Immer mehr Diabetiker – immer weniger diabetologische Abteilungen?

Gespräch mit Prof. Dr. Annette Schürmann, Präsidentin des Diabetes-Kongresses 2017 in Hamburg, zur Entwicklung der Versorgung von Diabetespatienten in Deutschland.

Dr. Anette Schürmann Präsidentin des Diabetes-Kongresses 2017

Gespräch mit der Präsidentin des Diabetes-Kongresses 2017 in Hamburg, Prof. Dr. Annette Schürmann. Leiterin der Abteilung Experimentelle Diabetologie am Deutschen Institut für Ernährungsforschung in Potsdam-Rehbrücke (DIfE) und Professorin an der Uni Potsdam.

esanum: Prof. Schürmann, Intervallfasten – immer noch Ihr Lieblings-Thema beim Kampf gegen Diabetes?

Schürmann: Untersuchungen zum Intervallfasten sind nur ein Aspekt, den wir in meiner Gruppe verfolgen. Die Analysen der molekularen Effekte, die durch Intervallfasten erzeugt werden, sind im Rahmen einer Doktorarbeit erfolgt und das Erfreuliche ist, dass der Doktorand, Dr. Christian Baumeier, dafür auf dem Diabetes-Kongress den Förderpreis der DDG erhält. In einer neuen Studie wollen wir nun prüfen, ob das Intervallfasten positive Einflüsse auf die Fetteinlagerungen im Pankreas hat. Intermittierendes Fasten kann ganz unterschiedlich erfolgen. Es kann z.B. so aussehen, dass man an zwei Tagen in der Woche deutlich weniger isst, man spricht dann auch von der 5:2-Diät. Oder man verzichtet für 16 Stunden komplett auf Nahrungsaufnahme (16:8-Diät). Besonders effektiv ist es, wenn nur jeden zweiten Tag gegessen wird.

esanum: Was ist noch im Focus der experimentellen Diabetologie?

Schürmann: Ein großes Thema ist die erbliche Veranlagung von Übergewicht und Diabetes. Wir kennen noch nicht alle Gene, die zur Entstehung der Erkrankung beitragen und versuchen deshalb, neue relevante Gene zu entdecken. Auf dem Kongress stellen wir u.a. das Interferon-aktivierte Gen 2B vor, das deutlich zur viszeralen Adipositas beiträgt. Im Focus ist aber auch, welche epigenetischen Veränderungen am Übergewicht und der Diabetesentstehung beteiligt sind. Hier stellen wir Ergebnisse zum  DPP 4 (Dipeptidylpeptidase 4) vor, einem Enzym, das von verschiedensten Zellen freigesetzt wird und u.a. das Incretin GLP1 spaltet. DPP-4-Inhibitoren werden bereits in der Therapie eingesetzt. Wir berichten darüber, dass DPP 4 vor allem von der Leber produziert wird und seine Genaktivität in der Leber epigenetisch, also durch DNA-Methylierung reguliert wird. Interessant ist, dass diese DNA-Methylierungen bereits vor der Entstehungen einer Fettleber und vor dem Diabetes verändert sind.

esanum: Wie entwickelt sich die personalisierte, transsektorale und interdisziplinäre Diabetes-Versorgung?

Schürmann: Es ist einer der Schwerpunkte auf dem Kongress, über den derzeitigen Wissensstand zur Versorgungsforschung zu informieren. Es wird in Zukunft erforderlich, dass wir möglichst früh zwischen verschiedenen Subtypen des Typ2-Diabetes unterscheiden können. Nicht jeder an Diabetes Erkrankte hat die gleiche Pathogenese. Es ist eines unserer Ziele, möglichst früh zwischen den Subtypen unterscheiden zu können, um gezielt die optimale Therapie durchzuführen. Im Moment wird bei Vorliegen einer Insulinresistenz ausschließlich eine Lebensstiländerung angeraten, keine medikamentöse Therapie. Aber es gibt Personen, die auf eine Lebensstiländerung überhaupt nicht ansprechen – trotz Sport und Gewichtsabnahme bleibt bei ihnen die Fettleber und die Insulinresistenz erhalten. Diesen muss man also etwas anderes anbieten. Auch bei Manifestation des Diabetes ist der Verlauf individuell unterschiedlich. Sekundärkomplikationen treten bei einigen Patienten bereits innerhalb der nächsten fünf Jahre, bei anderen in den nächsten zehn Jahren auf. Es gilt herauszufinden, wie wir schon früh den Verlauf der Erkrankung voraussagen können, um die Patienten optimal therapieren und einstellen zu können.

esanum: Wie viele solcher Gruppen gibt es?

Schürmann: Das müssen wir erst noch genauer bestimmen. Mit Hilfe von bestimmten Biomarkern hoffen wir, in Zukunft Subgruppen definieren zu können. Auf dem IR-Meeting in Nizza stellte Prof. Leif Groop aus Lund seine Analysen vor, nach denen man mindestens vier Subtypen unterscheiden kann.

esanum: Was bedeutet die Ökonomisierung der Medizin für die patientenorientierte Diabetologie?

Schürmann: Die Ökonomisierung ist für die Diabetologie, die ja eher eine sprechende Medizin ist, ein großes Problem. Für die Erkrankten reicht es nicht, ein Rezept ausgestellt zu bekommen, sie brauchen vor allem Informationen und Schulungen. Und das ist nicht so rentabel für Klinken wie z.B. eine chirurgische Abteilung. Unsere Sorge in der Deutschen Diabetes-Gesellschaft ist daher, dass durch die Ökonomisierung Abteilungen der Endokrinologie und Diabetologie in Universitäts-Kliniken und anderen Krankenhäusern geschlossen werden. Patienten werden dann nicht mehr von den entsprechenden Spezialisten behandelt. Es hat außerdem enormen Einfluss auf den ärztlichen und wissenschaftlichen Nachwuchs. Wir brauchen die Kliniken mit Schwerpunkt Diabetologie, um junge Ärzte in diesem Fach auszubilden. Wir befürchten, dass das Fach nicht mehr ausreichend in der Ausbildung vertreten ist – obwohl wir einen starken Zuwachs an Erkrankten haben. Wir gehen von 6,7 Millionen an Diabetes Erkrankten in Deutschland aus und die Zahl der Neuerkrankten liegt zwischen 100 000 und 300 000 pro Jahr.

esanum: Das klingt nach gesundheitspolitischer Katastrophe.

Schürmann: Ja. Wir sind deswegen intensiv mit den Politikern im Gespräch. Der letzte Parlamentarische Abend, den die Deutsche Diabetes Gesellschaft organisiert hat, hatte genau das zum Thema.

esanum: Was gibt es Neues zur Typ 1 Diabetes?

Schürmann: Typ 1 Diabetes nimmt zu und wir wissen nicht, warum. Der Körper entwickelt Antikörper gegen das Insulin oder gegen die insulinproduzierenden Zellen. Die Betroffenen, zumeist junge Menschen, müssen ihr Leben lang Insulin substituieren. Es werden bereits erste Studien in Bayern und Sachsen durchgeführt (Fr1da), bei denen gefährdete Kinder mit einem Screening schon früh aufgespürt werden. Diese Studien haben u.a. zum Ziel, die Kinder von Beginn an optimal zu behandeln und Ketoazidosen zu vermeiden.

esanum: Und Neuigkeiten zur Typ 2 Diabetes?

Schürmann: Neu vorgestellt wird die EMPA-REG-Studie. Sie zeigt, dass die Behandlung mit SGLT2-Inhibitoren das kardiovaskuläre Risiko senkt. In der Sitzung zur Fettleber spricht u.a. Professor Cusi aus Florida über therapeutische Ansätze zur Verhinderung der Fettleber und der Fibrose. Dann wird es Neuigkeiten zu den Pathomechanismen des Beta-Zelluntergangs geben und spannende Daten zum Zusammenspiel des Gehirns und peripheren Organen im Insulin-sensitiven und Insulin-resistenten Zustand.

esanum: Die Volksseuche Adipositas – welche Diskussion gibt es dazu auf dem Kongress?

Schürmann: Wir diskutieren neue Ansätze, um Gewicht zu verlieren. In der Regel genügen ja 5 bis 10 Prozent Gewichtsreduktion, um deutliche Verbesserung des Stoffwechsels zu sehen. Das ist auch bekannt aus Beobachtungen kurz nach der Bariatrischen OP, wenn sich die Blutglukosespiegel vermindern, deutlich bevor es zur massiven Gewichtsabnahme kommt. Die Gruppe von Professor Pfeiffer berichtet, welchen positiven Einfluss eine proteinreiche Diät auf den Leberstoffwechsel hat. Sie senkt den Leberfettgehalt und schützt damit vor einem Diabetes.

esanum: Wie geht der Kongress auf die vielen Begleiterkrankungen ein?

Schürmann: Es wird unter anderem vorgestellt, was es Neues gibt zum Diabetischen Fuß. Das Ziel ist eine optimale Versorgung und Therapie der Patienten, um eine Amputation zu verhindern. Die Information an die beteiligten Ärzte ist: man muss die ersten Anzeichen sehr ernst nehmen und die Patienten möglichst früh an Spezialisten überweisen.

esanum: Wie widmet sich der Kongress den psychosozialen Aspekten der Erkrankung?

Schürmann: Auch zu diesem Thema gibt es verschiedene Symposien. So beschäftigt sich die Gruppe Professor Kulzer damit, wie der Diabetes zur Depression beiträgt. Menschen, die an Diabetes leiden, haben auch ein erhöhtes Risiko für Depressionen und andere psychische Erkrankungen. Umgekehrt verstärken Stress und Depression den Diabetes. Wir alle müssen lernen, den Patienten so zu helfen, dass sie ein lebenswertes Leben führen können.

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