Ärzte sehen sich Klagewelle von Patienten ausgesetzt

Rechtsanwalt Dr. Hans-Berndt Ziegler im Interview mit esanum über die steigende Zahl von Gerichtsverfahren gegen Ärzte und wie sich Mediziner rechtlich korrekt verhalten Müssen Ärzte auch Juristen

Rechtsanwalt Dr. Hans-Berndt Ziegler im Interview mit esanum über die steigende Zahl von Gerichtsverfahren gegen Ärzte und wie sich Mediziner rechtlich korrekt verhalten

Müssen Ärzte auch Juristen sein? War es bisher hauptsächlich aus den USA bekannt, dass millionenschwere Schadensersatzansprüche gegenüber Ärzten geltend gemacht werden, verklagen Patienten und ihre Anwälte auch immer häufiger Mediziner in Deutschland, weil sie angeblich ihrer Aufklärungspflicht nicht nachgekommen seien oder einen Behandlungsfehler begangen hätten. Der Berufsverband Deutscher Anästhesisten stellt auf seiner Webseite Ärzten nicht zuletzt aus diesem Grund einen „Juristischen Notfallkoffer“ zur Verfügung, der ihnen helfen soll, bei einem Zwischenfall oder einer Klage auf Schadensersatz richtig zu handeln.

Warum klagen die Patienten in Deutschland so häufig? Aus Sicht der Juristen des Berufsverbandes sind insbesondere überzogene Erwartungen der Patienten an die Ärzte und den medizinischen Fortschritt ein Grund für die Klageflut. Zunehmend stürze sich zudem die Presse auf Einzelfälle, die sich schnell zu Skandalen ausweiten und andere Kläger ermuntern, ebenfalls vor Gericht zu ziehen. Patienten sind heute zudem wesentlich aufgeklärten und können nicht zuletzt aufgrund des Internets sich genau über ihre Krankheiten und Behandlungs-methoden informieren.

Im Interview mit esanum nennt der auf Medizinrecht spezialisierte Rechtsanwalt Dr. Hans-Berndt Ziegler aus Marburg zudem den generellen Ansehensverlust der Ärzte sowie die Inanspruchnahme von Rechtsschutzversicherungen durch die Patienten als weitere Ursachen. Auch die Arbeitsüberlastung der Ärzte sei ein Grund. Nicht jede Klage führt zu einem Schuldspruch. Doch für Ziegler steht fest: Bei nicht geklärter Schuld, bleibe immer etwas an dem betroffenen Arzt hängen.

Interview

„Es bleibt immer etwas hängen“

esanum: Herr Dr. Ziegler, In welcher Form sollte ein Arzt einen Patienten vor einer Behandlung aufklären, um sich vor eventuellen Schadensersatzansprüchen von vornherein zu schützen?

Ziegler: Die Pflichten werden im Patientenrechtegesetz vom 26. Februar 2013 klar geregelt:

§ 630e Aufklärungspflichten
(1) Der Behandelnde ist verpflichtet, den Patienten über sämtliche für die Einwilligung wesentlichen Umstände aufzuklären. Dazu gehören insbesondere Art, Umfang, Durchführung, zu erwartende Folgen und Risiken der Maßnahme sowie ihre Notwendigkeit, Dringlichkeit, Eignung und Erfolgsaussichten im Hinblick auf die Diagnose oder die Therapie. Bei der Aufklärung ist auch auf Alternativen zur Maßnahme hinzuweisen, wenn mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Methoden zu wesentlich unterschiedlichen Belastungen, Risiken oder Heilungschancen führen können.
(2) Die Aufklärung muss
1. mündlich durch den Behandelnden oder durch eine Person erfolgen, die über die zur Durchführung der Maßnahme notwendige Ausbildung verfügt; ergänzend kann auch auf Unterlagen Bezug genommen werden, die der Patient in Textform erhält,
2. so rechtzeitig erfolgen, dass der Patient seine Entscheidung über die Einwilligung wohlüberlegt treffen kann,
3. für den Patienten verständlich sein.
Dem Patienten sind Abschriften von Unterlagen, die er im Zusammenhang mit der Aufklärung oder Einwilligung unterzeichnet hat, auszuhändigen.

Weitere Pflichten ergeben sich aus § 630c:
(1) Behandelnder und Patient sollen zur Durchführung der Behandlung zusammenwirken.
(2) Der Behandelnde ist verpflichtet, dem Patienten in verständlicher Weise zu Beginn der Behandlung und, soweit erforderlich, in deren Verlauf sämtliche für die Behandlung wesentlichen Umstände zu erläutern, insbesondere die Diagnose, die voraussichtliche gesundheitliche Entwicklung, die Therapie und die zu und nach der Therapie zu ergreifenden Maßnahmen. Sind für den Behandelnden Umstände erkennbar, die die Annahme eines Behandlungsfehlers begründen, hat er den Patienten über diese auf Nachfrage oder zur Abwendung gesundheitlicher Gefahren zu informieren.

esanum: Unter welchen Voraussetzungen kann ein Patient auf Schadensersatz und Schmerzensgeld klagen?

Ziegler: Hierfür gilt folgende Regel: Der Patient kann immer dann klagen und hat Aussicht auf Erfolg, wenn der Arzt entgegen der Regeln der ärztlichen Kunst beim Patienten rechtswidrig und schuldhaft einen Schaden verursacht hat.

esanum: Ärzte sprechen von einer Verrechtlichung der Medizin. Was sind die Gründe dafür, dass Klagen gegen Ärzte zunehmen?

Ziegler: Es gibt mehrere Gründe. Zum einen sind die Patienten aufgrund des Internets wesentlich aufgeklärter. Hinzu kommen ein genereller Ansehensverlust der Ärzte, eine häufig reißerische Presseberichterstattung sowie die vermehrte Inanspruchnahme von Rechtsschutzversicherungen durch die Patienten. Erfolgshononorare, wie wir sie bisher nur aus den USA kannten, und Anwälte, die sich auf diese Rechtsdisziplin spezialisiert haben wie ich, tun ihr übriges.

esanum: Welche sind die Hauptmotive der Klagenden, vor Gericht zu ziehen?

Ziegler: Ganz kurz: Not, Wut und Rache.
esanum: Welche Gemeinsamkeiten stellen Sie bei Behandlungsfehlern und medizinischen Zwischenfällen fest? Gibt es bestimmte Muster?

Ziegler: Besonders zu nennen sind hier die Arbeitsverdichtung und der Zeitmangel, unter dem Ärzte heute leiden. Immer wieder sind es auch Kommunikationsprobleme und mangelnde Absprachen zwischen Arzt und Patient, Arzt und Arzt sowie Arzt und Pflegepersonal, die Probleme verursachen. Wie in jedem anderen Berufszweig gilt auch bei Ärzten: Fehler passieren einfach oder „Shit happens“.

esanum: Inwieweit sind Strukturen in Krankenhäusern, Abrechnungssysteme der Krankenkassen oder persönliche Eitelkeiten der Ärzte für Behandlungsfehler verantwortlich?

Ziegler: Viele Ärzte glauben auch heute noch, sie seien unfehlbar. Aktuelle Statistiken zeigen wieder, dass in Deutschland im europäischen Vergleich viel zu viel operiert wird. Die Steigerungsraten sind enorm.

esanum: Was würden Sie einem Arzt empfehlen, der mit einem Behandlungsfehlervorwurf konfrontiert wird und eine Klage befürchten muss?

Ziegler: Darauf kann ich eigentlich keine Antwort geben, weil ich Ärzte nicht vertrete. Ich suche auch privat seit mehr als zwölf Jahren keine Ärzte mehr auf und habe von ihnen ein klares Feindbild. Trotzdem ein Rat: Schuster bleib bei deinen Leisten! Ein Arzt, der von juristischen Dingen keine Ahnung hat, sollte alle rechtlichen Angelegenheiten den gut geschulten Juristen seiner Haftpflichtversicherung überlassen und sich äußerst bedeckt halten.

esanum: Wann muss ein Arzt persönlich haften? Wann die Institution, an der ein Arzt tätig ist?

Ziegler: Ein Arzt haftet immer dann persönlich, wenn nach den Bedingungen seiner Haftpflichtversicherung kein Schutz besteht. Dies ist insbesondere bei Vorsatz der Fall oder wenn die Prämien nicht bezahlt sind.

Im Verhältnis zum Arbeitgeber kommt es auf den Vertrag und arbeitsrechtliche Grundsätze wie zum Beispiel den der gefahrgeneigten Arbeit an. Meist haftet der Arbeitgeber beziehungsweise dessen Versicherung.

esanum: Inwieweit schadet bereits der Klagevorwurf einem Arzt, selbst wenn dessen Unschuld bewiesen wird?

Ziegler: Semper aliquid haeret – es bleibt immer etwas hängen.

Juristischer Notfallkoffer des Berufsverband Deutscher Anästhesisten

Interview: Volker Thoms