“Der Privatbereich wird schlechter gestellt werden”

Gespräch mit Dr. Elmar Wille, Vize-Präsident der Berliner Ärztekammer über die Ergebnisse des Sonderärztetages. esanum: Herr Dr. Wille, der Sonderärztetag zur neuen GOÄ hat mit breitem Votum für de

Gespräch mit Dr. Elmar Wille, Vize-Präsident der Berliner Ärztekammer über die Ergebnisse des Sonderärztetages.

esanum: Herr Dr. Wille, der Sonderärztetag zur neuen GOÄ hat mit breitem Votum für den vorliegenden Vorschlag gestimmt. Bleiben Sie bei Ihrer scharfen Kritik?

Dr. Elmar Wille – Vizepräsident der Ärztekammer Berlin

Dr. Wille: Breites Votum? So sehe ich das nicht. In einer wesentlichen Frage, nämlich die GOÄneu nachzubessern, so dass die Freiberuflichkeit des Arztes in Klinik und Praxis uneingeschränkt erhalten bleibt und eine ordnungspolitische Annäherung an Strukturen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) vermieden und das individuelle Patienten-Arzt-Verhältnis nicht beeinträchtigt wird – stand es bei der Abstimmung 98 : 109. Ich bin traurig, dass wir, die wir gegen die Änderung der Bundesärzteordnung sind, unseren Standpunkt offenbar nicht ausreichend erklären konnten. Und das so viele Kollegen gar nicht verstanden haben, wofür sie da eigentlich die Hand heben.

esanum: Wofür denn? Eine Erneuerung der GOÄ nach über 30 Jahren scheint doch wirklich notwendig?

Dr. Wille: Sicher, aber es ging ja um viel mehr. Unter der Überschrift GOÄneu wurden wesentliche Rechte und Kompetenzen der Ärzteschaft angegriffen. Die Bundesärzteordnung ist ein Gesetz, das nur der Bundestag ändern kann und der Ärztetag kann sich allenfalls dazu äußern.

esanum: Was genau ist nun Ihre Sorge?

Dr. Wille: Die Bundesärztekammer sorgt gemeinsam mit der PKV für die Änderung der Bundesärzteordnung unter Abgabe von Kompetenzen und Rechten der Ärzteschaft an die Gemeinsame Kommission (GeKo). In der bisherigen Zentralen Kommission waren die Stimmen der Ärzte in der Mehrheit – in der GeKo haben die Ärzte künftig nur noch das halbe Recht. Das bedeutet, die Kostenträger haben in eigener Sache das Vetorecht. Die bestimmen, ob der Arzt im Einzelfall etwas richtig oder falsch gemacht hat, sie entscheiden über die Abrechnung, wenn der Arzt bei Behandlung und Rechnungsstellung Einzelumstände geltend machen will. Und was ist die Aufgabe der Kostenträger? Kostensparen, die Ausgaben niedrig halten.

esanum: Wohin führt das Ihrer Meinung nach?

Dr. Wille: Der Arzt muss öfter „Bitte-Bitte“ machen, statt souverän entscheiden zu können. Wenn das Prinzip Kostenbremsen gestärkt wird, wird es in wenigen Jahren soweit sein, dass teure Technologien und Leistungen bei uns später zugelassen und abrechenbar sein werden, als in vergleichbaren oder sogar schwächeren Ländern. Tendenzen dazu sehen wir bereits. Allein in meinem Fachbereich, der Augenheilkunde, gibt es bereits eine Handvoll sinnvolle Verfahren, die gesetzlich Versicherte nicht bekommen, obwohl sie Privatversicherten sehr wohl nützen. Auch die Computertomografie war im Privatbereich schon Jahre zugelassen, ehe sich die gesetzlichen Kassen auch dazu bereit fanden, das zu bezahlen. Man sieht daran, dass bewährte und effiziente Verfahren durchaus aus Kostengründen ausgebremst werden können. Ich fürchte, dass das demnächst auch die Privatversicherten erleben werden. Der Handlungsspielraum der Ärzte wird durch die Bremser, die nun noch gestärkt werden sollen, immer mehr eingeschränkt.

esanum: Von konkreten Zahlen war aber bei der GOÄneu bisher gar nicht die Rede?

Dr. Wille: Ja eben, die Ärzte haben dir Katze im Sack gekauft. Das verstehe ich einfach nicht. Keiner weiß jetzt, was auf ihn zukommt, wie seine Abrechnung demnächst aussehen wird.

esanum: Ihre Prognose?

Dr. Wille: Sprechen wir uns in fünf Jahren nochmal. Sie werden sehen, immer weniger Ärzte werden sich trauen, neue Mittel zu verschreiben, damit sie nicht in komplizierte, konfliktvolle Verfahren verwickelt werden. Der Privatbereich wird schlechter gestellt werden, wird seine Leistungen stark einschränken. Verlierer sind außer den Ärzten natürlich auch die Patienten.


Das Gespräch führte Vera Sandberg.

Vera Sandberg#Vera SandbergVera Sandberg, geboren 1952 in Berlin, absolvierte ihr Journalistik-Studium in Leipzig und war 12 Jahre lang Redakteurin einer Tageszeitung in Ost-Berlin. Im Juni 1989 wurde ihr die Ausreise bewilligt, seit 1990 ist sie Autorin für verschiedene Publikationen, Journalistin für medizinische Themen und hat mehrere Bücher geschrieben, zuletzt “Krebs. Und alles ist anders”. Vera Sandberg ist Mutter von zwei inzwischen erwachsenen Kindern und lebt seit 2000 bei Berlin.

Foto: Kathleen Friedrich