24 Jahre und eine Pandemie: Neues zu TNF-Inhibitoren in der klinischen Praxis

Die Therapie chronisch-entzündlicher Erkrankungen hat sich mit der Zulassung der ersten Tumornekrosefaktor (TNF)-Inhibitoren Ende der 90er Jahre nachhaltig verändert. Zu diesem Ergebnis kommen die Autor*innen eines kürzlich erschienenen Review-Artikels, der die Fortschritte im zweiten Jahrzehnt nach Einführung der TNF-Inhibitoren zusammenfasst.<sup>1</sup> Dabei werfen die Autor*innen auch einen Blick auf die Entwicklungen während der COVID-19-Pandemie.

Tumornekrosefaktor (TNF)-Inhibitoren haben die Therapie zahlreicher chronisch-entzündlicher Erkrankungen in den letzten beiden Jahrzehnten nachhaltig gewandelt – zu diesem Ergebnis kommen auch die Autor*innen eines kürzlich erschienenen Review-Artikels:1 Seit der Zulassung des ersten TNF-Inhibitors Etanercept2 1998 habe sich diese Wirkstoffklasse in der Behandlung zahlreicher chronisch-entzündlicher Erkrankungen fest etabliert.1 Nach wie vor blieben sie auch trotz der wachsenden Zahl weiterer Therapieoptionen in vielen Indikationen der Therapiestandard.1

Heute sind insgesamt fünf TNF-Inhibitoren zugelassen: Neben dem löslichen TNF-Rezeptor-Fusionsprotein Etanercept2 sind dies die monoklonalen Antikörper Infliximab3, Adalimumab4 und Golimumab5 sowie Certolizumab6, ein an Polyethylenglycol konjugiertes Fab-Fragment eines TNF-Antikörpers. Für Etanercept, Infliximab und Adalimumab sind zudem bereits mehrere Biosimilars verfügbar.1

In den ersten zehn Jahren nach Einführung der TNF-Inhibitoren in die klinische Praxis wurden vor allem anfänglich bestehende Bedenken hinsichtlich des Sicherheitsprofils ausgeräumt. In den 2010er Jahren folgten bereits weitere Millionen von Patient*innen, die mit TNF-Inhibitoren behandelt wurden.1 Die klinische Erfahrung konnte so weiter verbessert werden.1 Auf ebendiese Fortschritte in der voranschreitenden Ära der TNF-Inhibitoren (seit 2010) blicken nun die Autor*innen um Gerasimos Evangelatos in ihrem Review-Artikel und legen dabei auch ein Augenmerk auf die Erkenntnisse aus der COVID-19-Pandemie.1

Langzeit-Daten zu TNF-Inhibitoren

Das Anwendungsspektrum von TNF-Inhibitoren habe sich in den vergangenen 20 Jahren nicht nur um viele weitere Indikationen erweitert, es konnten auch große Mengen neuer Real-World Daten von Patient*innen mit verschiedenen Grunderkrankungen gesammelt werden, so die Autor*innen. Im Großen und Ganzen habe sich dadurch das positive Sicherheitsprofil der TNF-Inhibitoren bestätigt; neue Sicherheitsbedenken traten nicht auf. Der Vorteil dieser mittlerweile sehr langen Beobachtungszeiträume sei auch, dass sich heute zuverlässige Aussagen über die Auswirkungen einer TNF-Inhibitor-Therapie auf Spätfolgen und die Mortalitätsraten chronisch-entzündlicher Erkrankungen machen ließe: So verweisen die Autor*innen unter anderem darauf, dass sich bei rheumatoider Arthritis (RA) und Psoriasis-Arthritis (PsA) zeige, dass eine Therapie mit TNF-Inhibitoren die synoviale Entzündung kontrollieren und zu einer signifikanten Verringerung der Gelenkerosionen führen könne. Auch zeige sich ein positiver Effekt auf Herz-Kreislauf-Komplikationen: Als Beispiel wird hier genannt, dass bei RA-Patient*innen, die mit TNF-Inhibitoren behandelt wurden, im Vergleich zu Patient*innen, die herkömmliche synthetische Antirheumatika erhielten, die Herzinfarktrate geringer sei. Letzteres sei auch der wahrscheinlichste Grund dafür, dass sich die Mortalitätsrate von RA-Patient*innen nur wenige Jahre nach Einführung der TNF-Inhibitoren signifikant verringerte.1

Sehr deutlich zeige sich der positive Effekt durch TNF-Inhibitoren auch bei chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen (CED): Seit der Einführung der TNF-Inhibitoren seien die durch Komplikationen der CED verursachten Krankenhauseinweisungen um 50 % und Operationen um 33 - 77 % zurückgegangen.1 Ein wichtiger Aspekt sei zudem, dass TNF-Inhibitoren die einzigen Wirkstoffe sind, die für das gesamte Spektrum der lokalen und systemischen Manifestationen bei Patient*innen mit CED angezeigt sind und auch für viele der häufig auftretenden Begleiterkrankungen zugelassen sind.1,3-5

TNF-Inhibitoren während Schwangerschaft und Stillzeit

Unsicherheiten rund um das Thema TNF-Inhibitoren in der Schwangerschaft und Stillzeit begleitete auch das zweite Jahrzehnt nach der Markteinführung der TNF-Inhibitoren. Inzwischen lägen aber immer mehr Erkenntnisse über die Anwendung verschiedener TNF-Inhibitoren während der Schwangerschaft und Stillzeit vor, was nach Ansicht der Autor*innen dazu führte, dass die Erkenntnisse zum Sicherheitsprofil in den letzten Jahren auch auf schwangere Frauen ausgedehnt werden konnten.1 So wiesen die Autor*innen darauf hin, dass die Einnahme von TNF-Inhibitoren während der Schwangerschaft bei Frauen mit chronisch-entzündlichen Erkrankungen auch in Langzeit- und Real-Life-Studien nicht mit einer signifikant erhöhten Rate an angeborenen Fehlbildungen in Verbindung gebracht werden konnte.1 Eine wichtige Erkenntnis der letzten Jahre sei zudem, dass alle TNF-Inhibitoren auch während der Stillzeit weiterhin eingenommen werden könnten.1 Die EULAR hat zu diesem Thema bereits 2016 die "EULAR points to consider for use of antirheumaticdrugs before pregnancy and during pregnancy and lactation" veröffentlicht.7 Diese Aussagen der Autoren stehen zum Teil in Widerspruch mit den Inhalten der jeweiligen Fachinformationen. Bitte informieren Sie sich dazu in Kapitel 4.6 Fertilität, Schwangerschaft und Stillzeit der jeweiligen Fachinformation.2-6

Erkenntnisse aus der COVID-19-Pandemie

Ein in den vergangenen zwei Jahren viel diskutiertes Thema war die Anwendung von TNF-Inhibitoren während der COVID-19-Pandemie. Trotz anfänglicher Bedenken aufgrund der Angst vor einer Immunsuppression brach jedoch nur ein kleiner Teil der Betroffenen die Behandlung mit TNF-Inhibitoren während der COVID-19-Pandemie ab, resümieren die Autor*innen. Mittlerweile lägen solide Daten zum Thema TNF-Inhibitoren und COVID-19 vor: So zeigte sich zwar, dass mit TNF-Inhibitoren behandelte Patient*innen anfälliger für eine Infektion mit SARS-CoV-2 seien, jedoch sei das Risiko für einen schweren Verlauf der Erkrankung nicht erhöht. Im Gegenteil ließ sich sogar ein gewisser protektiver Effekt für Hospitalisierungen aufgrund einer COVID-19-Erkrankung durch die TNF-Inhibitor-Therapie bei Patient*innen mit entzündlich-rheumatischen Erkrankungen, Psoriasis und CED nachweisen. Auch auf die Antikörperbildung nach einer Impfung scheine eine Therapie mit TNF-Inhibitoren keinen Einfluss zu haben. Allerdings sei noch nicht eindeutig geklärt, inwiefern sich eine Therapie mit TNF-Inhibitoren auf die Dauer des Impfschutzes auswirke. Eine frühzeitige Auffrischimpfung könne daher für diese Patient*innen sinnvoll sein.1

Ein weiterer Aspekt ergab sich mit dem wachsenden Verständnis für die Pathogenese schwerer COVID-19 Erkrankungen: Hier rückte der TNF in den Fokus, da dieser Teil des bei COVID-19 auftretenden Zytokinsturms sei.1 Zudem spiele TNF eine entscheidende Rolle bei dem entzündungsbedingten Capillary-Leak-Syndrom, welches zu einer Lungenschädigung bei COVID-19-Patient*innen führe.1 Auf dieser Grundlage werde derzeit das therapeutische Potenzial von TNF-Inhibitoren bei schweren COVID-19 Erkrankungen in mehreren klinischen Studien untersucht.1 Darunter sind die TNF-Inhibitoren Infliximab, Etanercept und Adalimumab, wobei Infliximab in einer klinischen Studie und Etanercept in Case Reports interessante Ergebnisse gezeigt hätten, wohingegen eine Studie mir Adalimumab vorzeitig abgebrochen wurde.1

Biosimilars reduzieren Kosten und verbessern Versorgung

Eine wichtige Entwicklung im zweiten Jahrzehnt der TNF-Inhibitoren ist nach Ansicht der Autor*innen um Gerasimos Evangelatos auch die Zulassung mehrerer Biosimilars von Adalimumab, Etanercept und Infliximab.1 Diese biosimilaren Arzneimittel unterschieden sich bezüglich Wirksamkeit und Verträglichkeit nicht von ihren Referenzprodukten.1 Schon heute hätten sie zu einer signifikanten Kostensenkung der Behandlung mit TNF-Inhibitoren beigetragen.1 Zudem führten die sinkenden Kosten und die größere Anzahl von Herstellern zu einer besseren Verfügbarkeit und Versorgungslage mit TNF-Inhibitoren.1 Die Entwicklung neuer Applikationssysteme und Formulierungen könnte die Anwendbarkeit in einigen Fällen sogar verbessern, so die Autor*innen.1


Quellen

  1. Evangelatos G et al. The second decade of anti-TNF-a therapy in clinical practice: new lessons and future directions in the COVID-19 era. Rheumatol Int. 2022 May 3:1–19. doi: 10.1007/s00296-022-05136-x. Epub ahead of print. PMID: 35503130; PMCID: PMC9063259.
  2. Fachinformation Enbrel®. Stand Mai 2022.
  3. Fachinformation FlixabiTM. Stand Juni 2022.
  4. Fachinformation ImraldiTM. Stand April 2022.
  5. Fachinformation Simponi®. Stand Oktober 2020.
  6. Fachninformation Cimzia®. Stand September 2021.
  7. Götestam Skorpen C et al. The EULAR points to consider for use of antirheumatic drugs before pregnancy, and during pregnancy and lactation. Ann Rheum Dis. 2016 May;75(5):795-810. doi: 10.1136/annrheumdis-2015-208840. Epub 2016 Feb 17. PMID: 26888948.

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