MHT und Brustkrebsrisiko: Neue Erkenntnisse?

Die Veröffentlichung einer Metaanalyse zur Assoziation von Brustkrebsrisiko und menopausaler Hormontherapie hat im vergangenen Jahr ein breites mediales Echo gefunden. Welche Erkenntnisse sind wirklich neu?

Im vergangenen Jahr erschien im Fachjournal The Lancet eine Metaanalyse1 von 58 epidemiologischen Studien zur Assoziation zwischen menopausaler Hormontherapie (MHT) und Brustkrebsrisiko. Die Collaborative Group on Hormonal Factors in Breast Cancer (CGHFBC), eine internationale, von Oxforder Epidemiologen angeführte Wissenschaftlergruppe, kam dabei zu dem Schluss, dass Hormontherapien das Brustkrebsrisiko langfristig erhöhen.

Wichtige Fakten der Lancet-Studie:

Ob in Fachkreisen wie auf esanum.de oder in der Publikumspresse: Das Medienecho auf diese Veröffentlichung in einem der renommiertesten medizinischen Fachjournale war, wie zu erwarten, groß.

Ein gewisses Brustkrebsrisiko ist bei bestimmten Formen der HRT zwar zu beachten, aber kein Grund, im individuellen Fall auf die Erwägung einer Hormontherapie zu verzichten – das war bis dahin der Status quo der wissenschaftlichen Erkenntnis und Grundlage für die diesbezüglichen Einschätzungen und Empfehlungen der S3-Leitlinie2:

HRT oder MHT?
Statt von „Hormonersatztherapie“ (hormone replacement therapy = HRT) ist auch in Deutschland, in Anlehnung an den angloamerikanischen Sprachgebrauch, immer häufiger von der „Menopausalen Therapie“ (menopausal hormone therapy = MHT) die Rede. Dabei handelt es sich nicht um einen klassischen Hormonersatz, wie ihn etwa die Insulin-Gabe bei Diabetes-Patienten darstellt. Vielmehr geht es bei strenger Indikationsstellung um die medikamentöse Therapie von Beschwerden, die aufgrund der physiologischerweise niedrigeren Östrogen-Spiegel in der Peri- und Postmenopause auftreten können.

Und jetzt?

Hat sich daran jetzt etwas geändert? Liefert die Lancet-Publikation die evidenzbasierte Bestätigung dafür, dass die Hormonersatztherapie doch „Brustkrebs macht“, wie die Überschriften der medialen Reaktionswelle suggerieren? Ergibt sich damit eine neue Situation, in der sich die gegenwärtige „Trendwende der Trendwende“ – hin zu einer differenzierten Hormontherapie3 – erneut umkehrt?

In einer von Prof. Günter Emons (Göttingen) für die DGGG verfassten Stellungnahme4 heißt es: „Die jetzt vorgelegten Zahlen zu den zusätzlichen Brustkrebsfällen liegen im Bereich der in der S3-Leitlinie zur Aufklärung der Patientin angegebenen Häufigkeiten, so dass sich bei Befolgung der S3-Leitlinie keine relevanten Änderungen ergeben.“ Zugleich sieht Emons einen „deutlichen Trend zur ‚Liberalisierung‘“ im Umgang mit der MHT und empfiehlt, diesen „zugunsten einer stärkeren Leitlinienadhärenz“ zu hinterfragen.

Wichtige Botschaft: Risikofaktor Adipositas

Für die Internationale Menopause Gesellschaft (IMS) sind viele der Informationen bezüglich Brustkrebsrisiko und MHT „nicht neu“, wenngleich die Beobachtungen bezüglich der ET von jenen in der randomisierten WHI-Studie abweichen. Dafür unterscheiden sich die heute empfohlenen MHT-Regimes von jenen aus der Zeit, in der die analysierten Studiendaten generiert wurden. Eine Aussage zum Brustkrebsrisiko unter den Bedingungen der heutigen Verordnungspraxis ist damit nicht gegeben. Stattdessen sollte eine andere Take-Home-Message beachtet werden: die Rolle der Adipositas als wichtiger Risikofaktor für Brustkrebs – gerade angesichts des hohen Anteils an übergewichtigen oder adipösen Frauen über 50, bei steigender Prävalenz.5

In das gleiche Horn stößt BVF-Präsident Dr. Christian Albring, der angesichts der Konsistenz von Adipositas und Brustkrebsrisiko das Aufgabenfeld der Gynäkologen als „Präventionsspezialisten“ hervorhebt. Gleichzeitig kritisiert Albring, dass sich die Metaanalyse zum Großteil mit Studien beschäftigte, die „unverständlicherweise aus der Zeit vor der WHI-Studie mit Substituten wie MPA, NETA und konjugierten Östrogenen mit Östron“ stammten.6

Keine neue Erkenntnis – und keine Angaben zur Mortalität …

Prof. Petra Stute (Zürich) zieht bei ihrer Kommentierung der Lancet-Publikation folgendes Fazit : „In Gesamtschau aller Studien, auch der hier nicht berücksichtigten RTC und E3N-Studie, kann festgehalten werden, dass eine kombinierte MHT in Abhängigkeit von der Anwendungsdauer das Risiko für Brustkrebs erhöht (keine neue Erkenntnis). Legt man das Gewicht mehr auf die qualitativ besseren Studien, so steigt das Risiko ab 5–6 Jahren Therapiedauer an. In der täglichen Praxis ist dies längst Teil der MHT-Beratung.“7

Auf die in der Metaanalyse nicht thematisierte Mortalität geht Prof. Matthias Wenderlein (Ulm) in seinem Kommentar zu dieser Arbeit ein. Er weist auf eine finnische Studie hin, bei der knapp eine halbe Million HRT-Anwenderinnen erfasst wurden. Da die Daten von einem unselektierten Kollektiv stammen, wird ihnen ein hoher Evidenz-Wert beigemessen. Die Schlussfolgerung der finnischen Autoren: Ohne MHT geht Brustkrebs bei 1 von 10 Frauen tödlich aus, bei einer MHT-Anamnese bei 1 von 20. Wenderlein merkt an: „Warum die Lancet-Publikation ohne jegliche Angaben zur Mortalität auf diese Studie nicht einging, bleibt unklar. Demgegenüber erscheint die Erhöhung der Morbidität eher marginal.“8

Wie kann man verunsicherte Frauen in der Praxis beraten?

Auch wenn man als Gynäkologe die Ängste vor einer Hormonbehandlung und die medial geschürte Verunsicherung vieler Frauen nicht teilen muss – ernst nehmen sollte man sie auf jeden Fall. Der Krebsinformationsdienst des DKFZ hat kürzlich auf seiner Website einen Aufklärungsbeitrag zur HRT unter dem Titel „Wechseljahre: Krebsrisiko durch Hormone?“ geleistet. Dort heißt es:

Risiko Brustkrebs: Experten gehen davon aus, dass eine Hormontherapie mit Östrogen alleine oder mit Östrogen und Gestagen das Brustkrebsrisiko, wenn überhaupt, nur geringfügig erhöht.

Leicht erfassbar und deshalb besonders hilfreich ist zudem die Einordnung und grafische Darstellung des Brustkrebsrisikos einer MHT im Vergleich zu anderen Risikofaktoren – getreu dem Motto: „Ein Bild sagt mehr als 1.000 Worte“. Die folgende Grafik aus einem früheren Review9 macht das deutlich – auch dann noch, wenn die Balken für die Hormontherapie anhand der diskutablen Daten aus der Lancet-Studie angepasst werden.


Brustkrebsrisiko im Vergleich: mit Hormontherapie (CEE bzw. CEE/MPA), beruflicher Exposition sowie endogenen Risikofaktoren assoziierte relative Brustkrebsrisiken (modifiziert nach Lobo 20179).

Referenzen:

  1. Collaborative Group on Hormonal Factorsin Breast Cancer (2019). Type and timing of menopausal hormone therapy and breastcancer risk: individual participant meta-analysis of the worldwide epidemiological evidence. Lancet 2019;394(10204):1159-68
  2. S3-Leitlinie Peri- und Postmenopause – Diagnostik und Interventionen. AWMF-Registernummer 015-062. 2018. Version 2.0
  3. Römer T. Differenzierte Hormontherapie in der Peri- und Postmenopause. CME-Verlag 2019
  4. Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe e. V. (DGGG) zur Lancet-Studie „Type and timing of menopausal hormone therapy and breast cancer risk: individual participant meta-analysis of the worldwide epidemiological evidence“. 09.09.2019
  5. IMS Comment on the paper published by the Collaborative Group on Hormonal Factors in Breast Cancer in The Lancet. Press Statement – Aug 29, 2019
  6. Albring C. Editorial. Frauenarzt 2019;60(9):553
  7. Stute P. Und eine HRT „macht“ doch Brustkrebs!? Gynäkologische Endokrinologie 2019·17:284-7
  8. Wenderlein JM. HRT als Brustkrebs-Risiko differenzierter diskutieren. Frauenarzt 2019;60(12):823-5
  9. Lobo RA. Hormone-replacement therapy: current thinking. Nat Rev Endocrinol 2017;13(4):220-31

Abkürzungen:
BVF = Berufsverband der Frauenärzte
CEE = konjugierte equine Estrogene
ER = Estrogenrezeptor
ET = Estrogen-Therapie
EPT = Estrogen-Gestagen-Therapie
HRT = Hormonersatztherapie (hormone replacement therapy)
IMS = International Menopause Society
MHT = menopausale Hormontherapie
MPA = Medroxyprogesteronacetat
NETA = Norethisteronacetat
RCT = randomisierte kontrollierte Studie (randomized controlled trial)
WHI = Women’s Health Initiative