Stuhldringlichkeit bei Colitis ulcerosa – ein unterschätztes Problem
Neben den bekannten Symptomen wie Blut im Stuhl, Durchfall oder Bauchschmerzen, geht die Colitis ulcerosa (CU) auch häufig mit plötzlichem Stuhldrang einher – mit oder ohne Inkontinenz.
Neben den bekannten Symptomen wie Blut im Stuhl, Durchfall oder Bauchschmerzen, geht die Colitis ulcerosa (CU) auch häufig mit plötzlichem Stuhldrang einher – mit oder ohne Inkontinenz. Die Betroffenen werden durch die Stuhldringlichkeit in ihrem Sozialleben oft stark eingeschränkt, dennoch wird das Symptom häufig nicht routinemäßig erfasst. Auf der diesjährigen UEG Week (United European Gastroenterology Week) vom 8. bis 11. Oktober 2022 wurden vier neue Studien zum Thema vorgestellt – mit bemerkenswerten Ergebnissen.
Plötzlicher Stuhldrang ist ein häufiges Symptom bei Colitis ulcerosa und wird von den meisten Patienten als besonders belastend erlebt.1 Doch obwohl das Problem eine klinische Relevanz hat und fast die Hälfte aller Erkrankten darunter leidet, sprechen sie das Problem bei ihren Arztbesuchen nur selten an. Gründe dafür sind vor allem Scham oder Verlegenheit.2-4
Doch auch die Ärzte fragen oftmals nicht aktiv nach dem Problem der Stuhldringlichkeit – sondern warten darauf, dass die Erkrankten sie darauf ansprechen.4 Noch überraschender: Für die meisten Ärzte gehört die Stuhldringlichkeit nicht zu den wesentlichen Beschwerden ihrer CU-Patienten.4
Plötzlicher Stuhldrang ist mehr als nur ein Symptom
Dabei sollte dem Problem deutlich mehr Beachtung geschenkt werden. Schließlich zeigen aktuelle Studien, dass die Stuhldringlichkeit weit mehr als nur ein belastendes Symptom der Colitis ulcerosa ist. So geht zum Beispiel eine frühe Verbesserung des plötzlichen Stuhldrangs mit einer erhöhten Wahrscheinlichkeit der Krankheitsremission einher – und kann sogar ein prädiktiver Marker für die weitere Entwicklung sein.2
Vier Studien zum Thema: das Wichtigste auf einen Blick
Es scheint also überfällig, dem Problem des akuten Stuhldrangs mehr Aufmerksamkeit zu schenken. Nicht nur um die Kommunikationslücke zu schließen, sondern auch um die klinische Relevanz des Symptoms voll auszunutzen. Auf der diesjährigen UEG Week wurden nun vier interessante Studien vorgestellt, die sich mit der Stuhldrangsymptomatik befassten.
Die wichtigsten Ergebnisse auf einen Blick (detailliertere Daten finden Sie in den nachfolgenden Abschnitten):
- Bis zu 50 % der Patienten mit Colitis ulcerosa leiden an plötzlichem Stuhldrang – bis zu 70 % greifen sogar regelmäßig auf Einlagen oder Windeln zurück.3
- Für die meisten ist das Problem so belastend, dass sie nicht aktiv am Sozial- oder Arbeitsleben teilnehmen möchten.3
- Die Mehrheit der Betroffenen würde die Stuhldrangproblematik gerne mit ihrem Arzt besprechen, aber nur die wenigsten tun dies.4
- Auf ärztlicher Seite besteht häufig ein mangelndes Bewusstsein für plötzlichen Stuhldrang – das Problem wird meist auch nicht aktiv angesprochen.4
- Erkrankte können Stuhldrang-Selbstbewertungs-Tools wie die Urgency Numeric Rating Scale (UNRS) nutzen – sie sind einfach in der Anwendung und liefern zuverlässige Ergebnisse.1
- Die UNRS-Werte zeigen eine deutliche Korrelation zu der von den Patienten erlebten Krankheitslast: je höher der Wert, desto aktiver die Erkrankung – und andersherum.1
- Eine frühe Verbesserung der Stuhldringlichkeitssymptomatik geht mit einer höheren Wahrscheinlichkeit für eine Remission einher. Dieser Zusammenhang ist statistisch signifikant.2
Im Folgenden finden Sie die detaillierten Studienergebnisse.
Studie Delbecque: UNRS liefert zuverlässige und relevante Ergebnisse
Die randomisierte, placebokontrollierte Phase-III-Studie hat das Selbstbewertungs-Tool UNRS unter anderem auf Validität und Zuverlässigkeit hin geprüft und analysiert, ob es einen Schwellenwert gibt, der mit einer klinischen, endoskopischen und histologischen Remission einhergeht.1
Das Vorgehen:
- Teilnehmer waren CU-Patienten mit mittelschwerer bis schwerer Colitis ulcerosa.
- Der UNRS-Wert wurde täglich mittels eines elektronischen Tagebuches erfragt.
- Die Skala erstreckte sich von 0 bis 10 – je höher der Wert, desto größer der Stuhldrang.
- Einmal wöchentlich wurde der Mittelwert der angegebenen Punkte berechnet, wenn vier oder mehr Einträge in das Tagebuch vorhanden waren.
- Die Zuverlässigkeit, Validität und Sensitivität der Bewertungsskala wurden sowohl in der Baseline als auch nach 12 Wochen bewertet.1
Stuhldrangbewertung durch CED-Patienten ist aussagekräftig
Das wichtigste Ergebnis der Untersuchung: Die Selbstbewertung der Patienten anhand UNRS ist in relevanten Punkten (berichtete Stuhlfrequenz, subjektive Krankheitslast) aussagekräftiger als die Ergebnisse der klinischen Untersuchungen. Die UNRS-Werte korrelierten im Laufe der 12 Wochen eng mit den Patientenberichten über die Krankheitsaktivität. Die endoskopischen und histologischen Veränderungen zeigten hingegen keine so eindeutige Korrelation zu dem, was die Patienten subjektiv empfanden.1
So bestand ein klarer Zusammenhang zwischen der UNRS und unter anderem
- der Gesamtpunktzahl des Inflammatory Bowel Disease Questionnaire
- den Patientenbewertungen der CU-Krankheitslast
- der berichteten Stuhlfrequenz
- den von Patienten festgestellten rektalen Blutungen.1
Darüber hinaus zeigte die Analyse, dass eine Reduktion auf der UNRS-Skala um drei Punkte mit einer relevanten Änderung der Krankheitslast einhergeht.1 Dieser Wert könnte als klinisch relevanter Schwellenwert dienen.1
Wenig überraschend war hingegen die Erkenntnis, dass ein Score von 0 oder 1 in der UNRS einer klinischen, endoskopischen und histologischen Remission gleichzusetzen ist.
Studie Clemow: Reduzierter Stuhldrang geht auch mit besseren Outcomes einher
Auch für die Evaluation des Therapieansprechens sind UNRS-Werte und ihre Veränderungen im Laufe der Behandlung relevant.
Auf der UEG Week 2022 wurden auch dazu aktuelle Studienergebnisse vorgestellt: Zwei randomisierte, placebokontrollierte Phase-III-Studien gingen mit Hilfe des UNRS der Frage nach, ob unter Therapie mit einem Biologikum eine frühe Verbesserung des Stuhldrangs auch mit verbesserten klinischen Endpunkten vergesellschaftet ist.2
Die Stuhldringlichkeit wurde anhand der UNRS erfasst.
Bemerkenswert: Diejenigen Patienten, die in den ersten vier Wochen der Induktionsphase eine Verbesserung des Stuhldrangs sowie eine klinisch relevante Veränderung der Krankheitslast angaben, hatten auch eine höhere Wahrscheinlichkeit einer späteren Remission– sowohl in der Placebo- als auch in der Verumgruppe.2 Diese Ergebnisse waren statistisch signifikant.2
Daraus lässt sich schließen, dass eine frühe Verbesserung der Stuhldrangsymptomatik ein gut geeigneter Prädiktor für das klinische Outcome ist.2
Studie Schreiber: Plötzlicher Stuhldrang hat besonderen Stellenwert bei der Bewertung der Lebensqualität
Ein internationales Forscherteam führte Online-Befragungen von CU-Patienten in Europa und den USA durch3 –die Ergebnisse sprechen für sich:
- 200 US-amerikanische Patienten und 556 Betroffene aus Europa nahmen an der Befragung teil.
- Die meistgenannten Symptome im Zeitraum eines Monats vor der Befragung waren
- Durchfall (63 % bzw. 50 %)
- plötzlicher Stuhldrang (47 % bzw. 30 %)
- erhöhte Stuhlfrequenz (39 % bzw. 30 %)
- Wenn eine Stuhldrangsymptomatik vorlag, beschrieben 93 % bzw. 89 % der Betroffenen, dass dies mindestens einmal pro Monat der Fall sei.
- Lag eine Drang-Stuhlinkontinenz vor, erlebten 86 % bzw. 71 % der Erkrankten dies mindestens einmal monatlich.
- 69 % bzw. 65 % der Patienten gaben an, in den letzten drei Monaten mindestens einmal Windeln, Einlagen oder sonstigen Schutz gegen Stuhlinkontinenz getragen zu haben.
- Die Hauptgründe, nicht an sozialen Veranstaltungen teilzunehmen, waren plötzlicher Stuhldrang (43 % bzw. 30 %) sowie die Angst vor Dranginkontinenz (40 % bzw. 32 %). Dies beeinträchtigte auch die Teilnahme an Schule, Arbeit und Sport.3
Diese Daten zeigen eindrücklich, wie ausgeprägt Patienten mit moderater bis schwerer Colitis ulcerosa an starkem Stuhldrang und den damit verbundenen Einschränkungen leiden. In dieser relativ jungen Population kann dies mit deutlichen psychosozialen Belastungen einhergehen.3
Studie Travis: Stuhldringlichkeit sollte kein Tabuthema sein
In der weiteren Untersuchung wurden bei der gleichen Studienpopulation auch behandelnde Ärzte in den USA und Europa nach der Kommunikation mit ihren Patienten befragt. 4
Die Ergebnisse:
- Nur knapp die Hälfte der US-amerikanischen Patienten (47 %), die an Stuhldrang leiden, erwähnen dies auch bei jedem ihrer Arzttermine.
- Bei den europäischen Betroffenen sind dies sogar nur 27 %.
- Von denjenigen, die nicht über die Dringlichkeitssymptomatik sprechen, würden etwa 75 % dies jedoch gerne öfter tun.
- 30 % (USA) beziehungsweise 43 % (EUR) der Erkrankten, die jemals einen plötzlichen Stuhldrang erlebt haben, fühlen sich unwohl, das Thema anzusprechen. Die meisten von ihnen (62 % und 58 %) schweigen beim Arzt aus Scham.
- Die befragten Ärzte geben an, dass Diarrhoe (74 % und 65 %), Blut im Stuhl (69 % und 65 %) und erhöhte Stuhlfrequenz (38 % und 34 %) am häufigsten von ihren Patienten beklagt werden.
- 47 % bzw. 40 % der Ärzte, die die Stuhldrangproblematik nicht von sich aus ansprachen, erwarteten laut der Umfrage, ihre Patienten würden dies bei Bedarf tun.4
Diese Ergebnisse legen deutlich die Kommunikationslücke zwischen Patienten und Ärzten offen. Während Erkrankte den plötzlichen Stuhldrang als eines der drei häufigsten Symptome angaben, schafft es dieses Problem bei den behandelnden Medizinern nicht in die Top Drei.4 Zudem wird ersichtlich, dass viele Betroffene aus Scham schweigen – dabei sollte die Stuhldrangsymptomatik als eines der belastendsten und häufigsten Anzeichen der CU einen höheren Stellenwert erhalten.4
Fazit
Das Problem des plötzlichen Stuhldrangs ist ein Kardinalsymptom der Colitis ulcerosa und kann – gerade für die relativ junge Patientenpopulation – mit massiven Einschränkungen des Soziallebens sowie psychosozialer Belastung einhergehen. Ärzte sollten diese Beschwerden aktiv ansprechen und den Betroffenen Therapieoptionen aufzeigen. Die vorgestellten Daten zeigen eindrucksvoll, dass eine frühe Verbesserung der Stuhldringlichkeit mit einem besseren Krankheits-Outcome verbunden ist.
- Delbecque et al., mp404 psychometric validation and interpretation of a patient-reported outcomes instrument to assess bowel urgency among adults with moderate to severe ulcerative colitis, ueg week 2022
- Clemow et al., p0500 association of ulcerative colitis bowel urgency improvement with clinical response and remission, ueg week 2022
- Schreiber et al., p0296 the impact of bowel urgency on the lives of patients with ulcerative colitis in the us and europe: communicating needs and features of ibd experiences (confide) survey, ueg week 2022
- Travis et al., p0295 bowel urgency communication gap between health care professionals and patients with ulcerative colitis in the us and europe: communicating needs and features of ibd experiences (confide) survey, ueg week 2022
DE-UC-JY-202211-00002, November 2022