Real-World-Studie: Mehr Therapieabbrüche bei automatischer Substitution von Etanercept

Die automatische Substitution von Biologika in der Apotheke wurde nach zahlreichen Einw&auml;nden mit dem Entwurf des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes um ein weiteres Jahr auf August 2023 verschoben.<sup>1</sup> Eines der Hauptargumente gegen die automatische Substitution ist ein m&ouml;glicher Nocebo-Effekt. Diese Hypothese wird durch eine aktuelle Real-World-Studie mit dem Tumornekrosefaktor (TNF)-Inhibitor Etanercept<sup>2</sup> gest&uuml;tzt.<sup>3</sup>

Die für den 16. August 2022 geplante Umsetzung des 2019 verabschiedeten Gesetzes für mehr Sicherheit in der Arzneimittelversorgung (GSAV) sollte eine automatische Substitution von Biologika (Biosimilars und ihren Referenzprodukten) in der Apotheke ermöglichen und damit dem Vorbild der Aut-idem-Regelung bei Generika folgen.4 Allerdings erfolgte, aufgrund zahlreicher Einwände der unterschiedlichen Fachverbände, mit dem kürzlich verabschiedeten Entwurf des GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes eine Fristverlängerung um ein Jahr.1 Bis August 2023 soll nun eine gründliche Überprüfung durch den G-BA (Gemeinsamer Bundesausschuss) erfolgen und entsprechende Hinweise zur Austauschbarkeit von Biosimilars erarbeitet werden.1 Zudem wurde der Regelungsauftrag konkretisiert: Im ersten Schritt sollen zunächst „Hinweise zur Austauschbarkeit von parenteralen Zubereitungen aus Fertigarzneimitteln zur unmittelbaren ärztlichen Anwendung“ bei Patient*innen erarbeitet werden.1 Medikamente zur Selbstapplikation sind damit zunächst außen vor.

Ein Hauptargument gegen die automatische Substitution von Biologika ist die Befürchtung von Nocebo-Effekten, die entstehen könnten, wenn Patient*innen erfahren, dass sie aus rein wirtschaftlichen Gründen auf ein anderes Biologikum umgestellt werden. Diese These wird durch eine nun erschienene Studie aus Wales mit dem Tumornekrosefaktor (TNF)-Inhibitor Etanercept2 gestützt.3

Automatische Substitution bei Biologika könnte sich negativ auswirken

Eine retrospektive Real-World Kohortenstudie verglich klinische Daten aus zwei administrativen Regionen in Wales, sogenannten Local health boards (LHBs), zur Umstellung vom Referenz-Etanercept auf das Biosimilar Benepali™2 (SB4).3 Während in einem LHB Patient*innen automatisch (ohne Einbeziehung des behandelnden medizinischen Personals) umgestellt wurden, erfolgte der Switch in der anderen Region selektiv durch einen Arzt oder eine Ärztin. Basis für die Analyse war die umfangreiche Secure Anonymised Information Linkage (SAIL)-Datenbank des Gesundheitssystems in Wales.3

Die untersuchte Kohorte umfasste 8.925 Patient*innen mit rheumatoider Arthritis (RA), Psoriasis-Arthritis (PsA) und ankylosierender Spondyloarthritis (AS).3 Davon erhielten 863 Patient*innen das Referenz-Etanercept und 365 Patient*innen SB4.3 Von den Patient*innen unter SB4 waren 279 Etanercept-naiv, und 86 wechselten vom Originalpräparat.3

Insgesamt war der Anteil der Patient*innen, die vom Originalpräparat zu SB4 wechselten, in der Region mit automatischer Substitution höher (28,9 %) als im LHB mit selektivem Switch (10,5 %).3 Allerdings zeigte sich auch, dass die Rate des Therapieversagens von SB4 in der Region mit der automatischen Umstellung mit 15 % signifikant höher war als in der mit einer selektiven Umstellung (4,8 %; Differenz: 10,0, 95 %-KI: 3,2, 15,8; Abb. 1).3 Der Großteil (88,6 % [39 von 44]) der Patient*innen, bei denen die Therapie mit dem Etanercept-Biosimilar versagte, wurde in der Kohorte mit automatischer Substitution behandelt (Differenz: 19,8, 95 %-KI: 6,3, 28,1).3 Zudem war in diesem LHB die Rate der Patient*innen, die Methotrexat erhielten, höher.3

Abbildung 1: Therapieversagen in Regionen mit und ohne ärztliche Beratung vor dem Switch auf ein Biosimilar. (Quelle: Arbeitsgemeinschaft Pro Biosimilars5; modifiziert nach Cooksey et al.3)

Ärztliche Beratung erhöht Therapieerfolg

Betrachtet man die Daten der Personen ohne Switch, die dauerhaft entweder das Referenz-Etanercept oder SB4 erhielten, waren keine Unterschiede in der Wirksamkeit feststellbar.3 Die Autor*innen der Studie vermuten daher überwiegend soziologische Ursachen als Grund für die niedrigere Rate von Therapieversagen in Regionen mit selektiver Umstellung durch die behandelnde Ärztin oder den behandelnden Arzt.3 Eine verstärkte Aufklärung und Einbeziehung der Patient*innen in ihre Behandlungsentscheidungen könnte nach Ansicht der Autor*innen dazu beitragen, Nocebo-Effekte zu reduzieren und Abbruchraten zu verringern.3

Auch die Ergebnisse zweier Studien mit Adalimumab legen nahe, dass trotz vergleichbarer therapeutischer Effekte eine schlechtere Aufklärung und Einweisung der Patient*innen vor einem Switch auf ein Biosimilar zu häufigeren Therapieabbrüchen führen kann6,7: In der einen Studie machten die Autor*innen als mögliche Ursache für die Präferenz für das Referenzprodukt aus, dass zwar über 90 % aller Patient*innen eine individuelle Einführung für das Referenzprodukt erhielten, jedoch weniger als 20 % für das Biosimilar.6 In der zweiten Studie erfolgten die häufigeren Therapieabbrüche unter dem Biosimilar überwiegend aufgrund der Entscheidung der Patient*innen selbst.7 Als Hauptgrund für die Therapieabbrüche wurden lokale Hautreaktionen und Schmerzen an der Einstichstelle angegeben.7 Allerdings vermuten die Autor*innen auch, dass eine suboptimale Aufklärung über Biosimilars und dessen korrekte Anwendung, sowohl des medizinischen Personals, als auch der Patient*innen, einen Nocebo-Effekt begünstigt haben könnte.7


Quellen

  1. Gesetzentwurf der Bundesregierung. Entwurf eines Gesetzes zur finanziellen Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung. Link: https://www.bundesgesundheitsministerium.de/fileadmin/Dateien/3_Downloads/Gesetze_und_Verordnungen/GuV/G/GKV-Finanzstabilisierungsgesetz_Kabinettvorlage.pdf. Letzter Zugriff: 20.09.2022.
  2. Fachinformation BenepaliTM. Stand: Oktober 2022.
  3. Cooksey R et al. Real-world use of an etanercept biosimilar including selective versus automatic substitution in inflammatory arthritis patients: a UK-based electronic health records study. Rheumatol Adv Pract. 2022 Jul 27;6(2):rkac056. doi: 10.1093/rap/rkac056. PMID: 35910710; PMCID: PMC9336562.
  4. Arzneimittel-Richtlinie: Austausch von biotechnologisch hergestellten biologischen Arzneimitteln – § 40a. Online verfügbar unter: https://www.g-ba.de/beschluesse/4430/. Letzter Zugriff: 20.09.2022.
  5. Arbeitsgemeinschaft Pro Biosimilars. Abbildung des Monats September 2022. Link: https://probiosimilars.de/grafik-des-monats/september-2022/. Letzter Zugriff: 15.11.2022.
  6. Karlsdottir et al. A Patients' Perspective Towards the Injection Devices for Humira® and Imraldi® in a Nationwide Switching Program. Front Med (Lausanne). 2022 Jan 27;9:799494. doi: 10.3389/fmed.2022.799494. PMID: 35155495; PMCID: PMC8829031.
  7. Lukas M et al. A switch from originator-adalimumab to the biosimilar SB5 in patients with Crohn's disease: an analysis of two propensity score-matched cohorts. Scand J Gastroenterol. 2022 Jul;57(7):814-824. doi: 10.1080/00365521.2022.2041082. Epub 2022 Mar 2. PMID: 35234552.

Biogen-191060 11/2022