Ein Jahr Nusinersen zur Behandlung der Spinalen Muskelatrophie

Mit schätzungsweise 1.500 Betroffenen in Deutschland ist die Spinale Muskelatrophie (SMA) eine seltene Erkrankung. Dennoch gehört sie zu den häufigsten genetisch bedingten Todesursachen von Säuglingen und Kleinkindern.

Möglichst frühzeitige Therapie bringt die besten Ergebnisse

Mit schätzungsweise 1.500 Betroffenen in Deutschland ist die Spinale Muskelatrophie (SMA) eine seltene Erkrankung. Dennoch gehört sie zu den häufigsten genetisch bedingten Todesursachen von Säuglingen und Kleinkindern. Bei SMA-Patienten führt ein Defekt des SMN1-Gens dazu, dass das für die Produktion von Motoneuronen überlebenswichtige SMN-Protein nicht ausreichend gebildet wird. In der Folge gehen Motoneuronen im Rückenmark zugrunde, was zu einer fortschreitenden Schwäche und Atrophie der abhängigen Muskulatur führt. Kognition und Schmerzempfinden der Patienten bleiben unbeeinflusst.

Mit Nusinersen – im Mai vergangenen Jahres von der EMA zugelassen - steht erstmals eine zugelassene medikamentöse Therapie bei 5Q assoziierter SMA zur Verfügung. Für an SMA erkrankte Säuglinge und Kleinkinder war bis zur Therapie mit Nusinersen das Heben des Kopfes, freies Sitzen, Stehen oder Gehen undenkbar. Und auch wenn die SMA später einsetzt – bei Jugendlichen oder Erwachsenen – schreitet die Erkrankung unbehandelt ebenfalls stetig voran.

Therapiebeginn bei vier Tage altem Säugling ermöglicht ihm freies Sitzen

Wie Prof. Dr. Andreas Hahn, Gießen, deutlich machte, zeigen Erfahrungen aus der klinischen Praxis und die Studienlage, dass möglichst frühzeitig mit der Therapie begonnen werden sollte. So berichtet Hahn von einem Säugling, bei dem vier Tage nach der Geburt mit der Nusinersen-Gabe begonnen wurde. Mit 6 Monate ist das Baby zu freiem Sitzen in der Lage.

Die Zulassung der Behandlung besteht für alle Patienten unabhängig vom Alter und vom SMA-Typ. Durch Nusinersen kann bei allen SMA-Formen eine Verbesserung der Muskelfunktion erreicht werden, die bei einem unbehandelten Krankheitsverlauf bislang nicht beobachtet werden konnte.

In den Zulassungsstudien ENDEAR (Finkel et al. NEJM, 2017) und CHERISH (Mercuri et al. NEJM 2018) zeigten Patienten ein längeres ereignisfreies Überleben unter Nusinersen als unter Scheinintervention (HR: 0,53, P= 0,0046). Säuglinge unter Nusinersen erreichten Meilensteine der Motorik-Entwicklung mit denen bei Patienten mit SMA Typ 1 üblicherweise nicht zu rechnen ist. Allerdings erfordert die Gabe (intrathekal, Aufziehen des Medikaments unter sterilen Bedingungen mögichst unmittelbar vor der Gabe) einen großen logistischen Aufwand plus einen hohen Ressourcenverbrauch.

Nötig ist aus Hahns Sicht eine zentrale Erfassung der Wirksamkeit bei sehr teuren Medikamenten + invasiver Prozedur (Anbindung an NMZ, SMArtCARE). Auch eine Evaluation des Therapieeffektes im Verlauf ist unumgänglich. Weil die Therapieeffekte und Therapieziele abhängig vom Alter und dem Schweregrad der Erkrankung sind, sollten die Ziele der Behandlung und das Abwägen von Kosten und Nutzen sorgfältig erfolgen. Das bedingt ein Umdenken in der Beratung von Eltern und Kindern mit SMA 1. Ein Neugeborenen-Screening könnte die Diagnosesicherung bei Verdacht auf SMA beschleunigen, so Hahn.

Patienten mit späteren SMA-Krankheitsbeginn (> Monate) bilden aufgrund der höheren Anzahl an vorhandenen SMN2-Kopien größere Mengen des SMN-Proteins und sind zunächst weniger schwer erkrankt, erklärte PD. Dr. Tim Hagenbach, Essen. Die Varianz ihrer Symptome ist deshalb sehr groß und reicht von Gangunsicherheit über Schluck-und Atembeschwerden bis zur Bewegungsunfähigkeit. Die Patienten können erlernte motorische Fähigkeiten wieder verlieren und die Progredienz der Erkrankung stellt eine erhebliche Belastung dar.

Der Wirkansatz von Nusinersen, die Hochregulierung des SMN2-Gens und die Erhöhung an funktionellem SMN-Protein ist bei Erwachsenen ebenso erfolgversprechend wie bei Kindern.

Real-World-Daten sollen die Datenlücke bei schwerer erkrankten SMA-Patienten schließen

Allerdings ist – bedingt durch schwere Skoliosen und starke Bewegungseinschränkung – die intrathekale Applikation eine technische Herausforderung. Am Uniklinikum Essen ist es gelungen, Nusinersen durch CT-gesteuerte Lumbalpunktion bisher bei nahezu allen Patienten durchzuführen, berichtet Hagenbach. Er schränkt aber ein, dass die Erwartungen an die Therapiedauer und die Therapieerfolge nicht mit denen bei Patienten mit SMA Typ 1 vergleichbar sind. Vor allem subjektiv wichtig erachtete Aspekte, wie zB. das Heben eines Fingers zur Bedienung eines Rollstuhl-Joysticks oder das Bedienen einer Tastatur, können für einen erwachsenen Patienten einen Zuwachs an Lebensqualität bedeuten. Um die Behandlungseffekte zu beurteilen ist meist eine Beobachtungszeit von mindestens einem Jahr notwendig.

Die Zulassungsstudie ENDEAR zeigte erfolgversprechende Ergebnisse zur Therapie der SMA Typ 1, eingeschlossen waren Patienten, die <7 Monate erkrankt waren und keine Beatmung brauchten. Ähnlich gute Ergebnisse hatte CHERISH zum SMA Typ 2 geliefert (eingeschlossen waren Patienten im Alter zwischen 2 bis 12 Jahre, die keine Skoliose aufwiesen). Doch wie sieht die Evidenz bei schwerer betroffenen Patienten oder bei Patienten, die älter als 12 Jahre sind, aus? 70 bis 80 Prozent der SMA-Patienten liegen außerhalb der Studienpopulation, betonte Prof. Dr. Janbernd Kirschner, Freiburg.

Um diese Datenlücke zu schließen, ist die Erhebung von Real-World-Daten die sinnvollste Lösung. So entstand als Netzwerk und Datenbank SMArtCARE. Damit soll eine objektive Verlaufsbeurteilung aller Patienten und die Planung und Überwachung von Therapien systematisch erfasst werden.

Die Daten können über Dokumentationsbögen gesammelt und dann in die SMArtCARE-Datenbank eingegeben werden. Informationen unter www.smartcare.de

Referenzen:

Neurowoche 2018. 91. Kongress der Deutschen Gesellschaft für Neurologie

44. Jahrestagung der Gesellschaft für Neuropädiatrie

68. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Neuropathologie und Neuroanatomie

30. Oktober bis 3. November 2018

Industriesymposium Biogen:  Ein Jahr Nusinersen zur Behandlung der 5Q-assoziierten spinalen Muskelathrophie