Allein unter Menschen - macht Einsamkeit krank?

Prof. Dr. Mazda Adli beschäftigt sich mit der psychosozialen Implikation von Einsamkeit und plädiert für die Enttabuisierung der Thematik im öffentlichen Diskurs.

Wir müssen reden... über Einsamkeit im Großstadtdschungel

Einsamkeit ist eine menschliche Grunderfahrung und dennoch eine große gesellschaftliche Herausforderung. Das Gefühl einer fehlenden Zugehörigkeit und der Abgeschiedenheit von der sozialen Umwelt begegnet uns mindestens einmal bis häufiger im Leben. Prof. Dr. Mazda Adli von der Fliedner Klinik Berlin beschäftigt sich mit der psychosozialen Implikation des Einsamkeitsgefühls und plädiert in seinem Vortrag "Wir müssen reden… über Einsamkeit" für die Enttabuisierung der Thematik im öffentlichen Diskurs und im Gesundheitswesen.

Was verstehen wir unter Einsamkeit?

Einsamkeit ist ein zweischneidiges Schwert und nicht zu verwechseln mit dem menschlichen Grundbedürfnis des Alleinsein - die "schöpferische Einsamkeit", so Prof. Dr. Adli, der selbstgewählten und temporären Abgrenzung, um zum Selbst zu finden. Das belastende Gefühl der Einsamkeit, bedingt durch den Mangel an Nähe und Zugehörigkeit zu einer sozialen Umwelt, empfinden viele Betroffene als seelischen Schmerz.

Nach Prof. Dr. Adli ist Einsamkeit eine Unterform von sozialem Stress und ist in Verbindung mit sozialer Isolation einer der stärksten Stressoren für psychische Erkankungen. Durch die Ausschüttung des Stresshormons Cortisol reagiert der Körper bei sozialem Stress wie bei einem Schmerzreiz - ein Reiz, den viele Betroffene als Seelenschmerz bezeichnen.

"Einsamkeit als etwas Schmerzähnliches empfinden zu können, ist von der Evolution als biologisches Alarmsignal eingerichtet worden. Es zeigt uns als soziales Wesen an, dass unsere soziale Unterstützung, die wir haben, unter einen kritischen Grenzwert gefallen ist, bei dem es Überlebensnachteile geben kann, weil wir nicht mehr in ausreichenderweise am Kooperationssystem teilhaben", erklärt Prof. Dr. Adli. Das Einsamkeitsgefühl ist somit ein biologisches Mangelsignal und nimmt an Intensität zu, wenn das Gefühl der Zugehörigkeit nicht mehr mit der sozialen Einbindung übereinstimmt.

Tabuisierung und Fehlannahmen

Im öffentlichen Diskurs bleibt der Gedanke standhaft, dass das Eingestehen einsam zu sein, peinlich ist und deshalb nicht thematisiert werden sollte. Der Mensch ist ein soziales Wesen, so Prof. Dr. Adli, und empfindet bei der Offenlegung seiner Einsamkeit ein Status- und Gesichtsverlust, was einem sozialen Versagen maximalen Ausmaßes gleichkommt. Prof. Dr. Adli zitiert in diesem Kontext einen Spruch der Tuareg, der besagt: "Einsamkeit ist nicht traurig, wenn sie beachtet wird" und betont, dass es darum geht, hinzusehen und Betroffenen Beachtung zu schenken, damit Einsamkeit enttabuisiert wird.

Entgegen der allgemeinen Annahme, dass Einsamkeit überwiegend ältere Menschen betrifft, belegen Studien, dass der Altersgipfel bei ca. 30 Jahren liegt. Die Faktoren, warum wir Einsamkeit primär empfinden, unterscheiden sich jedoch nach Altersgruppe. Während ältere Menschen Gründe aufzählen, wie Krankheiten oder den Tod von Lebenspartner:innen, sind es bei Jüngeren die Arbeitsbelastung und der zeitlich bedingte Mangel an sozialen Beziehungen, die Einsamkeit auslösen.

Alleinsein ist ein Großstadtphänomen

Nach Prof. Dr. Adli sind es - statistisch gesehen - überwiegend allein lebende Großstadtsingles, die von der Einsamkeit am meisten betroffen sind. “Paradoxerweise braucht es andere Menschen um einen herum, um sich einsam zu fühlen. Wenn man einer unter vielen ist und das Gefühl hat nicht dazu zu gehören, kommt das Gefühl von Einsamkeit auf", so Prof. Dr. Adli.

Zur Zeit lebt jeder fünfte Mensch in Deutschland allein. Das Statistische Bundesamt rechnet mit einem weiteren Anstieg bis 2030. Schätzungsweise lebt dann knapp ein Viertel der Gesamtbevölkerung allein. In deutschen Städten mit mehr als 500.000 Einwohnenden wohnen 29 Prozent der Menschen allein. Berlin ist mit einer Einwohnerrate von 31 Prozent Spitzenreiter unter den Bundesländern. Etwa ein Drittel der Berliner Bevölkerung lebt in einem Single-Haushalt.

Nach Prof. Dr. Adli ist das Entgegenwirken einer systematischen Vereinsamung eine zivilgesellschaftliche und politische Aufgabe. Public Mental Health Strategien sind hierbei unabdingbar. Es werden öffentliche Plätze benötigt, die einen "Public Health" Auftrag haben. Das sind Parks, Kultureinrichtungen und Orte der Zusammenkunft, an denen es jedem Einzelnen erlaubt ist, an sozialen Interaktionen und zwischenmenschlichem Austausch teilzunehmen. Die Teilhabe am öffentlichen Leben ist das, was psychisch gesund hält und Einsamkeit verhindert.