Der Einfluss der Gene auf das Essverhalten

Können wir unseren Genen die Schuld dafür geben, wenn wir zu dick sind? Eine Arbeitsgruppe der McGill University in Kanada hat nun in einer neuen Studie (DOI: 10.1001/jamapediatrics.2015.4253) hera

Können wir unseren Genen die Schuld dafür geben, wenn wir zu dick sind?

Eine Arbeitsgruppe der McGill University in Kanada hat nun in einer neuen Studie (DOI: 10.1001/jamapediatrics.2015.4253) herausgefunden, dass bei Mädchen, die Träger einer mit Fettleibigkeit assoziierten Genvariante (DRD4 VNTR mit 7 Repeats) sind, nicht die Genvariante allein den Fettverzehr dieser Kinder beeinflusst. Vielmehr scheint es sich um ein Zusammenspiel von Gen und dem frühen sozioökonomischen Umfeld der Mädchen zu handeln. Gemeinsam bestimmen diese beiden Faktoren, ob die Variantenträger, verglichen zu Altersgenossen gleicher sozialer Herkunft, einen erhöhten Fettverzehr vorweisen oder sogar gesünder als der Durchschnitt essen. Die DRD2 repeat 7 Variante findet sich bei schätzungsweise 20% der Weltbevölkerung und steht besonders bei Frauen in einem erwiesenem Zusammenhang zu Fettleibigkeit. Interessanterweise sind Jungen mit derselben Variante nicht auf die gleiche Weise beeinflusst wie Frauen.

Laurette Dube, die Leiterin der Studie und wissenschaftliche Direktorin des Zentrums für die Konvergenz von Gesundheit und Wirtschaft an der McGill Universität erklärt:

“Wir haben festgestellt, dass unter Mädchen, die in ärmeren Familien aufwuchsen, diejenigen mit der DRD4 repeat 7 Variante einen höheren Fettkonsum hatten, als Mädchen mit dem gleichen sozioökonomischen Hintergrund aber ohne die Variante. Allerdings stellten wir auch fest, dass Mädchen mit genau der gleichen Genvariante aus wohlhabenderen Familien, im Vergleich zu denen mit gleichen wirtschaftlichen Bedingungen eine niedrigere Fettaufnahme vorwiesen. Diese Erkenntnisse lassen vermuten, dass nicht das Gen allein über die Auswirkungen auf die Statur des Menschen entscheidet. Stattdessen scheint das Gen einen Menschen empfindlicher für die ihn umgebenden Zustände zu machen. Diese Zustände entscheiden dann letztendlich darüber, ob das Kind eine Vorliebe für Fett entwickelt und deswegen in den Folgejahren übergewichtig wird oder eben nicht.“

Die Forscher verwendeten Lebensmitteltagebücher, welche die Eltern von beinahe 200 jungen kanadischen Kindern (Durchschnittsalter von vier) erhielten, um die Essensgewohnheiten ihrer Sprösslinge zu dokumentieren. Die Kinder stammten alle aus der MAVAN Geburtskohorte in Hamilton (Ontario) und Montreal (Québec). Basierend auf den Tagebüchern berechneten die Forscher die Anteile von Fett, Eiweiß und Kohlenhydraten in der Ernährung der Kinder. Darüber hinaus bestimmten sie den BMI der Kinder und ermittelten mittels Speicheltest, diejenigen, die Träger der DRD4 repeat 7 Genvariante waren. Im Anschluss nutzten sie das Einkommen der Familien, um die Qualität des jeweiligen sozioökonomischen Umfeldes, in dem Kinder aufwuchsen, einzuschätzen. Auch diente es als indirekter Marker für die Lebensmittel-Umwelt der Kinder (zum Beispiel, Verfügbarkeit von Obst und Gemüse oder Fast-Food im Umfeld).

Bestimmte Genvarianten machen einige Menschen anfälliger für ihre Umwelt

Die Studie, welche unlängst in einem Artikel in der JAMA Pediatrics veröffentlicht wurde, baut auf den jüngsten Arbeiten anderer, die darauf hindeuten, dass bestimmte Gene, einschließlich DRD4 repeat 7, sogenannte “Plastizitäts-Gene” sind. Das bedeutet, dass diejenigen mit einer solchen Genvariante im Allgemeinen “offener” für ihre Umwelt sind als Menschen ohne diese Abwandlung. In Abhängigkeit davon, in was für einer Umgebung das Individuum mit der Genvariante lebt, kann sie das Risiko für bestimmte neuropsychologische Zustände entweder erhöhen oder verringern.

Da es bereits bekannt war, dass Träger von DRD4 repeat 7 ein erhöhtes Risiko für Adipositas haben, fragten sich die Macher dieser Studie, ob auch dieses Gen möglicherweise ein solches Plastizitäts-Gen ist, dessen Auswirkungen in Abhängigkeit vom jeweiligen Umfeld variieren.

“Wir haben uns gefragt, ob der schon mehrfach belegte erhöhte Fettverzehr bei 7-repeat-Mädchen durch ihr soziales Umfeld moduliert werden kann. Wir konnten in unserer Arbeit zeigen, dass das der Fall ist: der Aufnahme von Fett wird sich bei diesen Mädchen entsprechend ihres sozioökonomischen Status verringern oder erhöhen“, sagt Dr. Patricia Silveira von der Fakultät für Medizin an der Universität Federal do Rio Grande Do Sul in Brasilien. Sie ist die Erstautorin der Studie, die in Zusammenarbeit mit der McGill University of Toronto und McMaster University durchgeführt wurde. “Dieses Wissen ist wichtig, da wir dadurch den Fokus vom Gen (zuvor als „Schuldiger“ für das erhöhte Risiko zum „Dicksein“ bezeichnet) auf die Umwelt verlegen.”

“Bis jetzt sind wir immer davon ausgegangen, dass die 7-Repeat-Variante eine Gewichtszunahme bei diesen Individuen auslöst, indem es eine Erhöhung der lohnenden Aspekte bestimmter Lebensmittel verursacht. Die neuen Ergebnisse deuten allerdings auf eine andere Ursache hin”, sagt Dr. Robert Levitan. Levitan, der ebenfalls an der Studie mitarbeitete, ist Leiter des Kinder-Adipositas-Programms der MAVAN Kohorte und Senior-Wissenschaftler am Centre for Addiction and Mental Health (CAMH). Er hat das DRD4-Gen bereits in verschiedenen weiblichen und erwachsenen Populationen untersucht.

Gleichaltrige Jungen zeigen nicht die gleichen Ernährungspräferenzen wie weibliche Variantenträger

Interessanterweise stellten die Forscher fest, dass der beschriebene Effekt der Variante nur bei von ihnen getesteten Mädchen zutraf. Die Ursache hierfür vermuten sie in der Evolution des Menschen. Aus evolutionärer Sicht könnte es für Mädchen nämlich vorteilhaft gewesen sein, leicht Gewicht zuzunehmen, um sich ungünstigen Lebensbedingungen besser anpassen zu können und somit die Reproduktion sicherzustellen. Eine weitere Erklärung könnten Unterschiede in der Entwicklung von Jungen und Mädchen darstellen. Möglicherweise ist das untersuchte Alter von vier Jahren einfach zu jung, um die Effekte auch bei Knaben zu sehen. Bei Jungen und Mädchen dieses Alters kommt es nämlich innerhalb verschiedener Phasen zu Gewichtszunahmen. Auch ist es denkbar, dass sie verschiedenes Verhalten als Antworten auf Hunger- und Sättigungsgefühl zeigen.

“Alles was wir mit Gewissheit aus dieser Arbeit ableiten können ist, dass die Genvariante unsere Ernährungsgewohnheiten entsprechend unserer Umgebung unterschiedlich beeinflusst. Allerdings wissen wir nicht, wie das Gen dies letztendlich bewerkstelligt”, sagt Silveira.

Dubé sagte, dass “diese Ergebnisse die Bedeutung der Ursachenforschung jenseits des “One size fits all”-Prinzips unterstreichen. Wir müssen uns in Richtung gezielter Ansätze bewegen, die sich auf Populationen konzentrieren, welche besonders anfällig für sowohl genetische als auch umweltbedingte Einflüsse sind. Diejenigen, die aus biologischer Sicht gegenüber einer ungünstigen Umwelt verwundbarer sind, sind nämlich gleichzeitig auch diejenigen, welche stärker auf eine Verbesserung ihrer Lebensbedingungen ansprechen und davon profitieren.”

Text: esanum /pvd

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