtiges Instrument zur Krisenbewältigung bewähren – und dann vermutlich dauerhaft etablieren. „Wir erleben gerade eine Offenheit für die Videosprechstunde, die in diesem Ausmaß neu ist“, wird der Unternehmenssprecher eines zertifizierten Anbieters in einem aktuellen Artikel auf aerzteblatt.de zitiert.

Videosprechstunde: Wenn nicht jetzt, wann dann?

Neben den Hinweisen zum geänderten Praxisablauf findet sich nun immer häufiger auch ein Angebot zur Videosprechstunde auf den Webpräsenzen von gynäkologischen Praxen. Die Rahmenbedingungen dafür sind so gut wie nie zuvor:

„Die Videosprechstunde funktioniert ähnlich unkompliziert wie eine normale Sprechstunde auch“, heißt es in einer Corona-Praxisinfo (PDF) der KBV, die auf ihrer Website – ebenso wie die einzelnen Länder-KVen – ausführlich über die Organisation und Vergütung der Videosprechstunde sowie über die grundsätzlichen Voraussetzungen und die Corona-bedingten Ausnahmeregelungen informiert.

Erforderlich ist die Registrierung bei einem KBV-zertifizierten Videodienstanbieter (Liste mit Stand vom 19.10.2020; PDF) und die vorherige Anzeige bei der zuständigen KV (Übersicht über das jeweilige Anzeige-Verfahren; PDF). Die KV Bremen hat am 20.04.2020 mitgeteilt, dass die Videosprechstunde ohne zusätzliche Genehmigung vorerst auch zu Hause bzw. außerhalb der zugelassenen und der KV gemeldeten Praxen abgehalten werden kann.

Erhöhter Bedarfsdruck fördert die Etablierung im Praxisalltag

Nicht alles an der Telemedizin, was in Anpreisungen von kommerziellen Anbietern und Befürwortern glänzt, ist Gold; der Teufel steckt häufig im Detail. Deshalb spielt neben besseren Rahmenbedingungen (die v. a. auch die Vergütung von Beratungsleistungen umfassen müssen) der Bedarfsdruck eine große Rolle bei der dauerhaften Etablierung der digitalen Möglichkeiten. In Corona-Zeiten hat sich dieser Bedarfsdruck beispielsweise für HNO-Ärzte deutlich gesteigert, die bei Untersuchungen einem erhöhtem Infektionsrisiko für COVID-19 ausgesetzt sind. Ein aktueller narrativer Review1 kommt zu folgendem Ergebnis:

„Telemedizin kann sowohl im direkten Patientenkontakt als auch bei der konsiliarischen Unterstützung von Allgemeinmedizinern hilfreich sein. Die vorliegenden Studien zeigen, dass im Durchschnitt mehr als 50 % der Arztbesuche telemedizinisch durchführbar wären. Sowohl Ärzte als auch Patienten bewerten den Einsatz von Telemedizin als positiv. Weder die Bildqualität noch die Handhabung der Technik stellen relevante Hindernisse bei der sicheren Diagnosestellung dar. Patienten gaben an, dass der telemedizinische Arztbesuch nicht länger dauerte als ein traditioneller Arztbesuch. Zudem wurde von den Patienten die schnellere und bessere Verfügbarkeit von medizinischer Versorgung durch Telemedizin hervorgehoben.“

Die schon 2018 eingeführte Videosprechstunde wird wohl zunehmend aus ihrem Dornröschenschlaf erwachen und kann gerade in der gynäkologischen Beratungspraxis wertvolle Dienste leisten – wenn die Patientinnen das Angebot noch stärker als in der Anlaufphase annehmen werden, womit durchaus zu rechnen ist.

Referenzen:

  1. Hagge D et al. Chancen und Einsatzmöglichkeiten von Telemedizin in der Hals‑, Nasen- und Ohrenheilkunde bei der Bekämpfung von SARS-COV-2. HNO 2020. https://doi.org/10.1007/s00106-020-00864-7

Abkürzungen:
DGGG = Deutsche Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e. V.
GKV = Gesetzliche Krankenversicherung
KV = Kassenärztliche Vereinigung
KBV = Kassenärztliche Bundesvereinigung