Periodenschmerz: Was ist noch „normal“?

Eine der häufigsten Erkrankungen in der gynäkologischen Praxis wird laut Experten in ihrer Bedeutung unterschätzt und laut Statistik viel zu spät erkannt. Um welche handelt es sich?

Fallbeispiel1: unerträgliche Regelschmerzen

Unterbauchschmerz: das unspezifische Leitsymptom der Endometriose

Unterbauchschmerz, häufig kombiniert mit Sterilität, ist das wenig spezifische Leitsymptom der Endometriose, die über das Auftreten endometriumartiger Zellverbände außerhalb des Cavum uteri definiert wird.2 Zyklusabhängige Schmerzen wie Dysmenorrhoe, Dyspareunie, Dyschezie und Dysurie zählen zu den typischen Beschwerden. Das heterogene Krankheitsbild kann sich allerdings, je nach Lokalisation, auch ganz anders manifestieren, z. B. mit Übelkeit, Darmsymptomen, Kopfschmerzen und Schwindel, Magenbeschwerden, Thoraxschmerzen, Atemproblemen, bis hin zu häufigen Infektionen und subfebrilen Temperaturen.3,4

Nur etwa bei der Hälfte der betroffenen Frauen tritt die Endometriose spürbar in Erscheinung. Dabei korreliert die Symptomatik nicht mit dem Schweregrad der Erkrankung. Im Einzelfall ist deshalb nicht immer klar, ob tatsächlich eine Erkrankung oder eher ein Befund vorliegt.2,3,4 Der maskierende Effekt der variationsreichen Symptomatik erschwert die Differentialdiagnose der Endometriose in den Fachbereichen Gynäkologie, Gastroenterologie, Urologie, Psychosomatik und Allgemeinmedizin, wodurch es häufig zu Fehldiagnosen kommt (z. B. Adnexitis, psychogene Beschwerden oder prämenstruelles Syndrom).5

Zu wenig ernst genommen?

Ein Grund für die unbefriedigende Diagnoselatenz könnte aber auch sein, dass die Endometriose trotz ihrer Häufigkeit unter Frauen zu wenig bekannt ist und in der Ärzteschaft nicht im Fokus des Interesses steht. „Endometriose ist immer noch nicht in der Praxis kompetent vertreten. Von vielen Frauenärztinnen und Frauenärzten wird diese Erkrankung noch als relativ selten, bedeutungslos und uninteressant eingestuft“, schrieb etwa Prof. Karl-Werner Schweppe, Vorstand der Stiftung Endometriose-Forschung, im vergangenen Jahr in einem Beitrag zum Qualifizierungsprogramm mit Zertifikat für Niedergelassene, das die Stiftung anbietet.6

Mit einer geschätzten Prävalenz von 5–15 % ist die Endometriose bei Frauen im reproduktiven Alter keineswegs selten. Die Inzidenz wird mit bis zu 40.000 Neuerkrankungen pro Jahr in Deutschland beziffert. Die Krankenhausstatistik weist 20.000 Behandlungsfälle aus, was eine stationäre Behandlungsrate von 50 % bedeutet.6,7 Die Endometriose ist also nicht nur eine der häufigsten gynäkologischen Erkrankungen. Sie ist auch gesundheitsökonomisch ein ernstzunehmendes Problem, das hohe Kosten und oft über Jahre hinweg krankheitsbedingte Ausfälle der Betroffenen verursacht.2

Stichwort „ernst nehmen“: Angesichts der fließenden Übergänge zwischen Regel- und Endometrioseschmerzen besteht die Gefahr, die Beschwerden als „normal“ einzustufen und die Patientinnen mit ihrer Erkrankung nicht ernstzunehmen, wie Prof. Stefan Renner (Böblingen), Präsident der Europäischen Endometriose-Liga, kürzlich auf apotheken-umschau.de mahnte. Dabei müssen viele Frauen schon im privaten Bereich mit mangelndem Verständnis fertig werden. Auch die Patientin aus dem obigen Fallbeispiel berichtete im Arztgespräch davon, dass die anfängliche Fürsorge ihres Partner in Unverständnis für ihren „Weiberkram“ umgeschlagen sei.

Wichtiges für die Praxis4,8–13:

Referenzen:

  1. modifiziert nach Pedain C, Garcia JH. Kasuistik Endometriose. Fachartikel, 22.09.2005 (thieme.de; Zugriff am 07.02.2020)
  2. DGGG Leitlinienprogramm. S2k-Leitlinie: Diagnostik und Therapie der Endometriose. AWMF-Register Nr. 015/045. Gültig bis 30.08.2018 (abrufbar unter: https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/015-045.html)
  3. Imboden S, Mueller M. Ein Chamäleon unter den gynäkologischen Erkrankungen – Endometriose. Schweiz Med Forum 2017;17(32):654-9
  4. Fessler B. Warum die Endometriose noch immer ein Problemfeld ist. Basierend auf: Hauptthema: Allgemeine Gynäkologie, Vortrag „Endometriose", FOKO Fortbildungskongress der Frauenärztlichen Bundesakademie, Düsseldorf, 23. Februar 2019 (springermedizin.de; Zugriff am 07.02.2020)
  5. Zeppernick F, Zeppernick M. QS ENDO Real. Eine Studie der Stiftung Endometrioseforschung (SEF) zur Realität der Versorgungsqualität von Patientinnen mit Endometriose in Deutschland, Österreich und der Schweiz. Endometriose-Aktuell 2019;1:18-9
  6. Schweppe KW. Qualifizierung von endometrioseinteressierten Niedergelassenen durch Erwerb eines Zertifikats: „Spezielle Qualifizierung auf dem Gebiet der Endometriose“, welches von der Stiftung Endometriose-Forschung und der Europäischen Endometriose-Liga nach Prüfung der Qualifikation verliehen wird. Endometriose-Aktuell 2019;1:13-5
  7. Reichert VM et al. Schritt für Schritt zur schnelleren Diagnose. Endometriose — ein Überblick. Gynäkologie + Geburtshilfe 2017;22(5):42-50
  8. Renner S, Müller A. Endometriose. In: Leidenberger F., Strowitzki T., Ortmann O. (Hrsg). Klinische Endokrinologie für Frauenärzte. 2014. Springer, Berlin, Heidelberg
  9. Donutiu R at al. Gynäkologie – highlighted. Bayerisches Ärzteblatt 2019;4:144-9
  10. Agarwal SK et al. Clinical diagnosis of endometriosis: a call to action. Am J Obstet Gynecol 2019;220(4):354.e1-354.e12
  11. Gambadauro P et al. Depressive symptoms among women with endometriosis: a systematic review and meta-analysis. Am J Obstet Gynecol 2019;220(3):230-41
  12. Römer T. Update - Endometriose - Langfristig weniger Schmerzen und mehr Lebensqualität. Webinar, 18.04.2018 (arztcme.de; Zugriff am 10.02.2020)
  13. Boosz A et al. Zertifizierung von Endometriosezentren. Endometriose-Aktuell 2019;1:8-12