Interdisziplinärer Summit 2023: Plädoyer für verzahnte Behandlung

Chronisch-entzündliche Erkrankungen betreffen häufig mehr als ein Organsystem und nicht selten treten auch mehrere chronisch-entzündliche Erkrankungen gleichzeitig auf. Das stellt Behandler*innen vor zusätzliche Herausforderungen.

Chronisch-entzündliche Erkrankungen wie etwa Morbus Crohn, Rheumatoide Arthritis oder Psoriasis betreffen häufig mehr als nur ein Organsystem und nicht selten treten auch mehrere chronisch-entzündliche Erkrankungen gleichzeitig auf. Das stellt Behandler*innen vor zusätzliche komplexe Herausforderungen, die eine verzahnte Behandlung durch mehrere Disziplinen erfordert. Wie sich die Versorgung von Patient*innen mit chronisch-entzündlichen Erkrankungen durch eine interdisziplinäre Betreuung verbessern lässt, stand im Zentrum der Podiumsdiskussion „Odyssee bis zur richtigen Diagnose und Therapie!“ im Rahmen des von Biogen organisierten 6. Interdisziplinären Summit „Chronisch-entzündliche Erkrankungen – das praxisrelevante Update!“. Prof. Dr. med. Hubertus Nietsch, Gastroenterologe vom Krankenhaus St. Elisabeth und St. Barbara in Halle, leitete die Podiumsdiskussion mit zwei Expertinnen vom Universitätsklinikum Frankfurt am Main, der Rheumatologin Dr. med. Michaela Köhm und der Gastroenterologin PD Dr. med. Irina Blumenstein sowie der Expertin Dr. med. Sandra Philipp, Fachärztin für Dermatologie und Venerologie aus Oranienburg.

Nadelöhr Erstdiagnose – Bewusstsein auf allen Ebenen schärfen

Die der Diskussionsrunde namensgebende „Odyssee“ beginnt für viele Patient*innen mit chronisch-entzündlichen Erkrankungen bereits auf dem Weg zur Diagnose: Facharzt- und Terminmangel stellen in vielen Fällen erste Hürden für eine schnelle Abklärung dar. Dr. Köhm sieht das Nadelöhr auf dem Diagnoseweg in der Vorselektion der Patient*innen in der Primärversorgung. Gerade in Frühstadien inflammatorischer Erkrankungen treten oft wenig ausgeprägte diffuse Symptome auf, die leicht übersehen, nicht miteinander in Verbindung gebracht oder gar als psychosomatische Beschwerden fehlinterpretiert würden. Der Idealfall wäre jedoch, dass genau diese Patient*innen bereits in einer Facharztpraxis vorstellig werden – noch bevor strukturelle Schäden entstehen, so die Rheumatologin. Auch die Dermatologin Dr. Phillipp wünschte sich eine verstärkte Aufmerksamkeit aller Fachgruppen: Sie erlebe häufiger, dass etwa Patient*innen mit Hidradenitis suppurativa oft erst nach mehreren Jahren und zahlreichen chirurgischen Eingriffen scheinbar „einzelner“ Abszesse an die Dermatologie verwiesen würden. Ein Leidensweg, der mit einem größeren Bewusstsein für die Thematik verkürzt werden könnte. Besonders wichtig seien in diesem Zusammenhang deshalb eine Ausbildung und Sensibilisierung der Hausärzt*innen und anderer Zuweiser, wenngleich in den letzten Jahren bereits viel in dieser Hinsicht erreicht wurde.

Interdisziplinäre Diagnose – alle Organe im Blick behalten

Entscheidend sei im nächsten Schritt, dass insbesondere die Patient*innen schnell identifiziert werden, die simultan an mehr als einer inflammatorischen Erkrankung leiden. Diese Patient*innen bedürften einer speziellen Versorgung und hätten eine hohe Wahrscheinlichkeit, mit Biologika behandelt werden zu müssen, sagte Dr. Blumenstein. Ein klassisches Beispiel aus dem Praxisalltag der Gastroenterologin seien Patient*innen, die neben einer CED auch mit entzündlichem Rückenschmerz zu tun hätten. Ärzt*innen sollten daher immer auch aktiv nach weiteren, auf den ersten Blick nicht zusammenhängenden Beschwerden fragen. Bei von Patient*innen als „Morgensteifigkeit“ oder „Verspannungen im Nacken“ bezeichneten Symptomen, müsse man definitiv hellhörig werden und gezielt nachhaken, ergänzte auch Dr. Philipp ihre Erfahrungen aus der dermatologischen Praxis.

Wie eine interdisziplinäre Diagnostik ablaufen kann, zeigt das Beispiel der Entzündungsklinik des Universitätsklinikums Frankfurt am Main, an deren Aufbau Dr. Köhm und Dr. Blumenstein direkt beteiligt sind. Dort sieht die Erstdiagnose eine Untersuchung und Falldiskussion aller Patient*innen durch Rheumatologie, Dermatologie und Gastroenterologie vor. Ähnliche „Inflammations-Boards“ gebe es mittlerweile an den meisten Unikliniken. Diese ermöglichten auch eine Konsultation durch niedergelassene Kolleg*innen. Dr. Blumenstein ermunterte das Publikum, dieses Angebot auch zu nutzen. Gerade in schwächer vernetzten ländlichen Regionen liege darin eine große Chance.

Therapie – Synergien nutzen, Untertherapie verhindern

Eine Besprechung der Fälle im Inflammations-Board ermöglicht auch eine ideal auf die Patient*innen angepasste Therapie. So können Wechselwirkungen ausgeschlossen und Synergien genutzt werden. Am Ende sei es so oft möglich auf eine Monotherapie zu reduzieren, erläutert Dr. Blumenstein die Vorteile. Dies komme in vielerlei Hinsicht den Patient*innen zugute und verbessere die Adhärenz.

Heute scheuten sich noch einige Kolleg*innen aus Kostengründen und Angst vor Regress-Forderungen davor, Biologika zu verschreiben, so die Gastroenterologin. Sie vermute daher in ihrem Fachgebiet viele untertherapierte Patient*innen. Weniger Zurückhaltung in der Verordnung von Biologika wäre nach Ansicht der Expertinnen aber wünschenswert. Eine interdisziplinäre Beratung mit einer gemeinsamen Therapieentscheidung sichere auch hinsichtlich dieses Aspektes ab und halte Einzelfallprüfungen stand. Denn die Leitlinien in der Gastroenterologie hinkten, auch aufgrund der rasanten Fortschritte der vergangenen Jahre, dem Praxisalltag immer etwas hinterher und räumten der konventionellen Therapie nach Ansicht von Dr. Blumenstein immer noch einen zu großen Stellenwert ein. Sie äußerte hier den Wunsch, die patientenzentrierten Behandlungsziele bei der Therapiewahl auch in den Leitlinien stärker in den Fokus zu rücken. Allerdings ermöglichen die Leitlinien auch heute bereits Spielräume: In der Rheumatologie, so Dr. Köhm, erlauben prognostisch ungünstige Faktoren, wie etwa eine erosive Erkrankung oder Knochenveränderungen auch jetzt schon ein schnelleres Ausweichen von der konventionellen Basistherapie hin zu einer Therapie mit Biologika oder „Small Molecules“.

Biosimilars erleichtern Entscheidung für Biologikatherapie

Die Hemmschwelle für den Einsatz einer Biologikatherapie könnte auch durch die wachsende Verfügbarkeit von Biosimilars sinken. Alle Expert*innen waren sich einig, dass Biosimilars hinsichtlich der Pharmaökonomik enorme Vorteile mit sich bringen. Da es sich bei Therapien, die als Biosimilars verfügbar sind, um lang etablierte, vertraute Therapien wie bspw. Tumornekrosefaktor (TNF)-Inhibitoren handele, würden diese gern und häufig eingesetzt. Der im Vergleich zum Original in der Regel günstigere Preis erleichtere dann die Entscheidung für eine Verordnung von Biologika. Dies zeige auch eine kürzlich im Rahmen einer Doktorarbeit durchgeführte Analyse der Patientendaten aus ihrem eigenen Team. Biosimilars würden dort sehr häufig eingesetzt, was deren Stellenwert unterstreiche. Von weiteren, zukünftig verfügbaren Biosimilars für IL-12/23-Inhibitoren erwartet sich die Gastroenterologin einen weiteren Sprung nach vorne. Die Verfügbarkeit von Biosimilars erleichtere auch die Verordnung von Biologika in den Praxen, da damit Unsicherheiten hinsichtlich der Ökonomie der Verordnung oftmals wegfielen.

Die Vorteile des Einsatzes von Biosimilars, von denen sich auch Dr. Philipp überzeugt sah, sollten jedoch nicht dazu führen, dass die Therapieentscheidungsfreiheit eingeschränkt würde. Es müsse möglich bleiben, sich aus medizinischen Gründen auch für ein Präparat zu entscheiden, für welches noch kein Biosimilar verfügbar ist. Auch so habe sie keine Schwierigkeiten, die Biosimilarquote zu erfüllen. Die Unsicherheiten, die es noch vor zehn Jahren gegeben habe, wären mittlerweile ausgeräumt. Denn, so fasste es Prof. Nietsch zusammen, an die gleichwertige Wirksamkeit und Verträglichkeit der Biosimilars im Vergleich zu den Referenzprodukten könne man heute „einen Haken“ machen. Was bleibe, ist der pharmaökonomische Vorteil der Biosimilars.

Interdisziplinärer Summit forciert Austausch zwischen Fachgebieten

Der 6. Interdisziplinäre Summit fand am 24. und 25. November 2023 in Frankfurt am Main statt. Wie in den vergangenen Jahren konnten sich die Teilnehmer in der von Biogen organisierten hybriden Veranstaltung in Präsenz oder virtuell zu aktuellen Themen der drei Fachbereiche und darüber hinaus informieren. Neben der Podiumsdiskussion hielt die Veranstaltung zahlreiche weitere Highlights für die anwesenden Expert*innen aus Rheumatologie, Gastroenterologie und Dermatologie bereit. Die hochkarätig besetzte Expertenrunde diskutierte nicht nur Kongresshighlights und fachfremde Impulsvorträge, sondern erörterte auch interdisziplinäre Kasuistiken und viele weitere aktuelle Themen im Zusammenhang mit der Therapie von chronisch-entzündlichen Erkrankungen.

Weitere Einblicke in die Inhalte des Interdisziplinären Summit und dessen Inhalte erhalten Sie auf der BiogenLinc.

Biogen-234832 v1.0 02/2024