Physische und psychische Komorbiditäten beachten

Für HIV-Infizierte vor allem in den industrialisierten Ländern sind Komorbiditäten eine hohe Belastung. Welche Risikofaktoren hierbei berücksichtigt werden müssen und welche Interventionen sinnvoll sind, diskutierte Keri N. Althoff, Johns Hopkins Universität, Baltimore, bei der 25. CROI am 6. März 2018 in Boston.

Risiken für HIV-Infizierte sind zahlreich und vielfältig

Für HIV-Infizierte vor allem in den industrialisierten Ländern sind Komorbiditäten eine hohe Belastung. Welche Risikofaktoren hierbei berücksichtigt werden müssen und welche Interventionen sinnvoll sind, diskutierte Keri N. Althoff, Johns Hopkins Universität, Baltimore, bei der 25. CROI am 6. März 2018 in Boston.

"In den Ländern, in denen nicht die Tuberkulose führende Ursache von Morbidität und Letalität bei HIV-Infizierten ist, besteht eine hohe Belastung durch körperliche und seelische Komorbiditäten", erläuterte Althoff einleitend. Dies konnte in verschiedenen Studien z. B. in der Schweiz, in Australien oder Nord-Amerika gezeigt werden. Aber auch in Ländern mit einem hohen Tb-Risiko nehmen Komorbiditäten wie Diabetes mellitus, Hypertonie oder Hypercholesterinämie zu, wie aktuelle Untersuchungen aus Kambodscha oder ländlichen Gegenden Afrikas belegen. "Erwachsene mit HIV sind also eindeutig durch Komorbiditäten belastet", konstatierte Althoff. Die zitierten Studien legten jedoch den Schwerpunkt auf physische Komorbiditäten wie kardiovaskuläre Erkrankungen, Hypertonie, Hypercholesterinämie, Osteoporose, chronische Leber- und Nierenerkrankungen, Übergewicht, Thrombosen, Pankreatitis, Hepatitiden oder Pneumonien.

Psychische Erkrankungen häufig

Es besteht jedoch auch eine erhebliche Belastung durch vermehrte psychische Komorbiditäten im Vergleich zur Normalbevölkerung, wie schwere Depressionen (20-40 % Erwachsene mit HIV), generalisierte Angsterkrankungen (10-25 %), Bipolar-Erkrankungen (3-9 %), Schizophrenie (4-15%), posttraumatische Belastungsstörungen (10-30%), Alkoholabusus (8-16%) oder Drogenkonsum (12-40%). Die hohe Spanne der Häufigkeitsangaben lässt sich mit den starken Unterschieden bei den Erkrankten erklären, z. B. in der Herkunft oder im sozialen Status.

HIV-Infizierte mit psychischen Erkrankungen versäumen eher ihre Arztbesuche und sind weniger adhärent an ihre ART. Dies zieht ein höheres Risiko von Therapieversagen mit der Folge von physischen Komorbiditäten nach sich. Eine aktuell publizierte Studie von Brian W. Pence zeigte, dass die Rate an versäumten Visiten mit dem Ausmaß der Depression korrelierte.

Althoff betonte jedoch, dass die Assoziation zwischen psychischer und physischer Komorbidität sich nicht allein durch versäumte Arztbesuche und schlechte Adhärenz erklären lasse. So weiß man heute, dass die Aktivierung von Stress-Pathways als ein neurochemischer Mechanismus fungiert, der schwere Depressionen und kardiovaskuläre Erkrankungen verbindet. Depressionen sind mit dem schlechteren Outcome einer Koronarerkrankung assoziiert. Depressionen und Stress gelten als eigenständige Risikofaktoren für die Entwicklung einer Koronarerkrankung. Depression kann auch zur Entwicklung weiterer physischer Komorbiditäten beitragen, daher müssen psychische Komorbiditäten in den entsprechenden Studien nach Aussage von Althoff stärker berücksichtigt werden.

ART senkt Risiken

Eine ART senkt das relative Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen und Krebs, aber das absolute Risiko für diese Erkrankungen ist bei HIV-Infizierten höher als in der Allgemeinbevölkerung. Außerdem gibt es Risiken, die durch die ART erhöht werden.

Eine früh einsetzende ART hat das Potenzial, die Zeit mit unkontrolliertem HIV und die HIV-bedingte Entzündung zu verringern. Sie kann eine schwere Immunsuppression verhindern. Außerdem besteht für neue Substanzen die Hoffnung, dass sie weniger metabolische und renale Nebenwirkungen auslösen.

Risikofaktoren rechtzeitig identifizieren

Risikofaktoren für Komorbiditäten müssen rechtzeitig identifiziert werden, wobei diese während des ganzen Lebens auftreten und in Abhängigkeit vom Alter wechseln können. Klassische Risikofaktoren sind Rauchen und Drogenkonsum, Übergewicht, soziale Isolation, Hypertonie und Hyperlipidämie.

Etwa 50 bis 70 % der HIV-Infizierten rauchen, was das Auftreten einer Reihe von Komorbiditäten begünstigt. Der Verlust an Lebensjahren durch das Rauchen ist größer als durch die HIV-Infektion. Wenn die HIV-Infizierten bei Beginn der ART das Rauchen einstellen, haben sie eine ähnliche Lebenserwartung wie Nieraucher. Alkohol ist für HIV-Infizierte auch in geringen Mengen schädlich.

HIV-Infizierte, die zu Beginn der ART normal- oder untergewichtig waren, haben durch eine Gewichtszunahme von 4,5 bis 9 kg im ersten Jahr unter der Therapie eher einen Überlebensvorteil. Bei Übergewichtigen war jedoch kein Überlebensvorteil zu erkennen.

Soziale Isolation, definiert als Mangel an Kontakten mit anderen Menschen, ist ein weiterer Risikofaktor für viele Komorbiditäten, der durch weitere Mechanismen verstärkt wird, wie nicht diagnostizierte oder unterbehandelte Depression und Angst, posttraumatische Belastungsstörungen oder Stigmatisierung. Soziale Isolation kann z. B. zu Schlafstörungen, Drogenkonsum, Herzerkrankungen, Schlaganfall und Suizid führen. Die Vermutung, dass vor allem ältere Menschen von sozialer Isolierung betroffen sind, wurde durch eine Studie widerlegt, nach der jüngere Erwachsene mit HIV weniger Kontakt zu Familie und Freunden haben als ältere Menschen. Althoff vermutet, dass eine soziale Isolierung bei jüngeren und älteren Menschen durch unterschiedliche Mechanismen ausgelöst wird und deshalb auch unterschiedliche Interventionen erforderlich sind.

Hypertonie und Hyperlipidämie sind bei HIV-Infizierten sehr belastende Komorbiditäten, die z. B. kardiovaskuläre Erkrankungen und Schlaganfall nach sich ziehen können.

Evidenz-basierte Interventionen

Die vermutlich wichtigste Intervention ist die ART. Sie verringert die durch HIV ausgelöste Entzündung und eine schwere Immunsuppression. Die Patienten werden regelmäßig betreut. Dies ermöglicht es, Risikofaktoren und Komorbiditäten zu erkennen.

6 bis 50 % der Erwachsene mit HIV geben das Rauchen auf, in der Allgemeinbevölkerung sind es etwa 10 %. Hierzu ist der Wille zum Aufhören unabdingbar. Er kann durch entsprechende Medikamente oder Programme unterstützt werden. Eventuell ist es erforderlich, andere psychische Störungen zu behandeln, um den Rauchstopp zu erleichtern. Althoff wies eindringlich auf die verschiedenen negativen Auswirkungen des Rauchens hin und forderte alle Anstrengungen zu unternehmen, um die Patienten vom Rauchen abzubringen. E-Zigaretten könnten eventuell als Übergangslösung eingesetzt werden, wenngleich unklar ist, welche schädlichen Auswirkungen sie haben. Zudem sollte an die Folgen des Passivrauchens gedacht werden.

Eine weitere Herausforderung ist das Gewichtsmanagement. Nach Beginn der ART ist eine Gewichtszunahme normal, sie erhöht die Sterblichkeit nicht. Bewegungsprogramme hatten in einer Metaanalyse mit 24 Studien einen positiven Effekt auf die psychische Gesundheit. Althoff wies jedoch darauf, dass ein gesunder Lebensstil aufgrund vielfältiger Faktoren, z.B. des sozioökonomischen Status, nicht immer machbar sei. Dies gelte auch für Maßnahmen gegen die soziale Isolation.

Hypertonie und Hyperlipidämie können nach den Leitlinien der großen Fachgesellschaften behandelt werden. Es gibt keine speziellen Empfehlungen für HIV-Infizierte. Häufig ist jedoch z.B. ein Bluthochdruck bei HIV-Infizierten schlecht kontrolliert. Nach Daten des US-amerikanischen Medical Monitoring Projects leiden 42,4 % der HIV-Infizierten unter einer Hypertonie. Davon ist bei 48,9 % der Blutdruck ausreichend kontrolliert. 13,3 % sind nicht erkannt und unbehandelt, 26,3 % sind behandelt, aber der Blutdruck ist nicht ausreichend kontrolliert.

HIV-Infizierte sind sich bewusst, dass sie die ART benötigen. Deshalb nehmen sie diese Therapie relativ zuverlässig, bei anderen Medikamenten wie z. B. Antihypertensiva, Lipidsenkern oder Antidepressiva sind sie weniger adhärent.

Healthspan verlängern

Althoff wies darauf hin, dass es darum gehe, die „Healthspan“ und nicht die „Lifespan“ zu maximieren. Hierbei könnten auch so genannte Geroprotektoren helfen, die an allgemeinen Mechanismen des Alterns angreifen und das Auftreten von mehr als einer altersbedingten Erkrankung zur gleichen Zeit vermeiden sollen. Ziel ist es nicht, die Lebenszeit insgesamt zu verlängern, sondern die Zeit der Morbidität vor dem Tod möglichst kurz zu halten.

Quelle:
Althoff, KN. Impact of physical and mental comorbidities on life expectancy. 25. CROI, Boston, 6. März 2018, Abstract 103. http://www.croiconference.org/sessions/impact-physical-and-mental-comorbidities-life-expectancy