Medikamententherapie muss mit Verhaltensänderung einhergehen

Liraglutid erweitert Spektrum der Behandlungsoptionen. Körperliche Aktivität und kontrollierte Ernährung bleiben zentrale Therapiebausteine. Satellitensymposium “Adipositas – Neue Therapiemöglichkeiten für eine unterschätzte Erkrankung” (unterstützt von Novo Nordisk Pharma).

Liraglutid erweitert Spektrum der Behandlungsoptionen. Körperliche Aktivität und kontrollierte Ernährung bleiben zentrale Therapiebausteine.

Satellitensymposium “Adipositas – Neue Therapiemöglichkeiten für eine unterschätzte Erkrankung” (unterstützt von Novo Nordisk Pharma)

“Adipositas ist eine ernst zu nehmende chronische Erkrankung”, betonte Dr. Arya M. Sharma, Professor für Medizin an der Universität Alberta in Edmonton in Canada, auf dem Diabetes Kongress 2016. Sie sei kein Lifestyleproblem und auch keine Modeerscheinung.

Übergewicht definiert die Weltgesundheitsorganistion (WHO) ab einem Body Mass Index (BMI) von mindestens 25 kg/m2, Adipositas ab einem BMI von 30 kg/m2. Weltweit gelten mehr als 600 Millionen Menschen als adipös – das entspricht einer Verdoppelung des Wertes seit 1980. Rund 23 Prozent der Frauen und Männer in Deutschland sind betroffen.

Adipositas ist deshalb so schwer zu behandeln und für Patienten überaus frustrierend, weil komplexe Änderungen im Gehirn und Hormonhaushalt stattfinden. Selbst wenn jemand erfolgreich sein Gewicht reduziert habe, wehre sich der Körper dagegen, so Sharma. “Kommt der Körper in den Bereich eines Energiedefizits, entstehen komplexe hormonelle Änderungen.” Der Körper fährt seinen Energiebedarf beispielsweise runter, es entstehen Hunger oder das bekannte Kältegefühl.

Für die Intensität von sportlicher Aktivität bedeutet diese Funktion des Körpers, jemand muss nach einer Gewichtsreduktion deutlich mehr Sport treiben als vorher, wenn er nicht wieder zunehmen wolle. Umgangssprachlich resultiert daraus der gefürchtete Jo-Jo-Effekt. “Der Körper wehrt sich gegen den Gewichtsverlust”, erklärt Sharma. “Er will seinen Ursprung wiederherstellen.” Das Problem liegt allerdings darin, dass sich das Gehirn auf das höchste Gewicht als Sollwert eingestellt hat. Liegt dieses im Bereich der Adipositas sei es für den Patienten unendlich schwer, ein deutlich niedrigeres Gewicht dauerhaft zu halten.

Doch wie lässt sich Adipositas unter diesen Bedingungen überhaupt therapieren? Sharma hält bei einer Änderung des Verhaltens 3-5 Prozent Gewichtsreduktion für realistisch. Ein chirurgischer Eingriff könne das Gewicht im Durchschnitt um 20-30 Prozent reduzieren. Allerdings sieht er bei einer Operation ein Problem mit der inzwischen sehr hohen Anzahl von möglichen Patienten mit einer Adipositas, was Medikamente interessanter mache. “Diese sind skalierbar”, sagt er. Wenn Adipositas endlich als chronische Erkrankung anerkannt werde, ergibt sich Sharma zufolge möglicherweise die Chance, dass neue Therapieoptionen in Betracht kommen und auch bezahlt würden.

Medikamentenmarkt ist begrenzt

Bisher sind Adipositas-Medikamente – anders als bei der Diabetes-Therapie – ausschließlich ein Selbstzahlermarkt. Darauf wies der zweite Referent dieses Symposiums, Professor Andreas Hamann, Chefarzt der Klinik für Diabetologie, Endokrinologie und Ernährungsmedizin an den Hochtaunus-Kliniken in Bad Homburg und Präsident des diesjährigen Diabetes-Kongresses, hin.

Die Leitlinien sehen eine Pharmakotherapie bei einem BMI von mehr als 28 kg/m2 vor; eine Fortsetzung der medikamentösen Behandlung nur, wenn das Medikament in den ersten vier Wochen der Therapie auch zu einer Gewichtsreduktion geführt hat. Ein Gewichtsverlust gilt allgemein anerkannt als Möglichkeit, das Auftreten von Diabetes mellitus Typ II hinauszuzögern, da die mit einer Adipositas assoziierten Risikofaktoren günstig beeinflusst werden.

In Deutschland gab es lange Zeit nur den Wirkstoff Orlistat zur Gewichtsabnahme, der begleitend zur einer fettreduzierten Diät eingenommen werden konnte. Andere Wirkstoffe, die ihre appetitzügelnde Wirkung vor allem dadurch entfaltet haben, dass sie das Hungergefühl im Hypothalamus abschwächten, sind in Deutschland aufgrund möglicher Nebenwirkungen nicht mehr auf dem Markt.

Seit Anfang 2015 ist in der Europäischen Union der GLP-1-Rezeptoragonist Liraglutid zur Gewichtsreduktion zugelassen, das als unterstützend zu einer kalorienreduzierten Diät und mehr Bewegung eingesetzt werden kann. Studien legen nahe, dass der Wirkstoff bei der Effektivität Orlistat überlegen ist. Liraglutid wurde bislang zur Behandlung von Diabetes eingesetzt. Das Medikament muss subkutan injiziert werden. Das Hungergefühl sinkt und das Sättigungsgefühl wird gesteigert.

Maßgeblich für die Zulassung war die mit 3.731 Patienten durchgeführte SCALE-Studie, die im New England Journal of Medicine veröffentlicht wurde. Die Teilnehmer wogen vor Beginn der Studie im Durchschnitt 106,2 Kilogramm. “Nach 56 Wochen hatten die Teilnehmer im Durchschnitt 8,4 Kilogramm abgenommen. Mit Einnahme des Placebos 2,8 Kilogramm”, präsentierte Hamann als Ergebnis. Der Effekt beim Placebo resultiere daraus, dass Patienten ihr Verhalten geändert hätten – beispielsweise durch eine Umstellung ihrer Ernährung und mehr Bewegung. Prozentual lag die Gewichtsreduktion bei rund 8 Prozent und bei Placebos bei 2,6 Prozent.

63,2 Prozent der Studienteilnehmer hätten mehr als 5 Prozent abgenommen und rund ein Drittel sogar 10 Prozent. “Liraglutid zeigt eine gewichtsenkende Wirkung, auch wenn bereits vorher eine Gewichtsabnahme vorlag”, so Hamann, was den Wirkstoff zu einer nachhaltigen Behandlungsoption macht. Nebenwirkungen wie vermehrte Übelkeit und Durchfall würden mit der Zeit abnehmen. Hamann wies auf Indizien für eine Pankreatitis hin, die es in weiteren Studien zu untersuchen gelte.