Herausforderung Praxisübergabe: "Viele Kollegen müssen sich nicht wundern, keinen Nachfolger zu finden"

Das Finden eines Nachfolgers für die eigene Praxis kann insbesondere für Ärzte in ländlichen Gegenden kompliziert sein. Jüngere Mediziner zieht es in die Städte. Häufig sind zudem umfangreiche Renovierungen an den Praxisräumen notwendig. Der Zustand zahlreicher Praxen ist verbesserungswürdig. In überversorgten Gebieten muss ein Zulassungsausschuss bewerten, ob eine Praxis nachbesetzt wird.

Interview mit Privatdozent Christian Ottomann über die von ihm gegründete Landarztbörse

Das Finden eines Nachfolgers für die eigene Praxis kann insbesondere für Ärzte in ländlichen Gegenden kompliziert sein. Jüngere Mediziner zieht es in die Städte. Häufig sind zudem umfangreiche Renovierungen an den Praxisräumen notwendig. Der Zustand zahlreicher Praxen ist verbesserungswürdig. In überversorgten Gebieten muss ein Zulassungsausschuss bewerten, ob eine Praxis nachbesetzt wird.

"Es fehlt bei vielen Praxen einfach ein Gesamtkonzept", sagt Privatdozent Christian Ottomann. Der Schiffsarzt aus Berlin hat 2015 die Online-Praxisbörse landarztboerse.de gegründet, über die Ärzte ihre Praxis Nachfolgern zur Übernahme anbieten oder eine Praxis suchen können. Die Zahl der angebotenen Praxen ist aktuell deutlich höher als die der Gesuche: 930 zu 176. Wer sich aktuell als Arzt niederlassen will, scheint also gute Chancen zu haben, Räumlichkeiten und Patienten zu finden.  

esanum: Sie betreiben das Portal landarztboerse.de. Was ist die Idee dieser Plattform?

Ottomann: Als Reaktion auf die mehrfachen Bitten und Anfragen von Kollegen, Arztpraxen innerhalb unseres Schiffsarztpools schiffsarztbörse.de zu vermitteln, haben wir 2015 die Landarztbörse gegründet. Wir sind eine unabhängige Praxisbörse von Ärzten für Ärzte und bieten kosten-, provisions-  und courtagefreie Praxisinserate ohne Vermittlungsgebühren an.

Die Gründung der Landarztbörse mit verschiedenen Kollegen erfolgte aus einer Unzufriedenheit bei der eigenen Praxissuche heraus. Unzufriedenheit gegenüber den verstaubten Praxisbörsen der regionalen kassenärztlichen Vereinigungen und gegenüber den am Markt bestehenden etablierten Praxisvermittlern wie zum Beispiel MLP, der Deutschen Apotheker- und Ärztebank und Ärzte Finanz, bei der sich Ärzte an einen Vermittler binden und zum Teil einen nicht unerheblichen Prozentsatz des Verkaufserlöses an den Praxisvermittler abgeben müssen. Die Zeit war einfach reif, dass sich Ärzte bei der Praxisübergabe solidarisieren und ihre eigene Plattform besitzen.

esanum: Wie reagierten andere Praxisvermittler auf Sie als Konkurrenten? Zum Beispiel die Kassenärztlichen Vereinigungen?

Ottomann: Obwohl wir die KVen beim Versorgungsauftrag unterstützen, bekamen wir nach der Gründung wider Erwarten Gegenwind. Die Kassen wollten wohl neben ihren eigenen Praxisbörsen keine innovativen Mitbewerber. Eine Ausnahme bildet die KV Sachsen-Anhalt, mit der gerade eine Kooperation im Aufbau ist. Wir hoffen, dass die anderen KVen diesem Beispiel folgen. Seltsamerweise erfuhren wir auch keinerlei Unterstützung durch den Hausärzteverband. Letztendlich ist die Praxisvermittlung offenbar so lukrativ, dass neue und junge Anbieter nicht gerne gesehen werden – für uns ein zusätzlicher Ansporn, es erst recht zu versuchen.  

Inzwischen sind wir nicht nur die größte Praxisbörse für den niedergelassenen Bereich, sondern haben das Angebot auch auf Österreich und die Schweiz ausgedehnt.

esanum: Was sind die Gründe, warum Ärzte ihre Praxis bei Ihnen einstellen?

Ottomann: Aufgrund negativer Erfahrungen bei der eigenen Praxissuche haben die Ärzte den wachsenden Informationsbedarf und die Möglichkeiten einer digitalen innovativen Praxisbörse erkannt. Wir selbst haben vor allem die mangelnde Transparenz bei vielen Praxisinseraten anderer Praxisbörsen als negativ empfunden. Junge Kolleginnen und Kollegen werden immer digitaler und mobiler. Sie binden sich nicht mehr gerne ein Leben lang an eine bestimmte Arztpraxis beziehungsweise an einen Ort. Daher war von Anfang an klar, dass eine deutschlandweite Übersicht an Praxisinseraten und Ärztestellen notwendig ist.

Detaillierte Einblicke in Wirtschaftlichkeit einer Praxis

esanum: Was zeichnet Ihre Praxisbörse im Vergleich zu anderen aus?

Ottomann: Die Landarztbörse ist eine digitale Plattform, die neben den Möglichkeiten und Vorteilen digitaler Praxispräsentationen wie ein strukturiertes und stringentes Design auch unbegrenzte Fotos in der Galerieansicht und ein frisches Layout bietet. Vor allem haben wir eine hohe Informationsdichte bei den Praxisinseraten. Ein detaillierter Einblick in die wirtschaftlichen Eckdaten der zu übernehmenden Arztpraxis ist für den potentiellen Praxisnachfolger unabdingbar. Praxisinserate mit nur spärlichen Informationen oder ohne Fotos sortieren wir konsequent aus, wenngleich uns bewusst ist, dass die Praxisabgabe eine sensible Angelegenheit ist, die Diskretion erfordert, um den Patientenstamm und das Praxisteam nicht zu verunsichern. Wir haben darauf unter anderem mit einer Chiffre-Funktion und einer unscharfen Lokalisation auf der Google-Maps-Karte reagiert.

Mit dem Praxistool "Verdienstkalkulator" stellen wir eine App zur Verfügung, in der anhand von Scheinzahl, Privatpatientenanteil, Umsatzzahlen und Ausgaben sehr genau der erwartete Gewinn abgebildet wird. Für die Praxis-Abgeber haben wir ein Praxisbewertungstool programmiert.

Besonders stolz sind wir auf unsere Standortanalyse- und Geomarketing-Kartenfunktion. Geomarketing ist eine bei Ärzten unterschätze Möglichkeit, aktuelle und künftige Patientenfrequenzen sowie demographische Bevölkerungsdaten zu beurteilen. Durch eine zusätzliche Standortanalyse auf der Landarztbörse, die auch bei der Gründung einer Zweigpraxis oder Praxisfiliale interessant ist, lässt sich sehr genau einschätzen, wie Patientenalter, Patienteneinkommen und der Privatpatientenanteil in der Umgebung der Arztpraxis sind.

esanum: Welche Fachbereiche sind am häufigsten bei Ihnen vertreten?

Ottomann: Eindeutig die hausärztliche Versorgung – also Allgemeinmedizin und die hausärztlich-internistische Medizin. Danach folgen Gynäkologie, HNO und Augenärzte. Diese Verteilung wird sich aber in den nächsten Jahren ändern, da es ein Überangebot an Praxen anderer Fachrichtungen geben wird. Werden Programme wie die anteilsmäßige Studienplatzvergabe bei Verpflichtung zur ärztlichen Versorgung in unterversorgten Gebieten realisiert und greifen Maßnahmen zur Attraktivitätssteigerung der hausärztlichen Versorgung, kann sich das derzeitige Bild des Ärztemangels in bestimmten Regionen schnell ändern.

esanum: In den kommenden Jahren werden insbesondere viele Hausärzte aus ihrem Beruf ausscheiden. Inwieweit registrieren Sie ein steigendes Interesse nach Praxisübergaben?

Ottomann: Obwohl in den 395 Planungsbezirken für den ambulanten Bereich eine Überversorgung festgestellt wurde, gehen der Kassenärztlichen Bundesvereinigung zufolge in den strukturschwachen Gebieten etwa 51.000 Haus- und Fachärzte bis 2021 in den Ruhestand. Junge Ärzte lassen sich unter aufgrund einer geänderten Vorstellung von Work-Life-Balance lieber in einem Medizinischen Versorgungszentrum oder in einer Berufsausübungsgemeinschaft anstellen, statt das Abenteuer 'Selbstständigkeit' zu wagen.

Ein steigendes Interesse stellen wir nur bei Praxisabgaben und nicht bei Praxisübernahmen fest – mit Ausnahme der für junge Ärzte attraktiven Großstädte und Zentren mit Fachhochschulen oder Universitäten wie Lübeck, Münster, Tübingen oder Göttingen. Leider erkennen viele vor dem Ruhestand stehende niedergelassene Ärzte erst jetzt, dass ihre mit Praxisverkauf konnotierte Altersversorgung nicht mehr sicher ist. Wir raten auf jeden Fall, frühzeitig mit der Praxisnachfolgersuche zu beginnen: fünf und nicht mehr wie früher ein bis zwei Jahre vor dem geplanten Ausscheiden aus der Praxis.

Mehr Praxisangebote als -gesuche

esanum: In vielen ländlichen herrscht ein Ärztemangel. Teilweise gehen mehr als 50 Prozent der Ärzte in Rente. Inwieweit spiegelt sich dieser regionale Mangel bei den angebotenen Praxen wider? Befinden sich die Praxen wirklich überwiegend auf dem "Land"?

Ottomann: Bei den circa 1.000 offenen Praxisangeboten auf der Landarztbörse ist kein eindeutiger Trend bei der lokalen Verteilung auszumachen – weder in bestimmten Regionen noch bezüglich der Zuordnung Stadt- oder Land. Aufgrund der Altersverteilung der niedergelassenen Ärzte, von denen etwa ein Drittel in den nächsten Jahren in den Ruhestand gehen wird, haben wir einen deutlichen Praxisverkaufsüberhang. Insofern ist der Name Landarztbörse zugegebenermaßen ein wenig überholt. Wir sind im Jahr 2015 mit der Absicht gestartet, die Ärzteversorgung auf dem Land zu unterstützen. Ein Namenswechsel ist hinsichtlich der Auffindbarkeit im Internet nur leider sehr schwierig.

esanum: Schaut man sich die Fotos an, dann scheinen einige Praxen in die Jahre gekommen und wenig modern zu sein. Inwieweit stimmt dieser Eindruck?

Ottomann: Dieser Eindruck stimmt. Unabhängig von der Lage in der Stadt oder auf dem Land müssen sich viele Kollegen nicht wundern, wenn sie für ihre Praxis keinen Nachfolger finden. Oftmals wurde die Praxis zum letzten Mal rund um das Jahr 1980 renoviert, verfügt über keinerlei Praxismarketingkonzept und nicht mal eine Praxis-Website. Es fehlt bei vielen Praxen einfach ein Gesamtkonzept. Da es bei zahlreichen Arztpraxen eher zu viele Patienten gibt, waren derlei Maßnahmen auch gar nicht nötig. Die Versäumnisse zeigen sich dann beim Praxisverkauf. Inserate werden zum Teil eher selbstgefällig und ohne Mühe aufgegeben. Dabei kann auch die Praxispräsentation und die zur Verfügung gestellten wirtschaftlichen Daten über den Erfolg bei der Praxisabgabe entscheiden.

Haarsträubend sind zum Teil insbesondere selbstgemachte Praxisfotos. Diesbezüglich ist die Investition in einen professionellen Praxisfotografen zu empfehlen.

esanum: Wie können sich Praxen attraktiver machen?

Ottomann: Mit ein paar einfachen Maßnahmen wird auch eine Praxis in scheinbar unattraktiven Gegenden für junge Ärzte interessant, vor allem wenn man Modelle wie Jobsharing oder eine begleitete Umwandlung in eine Berufsausübungsgemeinschaft anbietet.

Attraktiv ist eine Praxis ja nicht nur durch die Lage in einer bestimmten Stadt oder Region, sondern auch aufgrund von Faktoren wie Einkommensstruktur des Praxiseinzugsgebietes, einer prosperierenden Umgebung, günstigen Mieten, Kindergärten und Schulen, Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr, Parkplätze für Patienten oder die Nähe zum Einzelhandel. Eine unattraktive Lage ergibt sich also nicht allein aus der Lokalisation der Praxis in einer ländlichen Region. Gerade prosperierende Gegenden in den neuen Bundesländern und Regionen  im Umkreis von Großstädten gewinnen aktuell deutlich an Attraktivität. Ein guter Vergleichsfaktor ist hierbei immer der Trend auf dem Immobilienmarkt.