Nephrektomie bei fortgeschrittenem Nierenkarzinom teilweise entbehrlich

Eine Behandlung mit Sunitinib alleine war einer Nephrektomie gefolgt von Sunitinib bei Patienten mit fortgeschrittenem Nierenzellkarzinom und intermediärem bis hohem Risiko in der Wirkung auf das Gesamtüberleben nicht unterlegen.

Studie findet keinen Zusatznutzen durch Nephrektomie bei Nierenzellkarzinom

Eine Behandlung mit Sunitinib alleine war einer Nephrektomie gefolgt von Sunitinib bei Patienten mit fortgeschrittenem Nierenzellkarzinom und intermediärem bis hohem Risiko in der Wirkung auf das Gesamtüberleben nicht unterlegen. Dies ergab die randomisierte Phase-III-Studie CARMENA, die Arnaud Méjean, Abteilung für Urologie, Hôpital Européen Georges-Pompidou, Paris, bei der Plenarsitzung während des 2018 ASCO Annual Meeting am 3. Juni  2018 in Chicago vorstellte und parallel im New England Journal of Medicine publizierte.

Das Nierenzellkarzinom (RCC) macht 5 % aller Krebserkrankungen bei Männern und 3 % bei Frauen aus. Bei etwa 20 % der Patienten hat die Erkrankung bei Diagnosestellung bereits metastasiert. In den letzten 20 Jahren war in diesen Fällen eine Nephrektomie gefolgt von einer systemischen Therapie Standard. In den letzten 10 Jahren konnte nun mit gezielt wirkenden Therapeutika eine gute Wirkung bei Patienten mit metastasiertem RCC erzielt werden. Bislang gab es jedoch noch keinen direkten Vergleich einer gezielten Therapie mit einer Nephrektomie.

CARMENA: Sunitinib vs. Nephrektomie plus Sunitinib

Beim mRCC gibt es je nach Progredienz des Tumors drei Situationen, erklärte der französische Onkologe. Bei Patienten mit gutem Performance-Status (PS 0) und geringer metastatischer Tumorlast ist eine Nephrektomie sinnvoll. Nicht sinnvoll ist sie bei Patienten mit PS 2 und hoher Tumorlast. Unklar ist bislang die Situation bei Patienten mit PS 0-1 und begrenzter metastatischer Tumorlast. Daher wurde in der Phase-III-Studie CARMENA (Cancer Renal MEtastatique Nephrectomie Antiangiogéniques) mit 450 Patienten in 79 Zentren in Frankreich, Norwegen und UK die Wirksamkeit einer Therapie mit Sunitinib allein und einer Nephrektomie gefolgt von einer Sunitinib-Gabe verglichen. Die unbehandelten  Patienten wurden in Arm A nephrektomiert, 3 bis 6 Wochen später wurde eine Behandlung mit Sunitinib (50 mg/täglich über 4 Wochen, dann 2 Wochen Pause) begonnen. Patienten in Arm B erhielten nur Sunitinib. Primärer Endpunkt war das Gesamtüberleben, zu den sekundären Endpunkten gehörten das progressionsfreie Überleben (PFS), die Ansprechrate, der klinische Nutzen und die Verträglichkeit. Die Studie war auf den Nachweis der Nichtunterlegenheit angelegt.

Die nun vorgestellten Daten basierten auf den Ergebnissen der vordefinierten zweiten Interimsanalyse mit einem medianen Follow Up von 50,9 Monaten. Aufgrund der Ergebnisse empfahl das Steering Committee den Abbruch der Studie, die Zwischenanalyse gilt daher als finale Analyse der Studie.

Sunitinib ist in der Wirkung der Nephrektomie nicht unterlegen

Das mediane Alter der Patienten lag bei 62 bis 63 Jahren, 75 % waren Männer. Arm A mit Nephrektomie und Sunitinib umfasste 226 Patienten, von denen 40 jedoch nicht mit Sunitinib behandelt und 16 Patienten nicht operiert wurden, im Sunitinib-Arm B (n = 224) erhielten 11 Patienten kein Sunitinib. In Arm  A wiesen 56 % ein intermediäres und 44 % ein hohes Risiko auf, in Arm B waren es 59 % und 41 %.

Zum Zeitpunkt der Datenanalyse waren 326 Todesfälle aufgetreten, von denen 91 % durch die Krebserkrankung bedingt waren. Patienten der Sunitinib-Gruppe überlebten im Median 18,4 Monate, die der Nephrektomie-Gruppe 13,9 Monate (Hazard-Ratio 0,89). Sunitinib erwies sich der Vergleichsstrategie als nicht unterlegen, der primäre Endpunkt war damit erreicht. Sowohl in der Gruppe mit intermediärem als auch mit hohem Risiko war das mediane Überleben mit alleiniger Sunitinib-Behandlung besser als mit Operation plus Sunitinib, bei intermediärem Risiko betrug es 19,0 vs. 23,4 Monate (HR 0,92), bei hohem Risiko 10,2 vs. 13,3 Monate (HR 0,86). Auch in der Per-Protokoll-Analyse war Sunitinib in der Wirkung auf das Gesamtüberleben der Nephrektomie plus Sunitinib nicht unterlegen. Dasselbe galt für den Effekt auf das PFS sowohl in der ITT- als auch in der Per-Protokoll-Analyse. In der ITT-Analyse betrug das PFS mit Sunitinib im Median 8,3 Monate, mit der kombinierten Therapie 7,2 Monate (HR 0,82).

Auf die Behandlung mit Sunitinib sprachen 29,1 % der Patienten, auf die kombinierte Therapie 27,4 % an, ein klinischer Nutzen (Krankheitskontrolle länger als 12 Wochen) wurde bei 47,9 % bzw. 36,6 % erreicht.

Die Sunitinib-Behandlung dauerte in Arm B im Median 8,5 Monate, im Nephrektomie-Arm 6,7 Monate. Bei rund 30,5 % der Patienten in beiden Gruppen war eine Dosisreduktion erforderlich, in der Mehrzahl wegen Nebenwirkungen. Grad-3/4-Nebenwirkungen traten bei 32,8 % der operierten Patienten und bei 42,7 % der nur mit Sunitinib behandelten Patienten auf. Am häufigsten wurden Asthenie, Hand-Fuß-Syndrom, Anämie und Neutropenie berichtet.

Das Fazit von Méjean lautete: „Die zytoreduktive Nephrektomie sollte nicht länger als Therapiestandard in der Behandlung des metastasierten RCC angesehen werden, insbesondere wenn eine Arzneimittelbehandlung erforderlich ist.“ Die Nephrektomie gilt jedoch nach wie vor als Goldstandard bei Patienten, die keine systemische Therapie benötigen und die nur sehr wenige Metastasen aufweisen.

Auf Nephrektomie kann nicht verzichtet werden

Robert Motzer und Paul Russo vom Memorial Sloan Kettering Cancer Center, New York, sehen jedoch im begleitenden Editorial im New England Journal of Medicine die Ergebnisse etwas weniger euphorisch. Es sei nicht überraschend, dass der primäre Endpunkt erreicht worden sei, denn in der CARMENA-Studie seien  relativ viele Patienten – nämlich 43 % - mit hohem Risiko eingeschlossen worden. Es sei ziemlich unwahrscheinlich, dass sie von einer Operation profitierten, wahrscheinlicher seien Nachteile durch den Eingriff, weil sie den invasiven Eingriff und potenzielle Komplikationen schlechter vertragen würden. Außerdem könne der höhere Prozentsatz an lokal fortgeschrittenen T3-oder T4-Tumoren in der Sunitinib-Gruppe (70,1 % vs. 51 %) das Ergebnis der Operationsgruppe beeinflusst haben.

Motzer und Russo sind auch der Meinung, dass trotz ITT-Analyse die Interpretation der Ergebnisse kompliziert sei, weil z. B. in der Operationsgruppe 40 Patienten (17 %) kein Sunitinib erhalten haben und 16 Patienten (7 %) gar nicht operiert worden sind. In der Sunitinib-Gruppe wiederum erhielten 11 Patienten (4,9 %) kein Sunitinib und 38 (17 %) wurden zu einem späteren Zeitpunkt nephrektomiert.

Die Editorialisten empfehlen, dass diese Daten nicht zum Verzicht auf eine Nephrektomie führen sollten. Es sei wichtig, auf der Basis publizierter Risikomodelle Patienten für eine Nephrektomie sehr sorgfältig auszuwählen. Risiken der Vorbehandlung, Resektabilität des Primärtumors, Gesundheitszustand und Vorliegen weiterer Erkrankungen bestimmten, wer von einer Nephrektomie wahrscheinlich profitieren könnte.

Quellen:
Méjean A,  et al. CARMENA: Cytoreductive nephrectomy followed by sunitinib versus sunitinib alone in metastatic renal cell carcinoma—Results of a phase III noninferiority trial. 2018 ASCO Annual Meeting, Chicago, 1. bis 5. Juni  2018, Abstract LBA3. https://meetinglibrary.asco.org/record/161512/abstract
Méjean A, et al. Sunitinib Alone or after Nephrectomy in Metastatic Renal-Cell Carcinoma. N Engl J Med. online publiziert am 3. Juni 2018. https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMoa1803675
Motzer RJ, Russo P. Cytoreductive Nephrectomy — Patient Selection Is Key. N Engl J Med. online publiziert am 3. Juni 2018. https://www.nejm.org/doi/full/10.1056/NEJMe1806331