Steril war gestern: Das Mikrobiom der Harnblase

In und auf uns leben zehnmal mehr Mikroben als der Mensch Zellen hat. Optimierte Verfahren zur Urinkultur und die modernen Sequenzierungstechniken geben Forschern immer tiefere Einblicke in das ökologische Geflecht dieser Kommensalen – und sie haben durchaus auch Auswirkungen auf die Urologie.

Von einer nützlichen kommensalen Flora auf unseren Schleimhäuten

In und auf uns leben zehnmal mehr Mikroben als der Mensch Zellen hat. Optimierte Verfahren zur Urinkultur und die modernen Sequenzierungstechniken geben Forschern immer tiefere Einblicke in das ökologische Geflecht dieser Kommensalen – und sie haben durchaus auch Auswirkungen auf die Urologie.

Noch immer gilt die Urinkultur als der Goldstandard zum Nachweis einer Bakteriurie. Mit ihr lassen sich sehr schnell wachsende, aerobe Uropathogene anzüchten. Doch langsam wachsende Anaerobier sind damit nicht zu erfassen. Dank der neuen 16S-rRNA-Sequenzanalyse wird diese Schwäche der Urinkultur jedoch aufgehoben.

Auf diese Weise sind in den vergangenen Jahren zahlreiche neue Bakterienspezies im Urin von Gesunden, asymptomatischen oder auch symptomatischen Patienten ermittelt worden. Das überraschende Ergebnis: Der Harntrakt des Menschen ist keineswegs steril, sondern beherbergt ein für Mann und Frau jeweils individuell verschiedenes Mikrobiom.

Mikrobiom und Dysbiose

Die moderne Mikrobiomforschung zeigt eines ganz deutlich: Insbesondere die apathogenen Bakterien, die den menschlichen Körper besiedeln, sollten als Kommensalen verstanden werden, zum Teil bestehen sogar Beziehungen zu beiderseitigem Nutzen, denn mehr als ein Drittel der im Blut zirkulierenden Stoffwechselprodukte ist bakteriellen Ursprungs, man denke nur an einige Vitamine.

Die kommensale Flora auf der Oberfläche der Schleimhäute hält zudem – zusätzlich zum menschlichen Immunsystem – pathogene Keime davon ab, Fuß zu fassen. Kommt es aber zu einer Störung oder Verschiebung der Mikrobiomzusammensetzung, beispielsweise infolge einer Antibiotikatherapie, treten in vielen Fällen Kollateralschäden am Mikrobiom des Körpers auf, was wiederum Pathogene begünstigt.

Solche Störungen werden als Dysbiose bezeichnet und könnten tatsächlich Krankheitsbilder, z. B. bei urologischen Patienten nach sich ziehen, wie erste Daten aus kleineren Pilotstudien gezeigt hatten. So fand sich bei 74 Patienten mit Dranginkontinenz eine höhere mikrobielle Diversität im Urin, wobei Gardnerellen hier deutlich überwogen. Im Vergleich dazu hatte die gesunde Kontrollgruppe eine geringere Mikrobiomdiversität und es überwogen die Lactobazillen. Interessant war darüber hinaus, dass Patienten mit einer Dranginkontinenz und höherer Mikrobiomdiversität sehr viel schlechter auf die medikamentöse Therapie ansprachen.  

Bedeutung für die Praxis

Neben der Dranginkontinenz scheinen Veränderungen im Mikrobiom des Harntraktes ebenfalls bei der interstitiellen Cystitis und bei Prostatabeschwerden eine Rolle zu spielen. Jedoch handelt es sich in allen Fällen lediglich um erste Befunde aus einzelnen Pilotstudien, die noch mit der nötigen Vorsicht zu interpretieren sind.

Dennoch könnte das Modell einer Dysbiose ein weiterer Erklärungsansatz sein, weshalb Antibiotika bei einer asymptomatischen Bakteriurie nicht mehr angewendet werden sollen. Denn dadurch stiege auch die Gefahr für Kollateralschäden und für eine Dysbiose, z. B. als Grundlage symptomatischer oder rezidivierender Harnwegsinfektionen.

Quelle:
Magistro G., Mikrobiom der Blase und Prostata – Was ist eine Bakteriurie?; Forumssitzung F26 "MRE und Hygiene in der Praxis", DGU-Kongress, 22.09.2017, Messe Dresden.