Diabetes und Herz-Kreislauf-Risiko bei Frauen: die unterschätzte Gefahr

Wie wirkt sich eigentlich das Geschlecht auf das kardiovaskuläre Risiko bei Diabetes-Patienten aus? Es ist bekannt, dass Frauen vor der Menopause nicht nur deutlich seltener einen Herzinfarkt, sondern insgesamt ein viel geringeres Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen haben als gleichaltrige Männer.

Wie wirkt sich eigentlich das Geschlecht auf das kardiovaskuläre Risiko bei Diabetes-Patienten aus?

Es ist bekannt, dass Frauen vor der Menopause nicht nur deutlich seltener einen Herzinfarkt, sondern insgesamt ein viel geringeres Risiko für kardiovaskuläre Erkrankungen haben als gleichaltrige Männer. Bei einem bestehenden Typ-2-Diabetes kehrt sich dieses Verhältnis allerdings um. In der Öffentlichkeit dürfte das weiterhin noch wenig bekannt sein.

Gender-Medizin rückt auch beim Diabetes in den Fokus – Zeit wird‘s

Ärzte und Ärztinnen sollten sich diese geschlechtsspezifischen Zusammenhänge allerdings verstärkt bewusst machen. Nicht nur als Diabetologe oder Hausarzt (der Lesefreundlichkeit zuliebe verzichten wir im weiteren Verlauf auf beidgeschlechtliche Bezeichnungen).  Vielmehr sollten auch Gynäkologen, Internisten, Kliniker und Vertreter anderer Disziplinen im Kontakt mit Patientinnen den Diabetes im Kopf haben. Er könnte beim anamnestischen, diagnostischen, therapeutischen oder präventiven Vorgehen (inklusive in Frage kommender Screening-Maßnahmen) eine Rolle spielen.

Neben der personalisierten Medizin, die wir im letzten Beitrag kurz ansprachen, rückt – fast zwangsläufig – auch die Gender-Medizin immer stärker in den Fokus der wissenschaftlichen Betrachtung. Dabei handelt es sich nicht etwa um ein „Projekt verbohrter Emanzen“, wie die Ärzte Zeitung vor einiger Zeit zu Recht klarstellte. Vielmehr führt die Gender-Perspektive gerade auch beim Diabetes zu praktisch relevanten Fragestellungen, die vielfach noch einer evidenzbasierten Antwort harren. Die Wissenschaft ist mittlerweile dabei, diesem Bedarf nachzukommen, wie ein Blick in die aktuelle Publikationslandschaft zeigt.

Wann öffnet sich das weibliche „Risiko-Fenster“?

Und damit nun etwas genauer zur Antwort auf die Eingangsfrage: Frauen mit Diabetes haben gegenüber Männern ein erhöhtes kardiovaskuläres Risiko. Italienische Wissenschaftler haben sich kürzlich angeschaut, in welchen Lebensperioden dieser Effekt besonders evident ist1. Dazu führten sie eine Datenbank-Recherche durch und analysierten die Datensätze der Jahre 2008 bis 2012 einer in der Toskana lebenden Kohorte.

Das altersadjustierte kardiovaskuläre Risiko von Personen mit Diabetes war gegenüber solchen ohne Diabetes:

Einzelstudien sollte man nicht zuviel Gewicht beimessen, es geht uns hier eher um die Sensibilisierung für’s Thema. Vielleicht ist Ihnen ja die im Lancet publizierte Metaanalyse2 von 64 prospektiven Kohorten-Studien in Erinnerung, die Daten von mehr als einer Dreiviertel Million Menschen auswertete. Ergebnis: Frauen erkranken erstens zu 27% häufiger als Männer an Diabetes und haben zweitens als Diabetikerinnen ein um 32% höheres Schlaganfall-Risiko im Vergleich zu ihren männlichen Leidensgenossen. Bei Frauen erhöht der Diabetes demnach die Schlaganfall-Inzidenz  um den Faktor 2,3 gegenüber 1,8 bei den Männern.

Empfehlenswert: Screening-Maßnahmen zur Früherkennung eines Prädiabetes bei Frauen

Eine wichtige Erkenntnis der Forscher für die Praxis lautet: Frauen weisen im prädiabetischen Stadium vermutlich ein chronisch gesteigertes kardiovaskuläres Risikoprofil auf. Dieses bleibt allerdings mit höherer Wahrscheinlichkeit als bei männlichen Patienten unerkannt und daher tendenziell länger unbehandelt. Um kardiovaskuläre Ereignisse zu verhindern, sollten deshalb geschlechtsspezifische Interventionen wie beispielsweise Screening-Maßnahmen zur Früherkennung eines Prädiabetes bei Frauen durchgeführt werden.

„Frauen mit Diabetes erleiden früher Herzinfarkte als Männer mit Diabetes – und sie sterben mit höherer Wahrscheinlichkeit an dem Herzinfarkt.“ Das schrieben die Autoren eines wissenschaftlichen Statements3 der American Heart Association (AHA), das vor ziemlich genau einem Jahr in Circulation publiziert wurde. Es diente als Übersicht über den aktuellen Wissensstand und die noch offenen Fragen.

Neben Herzinfarkt und Schlaganfall tritt auch ein chronisches Herzversagen als Infarkt-Spätfolge bei Frauen mit Typ-2-Diabetes häufiger auf. In der Framingham Heart Study war das Herzinsuffizienz-Risiko bei Diabetikern doppelt und bei Diabetikerinnen fünffach so hoch wie in der nicht-diabetischen Population.

„Folgen des Typ-2-Diabetes für Frauen von Ärzten und Betroffenen unterschätzt“

Die DDG nahm die AHA-Publikation zum Anlass für eine eigene Pressemeldung4 zu Beginn dieses Jahres. Darin gab es gute und schlechte Nachrichten für die Ärzte und ihre Patientinnen. Die schlechte zuerst: Dass eine Diabetes-Erkrankung Frauen so sehr viel empfindlicher für kardiovaskuläre Risiken macht, könnte daran liegen, „dass die Folgen des Typ-2-Diabetes für Frauen von Ärzten und Betroffenen unterschätzt werden“. Das vermutet Prof. Dirk Müller-Wieland, Vizepräsident und Mediensprecher der DDG.

Der DDG-Mitteilung zufolge bekommen weibliche Patienten seltener Medikamente gegen hohen Blutdruck oder gegen hohe Cholesterinwerte. „Sie nehmen zudem nach einem Herzinfarkt seltener Aspirin ein“, so Müller-Wieland. Abgesehen von der möglicherweise schlechteren kardiovaskulären Risikoprophylaxe gestaltet sich die Einstellung der Blutzucker-, Blutfett- und Blutdruckwerte aufgrund der hormonellen Lage häufig schwieriger als bei männlichen Diabetikern.

Und die gute Nachricht? Wenn Ärzte der Thematik mehr Aufmerksamkeit schenken und die kardiovaskuläre Risikofaktorkontrolle bei Frauen mit Diabetes ernster nehmen, wird sich die Situation verbessern lassen. Außerdem können die Diabetikerinnen ihren eigenen Teil zur Gefahrensenkung beitragen, auch wenn ihnen das etwas mehr Engagement als den männlichen Leidensgenossen abverlangt. „Studien zeigen, dass Frauen mit Typ-2-Diabetes stärker als Männer von einer Änderung des Lebensstils profitieren. In der Nurses Health Study konnten Frauen mit Diabetes ihr Herz-Kreislauf-Risiko bereits mit zwei Stunden Sport in der Woche senken“, wird der DDG-Präsident Prof. Baptist Gallwitz zitiert.

Erhöhte weibliche Risiken auch beim Typ-1-Diabetes

Auch beim Typ-1-Diabetes zeigen sich erhöhte Risiken für Frauen: Im Vergleich zu Männern tragen sie mit dieser Erkrankung ein etwa 40% höheres Risiko bezüglich der Gesamtmortalität und ein doppelt so hohes Risiko für tödliche und nichttödliche vaskuläre Ereignisse5.

Und noch ein Blick auf den frühen Lebensabschnitt: Einer britischen Studie6 zufolge ist eine frühere Pubertät bei beiden Geschlechtern mit einem höheren Risiko für Typ-2-Diabetes assoziiert, außerdem auch für Hypertension und Angina Pectoris.

Kardiovaskuläres Risiko – und sonst?

Noch ein Hinweis in eigener Sache: Natürlich wollen und werden wir in diesem Blog auch noch andere Diabetes-Themen behandeln als das kardiovaskuläre Risiko. Allerdings steht die bedrohte und zu schützende Gesundheit von Herz und Gefäßen der Diabetiker nun mal im Fokus vieler aktueller Diskussionen in der Fachcommunity. Und so stoßen wir nahezu laufend auf interessante Neuigkeiten, von denen wir zumindest einige hier aufgreifen und kommentieren wollen – gerne auch mit Ihrer Beteiligung. Das gilt übrigens auch in der Gegenrichtung: Wenn Sie sich Beiträge zu bestimmten Themen oder konkreten Fragestellungen wünschen, dann teilen Sie uns das mit. Wir versuchen gerne, dem nachzukommen.

Referenzen:

  1. Policardo L et al. Gender difference in diabetes related excess risk of cardiovascular events: When does the ‚risk window‘ open? J Diabetes Complications 2016. doi: 10.1016/j.jdiacomp.2016.09.010.
  2. Peters SA et al. Diabetes as a risk factor for stroke in women compared with men: a systematic review and meta-analysis of 64 cohorts, including 775 385 individuals and 12 539 strokes. Lancet 2014;383:1973-80.
  3. Regensteiner JG et al. Sex Differences in the Cardiovascular Consequences of Diabetes Mellitus. A Scientific Statement From the American Heart Association. Circulation 2015;132:2424-47.
  4. Deutsche Diabetes Gesellschaft (DDG). Geschlecht beeinflusst Diabetes-Spätfolgen: Frauen mit Diabetes erleiden häufiger Herzinfarkte und Schlaganfälle. Pressemeldung vom 11. Januar 2016.
  5. Huxley RR et al. Risk of all-cause mortality and vascular events in women versus men with type 1 diabetes: a systematic review and meta-analysis. Lancet Diabetes Endocrinol 2015;3(3):198−206.
  6. Day FR et al. Puberty timing associated with diabetes, cardiovascular disease and also diverse health outcomes in men and women: the UK Biobank study. Sci Rep 2015;5:11208. doi: 10.1038/srep11208.