Schnell agieren – Schmerzgedächtnis vermeiden

Entzündlich-rheumatische Erkrankungen gehen oft mit akuten Schmerzen einher. Unbehandelt können dauerhafte Entzündungen und Fehlhaltungen Schmerzen chronifizieren. Wie ein Schmerzgedächtnis vermieden werden kann, lesen Sie hier.

Schmerz – überlebenswichtig, schützend und komplex

Schmerzen sind Teil des Alltags vieler Menschen mit chronischen Erkrankungen. So belastend Schmerz auch ist: er hat eine wichtige Signalfunktion. So warnt er vor akuten und bedrohlichen Zuständen im Gewebe wie Frakturen oder Infektionen. Das Schmerzempfinden von Menschen ist dabei äußerst komplex. Es wird unter anderem durch das biologische Geschlecht, die bisherigen Erfahrungen mit dem Schmerz und die Persönlichkeitsstruktur beeinflusst. Neben der schützenden Schonhaltung sind lokale Entzündungsprozesse die akute Folge. Verbleibt eine Entzündung im Gewebe, können chronische Schmerzen die Folge sein.1

Wie entstehen chronische Schmerzen?

Bei entzündlich-rheumatischen Erkrankungen sorgen zum einen akute und chronische Entzündungsprozesse und zum anderen strukturell-mechanische Veränderungen für einen andauernden Schmerzreiz in Gelenken oder auch in Enthesen. Diese periphere Sensibilisierung der lokalen Schmerzrezeptoren kann der erste Schritt hin zur Ausbildung eines Schmerzgedächtnisses sein.1 Verschiedene Studien an Modellorganismen für Arthritis konnten zeigen, dass chronische Entzündungsprozesse das periphere und zentrale Nervensystem und auch die Immunabwehr nachhaltig modifizieren. Die Folge: Eine deutlich herabgesetzte Schwelle für Schmerzempfindungen und ein erhöhtes Risiko für selbsterhaltende, chronische Schmerzen, die sich auf den gesamten Körper ausbreiten können (wide spread pain).2,3

Chronischer Schmerz – mehr als nur ein Symptom bei rheumatoider Arthritis

Akuter und chronischer Schmerz hat großen Einfluss auf die Lebensqualität der Patient:innen mit rheumatoider Arthritis (RA). Viele von ihnen beschreiben daher «Schmerz» als das zentrale Symptom. Dabei bleibt es nicht bei einer reinen körperlichen Belastung der Patient:innen. Betroffene mit RA leiden deutlich häufiger an Depressionen und Angstzuständen als gesunde Menschen. Ein Teufelskreis, denn eine beeinträchtigte mentale Gesundheit kann den körperlichen Schmerz weiter verschlimmern.4

Mehrere Studien zeigen, dass Schmerz mit der individuellen Krankheitsaktivität assoziiert ist. Er wird aufgrund dessen häufig als klinischer Indikator für akute Entzündungen genutzt. Jedoch spiegelt der Schmerz der Patient:innen nur schlecht die messbaren Entzündungswerte wider. Aufgrund der peripheren und zentralen Sensibilisierung erleben Patient:innen auch ohne erhöhte Entzündungswerte weiterhin starke Schmerzen – der Schmerz hat sich verselbständigt, ein Anzeichen für Chronifizierung.4 Zusätzlich zerstört eine chronische und unbehandelte Entzündung im Gelenk den Knorpel und den Knochen und führt zu den typischen Gelenkschmerzen. Die langfristige Folge können deformierte Gelenke sein, die wiederum ursächlich für weitere Schmerzen sein können.5

Schmerz bei axialer Spondyloarthritis

Patient:innen mit axialer Spondyloarthritis (axSpA) berichten häufig von Rückenschmerzen. Ursächlich hierfür können axiale Entzündungen, entzündlicher Rückenschmerz und in fortgeschrittenen Fällen strukturelle Veränderungen wie neue Knochenbildung sein. Aber auch Wirbelbrüche oder degenerative Prozesse (zum Beispiel der Bandscheiben) nach langer Erkrankung können Schmerzen verursachen. Ähnlich wie bei RA-Patient:innen sind chronische Schmerzen auch bei Betroffenen mit axSpA keine Seltenheit.6

Frühe Therapie verhindert chronischen Schmerz

Damit Patient:innen kein Schmerzgedächtnis entwickeln, ist eine frühzeitige Eindämmung der Entzündung und des Akutschmerzes essentiell. Wenn die Therapie vor der Sensibilisierung einsetzt, kann der Schmerz über eine adäquate Entzündungshemmung bekämpft werden.1 Neben spezifischen Immunsuppressiva kommen hier vor allem NSAR (Nicht-steroidale Antirheumatika) zum Einsatz. Sie bieten neben der analgetischen auch eine anti-inflammatorische Wirkung. Bei erosiver Arthritis sind NSAR jedoch nicht in der Lage, die fortschreitende Gelenkzerstörung zu stoppen. Daher sind sie auch bei rheumatoider Arthritis nicht als Ersatz für disease modifying drugs einsetzbar.

Auch nicht-medikamentöse Therapien wie Physio-, Ergo- und Psychotherapie können, kombiniert mit der Medikation, bedeutend dazu beitragen, Schmerzen zu lindern. Nicht zuletzt kann auch eine bewusste Ernährung helfen. Ernährungsberater:innen wissen genau, welche Lebensmittel bei Rheuma eher zu empfehlen oder von welchen abzuraten ist.

Sobald Patient:innen unter chronischen Schmerzen leiden, ist eine rein entzündungshemmende Akutmedikation nicht mehr ausreichend. Ein multimodaler Ansatz bestehend aus nicht-medikamentösen Behandlungen (u.a. Schulungen, Physiotherapie) und weiteren medikamentösen Ansätzen (u.a. Kombinationstherapien) ist indiziert und sollte individuell an die Patient:innen angepasst werden.1

Tipps für die Praxis

Fehlbelastungen und Überanstrengungen der Gelenke können bereits bei alltäglichen Handgriffen vermieden werden. Durch spezielle Hilfsmittel und Übungen kann der Alltag für Patient:innen oft so gestaltet werden, dass weniger Schmerzen auftreten. Dies senkt das Risiko für Entzündungen und Fehlhaltungen im entsprechenden Gelenk. Ergotherapeut:innen können Patient:innen anleiten und begleiten und somit einen wertvollen Beitrag zur Krankheitsbewältigung und Schmerzreduktion leisten.7

Quellen

  1. Pongratz G. Akt Rheumatol 2020; 45: 430–442.
  2. Woller SA, et al. Clin Exp Rheumatol. 2017;35 Suppl 107(5):40–46.
  3. Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie e.V. Rheumaschmerzen so früh wie möglich behandeln – Chronifizierung vermeiden [Pressemitteilung] Oktober 2022.
  4. Salaffi F, et al. Pain Res Manag. 2018;2018:8564215.
  5. Maeda K,et al. Int J Mol Sci. 2022;23(5):2871.
  6. Kiltz U, et al. Clin Exp Rheumatol. 2017;35 Suppl 107(5):102–107.
  7. Deutsche Rheuma-Liga Bundesverband e.V. Gelenkschutz im Alltag – gewusst wie! [Broschüre] 2021.

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