Orale Kontrazeption während der SARS-CoV-2-Pandemie: Umstellen oder fortführen?

Thromboembolische Ereignisse im Rahmen einer systemischen inflammatorischen Reaktion gehören zu den gefürchteten Komplikationen einer Covid-19 Erkrankung.<sup>1,2</sup> In diesem Zusammenhang wird daher prophylaktisch die individuelle Einschätzung vorliegender Risikofaktoren empfohlen – darunter auch die Berücksichtigung thrombogener Effekte bestimmter Kontrazeptiva.<sup>3</sup>

15 Millionen zusätzliche ungeplante Schwangerschaften durch die Pandemie

„Lock-down“, häusliche Quarantäne, die Angst vor einer Infektion – alles Faktoren, weswegen während der Pandemie vor allem Routinetermine wie beim Gynäkologen häufig aufgeschoben werden. Hinzu kommt die Unsicherheit vieler Patienten, ob die orale Kontrazeption nun ein Risiko für thromboembolische Komplikationen im Rahmen einer Covid-19-Erkrankung erhöht. Das macht die adäquate Betreuung und Folgebehandlung vieler Patienten zu einer großen Herausforderung. Weltweit rechnet das Guttmacher Institut daher mit 15 Millionen zusätzlichen ungewollten Schwangerschaften während der Pandemie – besonders jedoch in den Entwicklungsländern.6 Die Gewährleistung einer angemessenen medizinischen Aufklärung und Beratung – auch trotz der aktuell eingeschränkten Bedingungen – ist daher von hoher Wichtigkeit.4,5

Aus medizinischer Sicht gibt es bisher keinen Hinweis auf ein erhöhtes Risiko für schwere Covid-19-Krankheitsverläufe, die ein generelles Absetzen oder Umstellen bestimmter kontrazeptiver Methoden rechtfertigen. Es wird jedoch vermehrt diskutiert, ob bei einigen Präparaten wegen ihrer thrombogenen Effekte in Bezug auf die individuelle Risikominimierung eine Umstellung auf andere kontrazeptive Methoden erwogen werden sollte.4,5

Unterschiedliche Präparate – unterschiedliche Risikoprofile

Bekanntermaßen hat nicht jede hormonelle Verhütungsmethode das gleiche thrombogene Risikoprofil, dementsprechend richtet sich die Frage einer potenziellen Umstellung auch nicht an alle Anwenderinnen. Außerdem müssen bei dieser Überlegung immer auch die möglichen Risiken eines Präparatewechsels miteinbezogen werden – wie die Frage, ob dafür ein persönlicher Termin erforderlich ist oder die Umstellung auch über eine telefonische oder Video-Konsultation erfolgen kann – die österreichische Gesellschaft für Gynäkologie und Geburtshilfe gibt auf Basis internationaler Studien folgende Empfehlungen für die einzelnen Präparate ab:4,5,7

Östrogenhaltige kombinierte orale Kontrazeptions-Präparate (COC)

Gerade bei dieser hormonellen Verhütungsmethode ist das Risiko für thromboembolische Ereignisse im Vergleich zu anderen Methoden erhöht.8 Daher ist eine ärztliche Gesamtbeurteilung unter Berücksichtigung aller etwaig vorliegender Risikofaktoren (beispielsweise wie Rauchen, erhöhter BMI, arterielle Hypertonie) fester Bestandteil der Beratung, bevor COCs verschrieben werden. Da dies während der aktuellen Pandemie nur bedingt möglich ist, wird empfohlen bei Neueinstellungen von Patientinnen reine Progesteron-Präparate (POP) zu bevorzugen.

In diesem Zusammenhang kann auch die Anwendung von „Long-acting-reversible-Contraceptives“ wie Kupfer-IUDs, LNG-Intrauterinspiralen oder ENG-Implantaten besprochen werden. Diese haben bezüglich der aktuellen Ausnahmesituation den Nachteil, dass für die Applikation ebenfalls ein direkter Kontakt notwendig ist. Lässt sich ein persönlicher Termin ohnehin nicht vermeiden, sollten diese Methoden jedoch prioritär eingesetzt werden.9

Für alle Anwenderinnen mit dokumentiertem niedrigem Thromboembolie-Risiko besteht keine dringende Indikation für einen Präparatewechsel. Hier ist während der Pandemie auch ohne persönlichen Termin eine Neuverschreibung möglich, immer unter der Voraussetzung, dass kein anderer medizinischer Grund für eine gynäkologische Untersuchung vorliegt.

Reine Progesteron-Präparate (POP)

Im Rahmen der generellen Risikominimierung des individuellen Thromboserisikos werden POPs bevorzugt für die Neueinstellung von Patientinnen während der aktuellen Bedingungen empfohlen. Anwenderinnen, die bereits seit längerer Zeit gut auf das jeweilige Progesteron-Präparat eingestellt sind, können prinzipiell auch ohne persönlichen Termin ein Folgerezept erhalten, um so das Infektionsrisiko möglichst gering zu halten.

Depot Medroxy-Progesteron-acetat (3-Monatsspritze)

Auch diese Verhütungsmethode erhöht nachweislich das Thrombose-Risiko der Anwenderinnen.9 Demnach kann auch hier die Umstellung auf ein POP erwogen werden, sollten dafür keine Kontraindikationen bestehen. Bei gut eingestellter, seit längerem bestehender Selbstapplikation ist ebenfalls eine Folgeverschreibung ohne neuerliche körperliche Untersuchung möglich – wieder nur unter der Voraussetzung, dass eine gynäkologische Beurteilung nicht aus anderen Gründen notwendig ist.

Fazit für die Pandemie: Kontrazeption hat hohe Priorität, jedoch unter Berücksichtigung des Thromboserisikos

Auch wenn bisher kein eindeutiger Hinweis für einen negativen Einfluss einer hormonellen Kontrazeption auf das Outcome von Covid-19-Erkrankten gezeigt werden konnte, lauten die Empfehlungen der gynäkologischen Gesellschaften, die individuelle Einschätzung des Thromboserisikos unter diesem Gesichtspunkt zu überprüfen und gegebenenfalls die Patienten neu einzustellen. Gleichzeitig gilt es, Frauen mit Verhütungswunsch auch während der Pandemie bestmöglich Zugang zu effektiven kontrazeptiven Methoden und eine entsprechende Beratung zu gewährleisten.4,5

Am Ende hängt die Wahl der jeweiligen Verhütungsvariante von vielen Faktoren ab und ist eine individuelle Entscheidung zwischen Arzt und Patientin. Im besten Fall sollte die Auswahl des Präparats unter Berücksichtigung der optimalen Minimierung des Infektionsrisikos getroffen werden, ohne jedoch auf eine angemessene medizinische Beurteilung der Gesamtsituation und anderer bestehender Risikofaktoren vor Verschreiben eines Kontrazeptivums zu verzichten. Wann immer möglich sind Beratungen per Telefon- oder Videosprechstunde zu bevorzugen, stets unter der Voraussetzung, dass keine anderen Gründe eine medizinische Untersuchung erforderlich machen.7

Referenzen:

  1. Driggin E, Madhavan MV, Bikdeli B, Chuich T, Laracy J, Biondi-Zoccai G, u. a. Cardiovascular Considerations for Patients, Health Care Workers, and Health Systems During the COVID-19 Pandemic. J Am Coll Cardiol. 12. Mai 2020;75(18):2352–71.
  2. Wang J, Hajizadeh N, Moore EE, McIntyre RC, Moore PK, Veress LA, u. a. Tissue plasminogen activator (tPA) treatment for COVID-19 associated acute respiratory distress syndrome (ARDS): A case series. J Thromb Haemost JTH. Juli 2020;18(7):1752–5.
  3. Tang N, Bai H, Chen X, Gong J, Li D, Sun Z. Anticoagulant treatment is associated with decreased mortality in severe coronavirus disease 2019 patients with coagulopathy. J Thromb Haemost. Verfügbar unter: https://onlinelibrary.wiley.com/doi/abs/10.1111/jth.14817
  4. Fruzzetti F, Cagnacci A, Primiero F, De Leo V, Bastianelli C, Bruni V, u. a. Contraception during Coronavirus-Covid 19 pandemia. Recommendations of the Board of the Italian Society of Contraception. Eur J Contracept Reprod Health Care Off J Eur Soc Contracept. Juni 2020;25(3):231–2.
  5. Royal College of Obstetricians and Gynecologists. FSRH CEU clinical advice to support provision of effective contraception during the COVID-19 outbreak. 2020. Verfügbar unter: https://www.fsrh.org/documents/fsrh-update-provision-of-contraception-during-covid19/
  6. Riley T, Sully E, Ahmed Z, Biddlecom A. Estimates of the Potential Impact of the COVID-19 Pandemic on Sexual and Reproductive Health In Low- and Middle-Income Countries. Int Perspect Sex Reprod Health. 16. April 2020;46:73–6.
  7. OEGGG - Empfehlungen zur Kontrazeption in der Covid-19 Pandemie– VNR 250820. Verfügbar unter: https://www.oeggg.at
  8. Martínez F, Ramírez I, Pérez-Campos E, Latorre K, Lete I. Venous and pulmonary thromboembolism and combined hormonal contraceptives. Systematic review and meta-analysis. Eur J Contracept Reprod Health Care Off J Eur Soc Contracept. Februar 2012;17(1):7–29.
  9. Glisic M, Shahzad S, Tsoli S, Chadni M, Asllanaj E, Rojas LZ, u. a. Association between progestin-only contraceptive use and cardiometabolic outcomes: A systematic review and meta-analysis. Eur J Prev Cardiol. Juli 2018;25(10):1042–52.
  10. Effectiveness and safety of extending intrauterine device duration: a systematic review - PubMed [Internet]. [zitiert 18. Februar 2021]. Verfügbar unter: https://pubmed-ncbi-nlm-nih-gov.emedien.ub.uni-muenchen.de/31954154/
  11. Ali M, Akin A, Bahamondes L, Brache V, Habib N, Landoulsi S, u. a. Extended use up to 5 years of the etonogestrel-releasing subdermal contraceptive implant: comparison to levonorgestrel-releasing subdermal implant. Hum Reprod Oxf Engl. November 2016;31(11):2491–8.
  12. Royale College FSRH CEU recommendation on extended use of the etonogestrel implant and 52mg levonorgestrel-releasing intrauterine system during COVID restrictions [Internet]. 2020. Verfügbar unter: https://www.fsrh.org/fsrh-and-covid-19-resources-and-information-for-srh/