Erhöhtes Brustkrebsrisiko bei Typ-2-Diabetespatientinnen nach Langzeitanwendung von Insulin Glargin

Neue Daten von 22.000 Frauen aus einer britischen Datenbank: Diskussion über eine Kanzerogenität von Glargin-Insulin lebt neu auf.

Neue Daten von 22.000 Frauen aus einer britischen Datenbank: Diskussion über eine Kanzerogenität von Glargin-Insulin lebt neu auf.

Am 27. September 2017 erschien im Journal of Clinical Oncology1 die Auswertung des U.K.´s  Clinical  Research Datalink von 22.395 Frauen mit Typ-2-Diabetes unter Insulintherapie. Es traten 321 neue Brustkrebsfälle zwischen 2002 und 2015 auf (Inzidenzrate 3.3 pro 1000 Personenjahre). Verglichen mit NPH-Insulin war die Anwendung von Glargin-Insulin mit einem erhöhten Brustkrebsrisiko assoziiert (HR, 1.44; 95% CI, 1.11 – 1.85), wobei das Risiko  fünf Jahre nach Beginn der Glargin-Therapie (HR, 2.23; 95% CI, 1.32-3.77) und nach mehr als 30 Verordnungen (HR, 1.26; 95% CI, 1.26-4.16) stark stieg.

Das Risiko nahm insbesondere bei schon vorheriger Insulinanwendung zu (HR, 1.53; 95% CI, 1.10-2.12), nicht jedoch bei Erstanwenderinnen von Insulin, deren Anzahl geringer war (HR, 1.18; 95% CI, 0.77-1.81). Auch mit Insulin Detemir (Levemir®) war die Brustkrebsrisiko-Erhöhung nicht signifikant (HR, 1.17; 95% CI, 0.77-2.77), allerdings war die Zahl der behandelten Patientinnen viel niedriger, so dass keine sichere Aussage getroffen werden kann.

Kommentar von Prof. Dr. Helmut Schatz

In der ORIGIN-Studie mit Glargin bei Prädiabetes und Typ-2-Diabetes über im Mittel 6 Jahre hatte sich kein erhöhtes Krebsrisiko  gezeigt2. In ORIGIN waren etwa 4000 der 12.500 Patienten Frauen und es waren in der Beobachtungsperiode nur 56 Fälle von Brustkrebs neu aufgetreten. Nach Jennifer J. Wu, der Erstautorin der vorliegenden Studie von der McGill Universität in Kanada war in ORIGIN die Power für Krebsfälle bestimmter Lokalisationen zu gering und die Beobachtungsperiode für die Latenz zu kurz3. In ihrer Studie lag die Zahl neu aufgetretener Brustkrebsfälle während der bis zu 12 Jahre langen Beobachtungszeit mit NPH-Insulin bei 108 von 9549, mit Glargin-Insulin bei 176 von 9575 und mit Detemir-Insulin bei 37 von 3271 Frauen.

Die Diskussion über eine Kanzerogenität von Glargin-Insulin, die nach der ORIGIN-Studie  weitgehend beendet schien, wird nun wohl neu aufleben. Zu den klinischen Konsequenzen aus ihrer Arbeit äusserte sich Jennifer W. Wu folgendermaßen: "Despite these findings, the benefits and risk of insulin glargine must be considered by drug regulatory agencies before any change in clinical practice can be made"3.

Da das Brustkrebsrisiko unter Glargin nur unter Insulinanwenderinnen schon vor der Glargin-Gabe, nicht aber bei Neueinstellung auf Glargin erhöht gefunden worden war, könnte man vorerst daraus die Konsequenz ziehen,  bei Umstellungen von Patientinnen von einem auf ein anderes Insulinpräparat die Ergebnisse dieser Observationsstudie mit in die differenzialtherapeutischen Überlegungen einzubeziehen.

Die Observationsstudie hat allerdings  Limitationen, auf die Hertzel C. Gerstein, der führende Autor der ORIGIN-Studie hinwies. Er meinte, dass es nicht die Insulinart, sondern Besonderheiten der Patientinnen gewesen sein könnten, denen Glargin und nicht NPH-Insulin oder Detemir-Insulin verschrieben worden sei. Auch sei die Studie nicht für Menarchen- und Menopausenalter, Geburten, Alter bei der ersten Geburt oder Stillen adjustiert gewesen3.

Riccardo Perfetti von Sanofi – Medical Affairs Diabetes  ergänzte, dass die Familienanamnese bezüglich Brustkrebs nicht berücksichtigt worden sei. Perfetti zog die für Sanofi positive Schlussfolgerung: "The results of the new-user analysis in this study provided additional evidence that (in new users) insulin glargine is not associated with an increased risk of breast cancer, even for exposure longer than 5 years". Und er kündigte eine neue Untersuchung aus zwei US-Datenbasen mit 300.000 Patientinnen über 12 Jahre an, die bei Insulin- Neuanwenderinnen kein unterschiedliches Brustkrebsrisiko zwischen Glargin und NPH-Insulin ergeben hätten3.

Referenzen:

  1. Wu JW, Azoulay L, Majdan A, Boivin JF, Pollak M, Suissa S: Long-term use od long-acting insulin analogs and breast cancer incidence in women with type 2 diabetes. J Clin Oncol 2017 Sept 27, ahead of print. Doi:10.1200/JCO.2017.73.4491.
  2. The ORIGIN Trial Investigators: Basal insulin and cardiovascular and other outcomes in dysglycemia. N Engl J Med 2012. 367:319-328.
  3. Wu JJ, in Busko M: Insulin glargine / breast cancer link seen again in type 2 diabetes. http://www.medscape.com/viewarticle/887204_print