Interdisziplinäre Alterstraumatologie durch demografischen Wandel so wichtig wie nie

Die Lebenserwartung steigt, und damit auch die Zahl älterer Patienten, die sich bei Stürzen und Unfällen verletzen. Häufig leiden diese Menschen zudem an weiteren Erkrankungen. Der enge Austausch zwischen Altersmedizin und Traumatologie ist also enorm wichtig.

Behandlung älterer Patientinnen und Patienten erfordert fachübergreifende Zusammenarbeit

Die Lebenserwartung steigt, und damit auch die Zahl älterer Patienten, die sich bei Stürzen und Unfällen verletzen. Häufig leiden diese Menschen zudem an weiteren Erkrankungen, was Diagnostik und Therapie zusätzlich erschwert. Der enge Austausch zwischen Altersmedizin und Traumatologie ist also enorm wichtig. Welche Vorteile diese interdisziplinäre Arbeit bringt, und wie sie umgesetzt werden kann, damit beschäftigt sich Professor Clemens Becker vom Interdisziplinären Zentrum für Alterstraumatologie des Robert-Bosch-Krankenhauses in Stuttgart seit Jahren.

Die Ergebnisse seiner Forschungsarbeit präsentiert er in seiner Keynote "Alterstraumatologie – Quo vadis?" beim Jahreskongress der Deutschen Gesellschaft für Geriatrie (DGG) und der Deutschen Gesellschaft für Gerontologie und Geriatrie (DGGG), der vom 6. bis 8. September 2018 in Köln stattfindet.

"Das Krankenhaus der Zukunft braucht neben der zunehmenden Spezialisierung eine neue Form der Interprofessionalität, um der Herausforderung einer alternden Gesellschaft gerecht zu werden“, ist sich Clemens Becker sicher. Die Disziplinen Geriatrie und Unfallchirurgie seien diesbezüglich schon relativ früh aufeinander zugegangen. "Wir haben in den vergangenen Jahren, und zuletzt in dem vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Projekt PROFinD, die Synergieeffekte dieser interprofessionellen Zusammenarbeit untersucht – mit erstaunlichen Ergebnissen. Zum Beispiel ist die Mortalität der in der Kooperation von Geriatrie und Unfallchirurgie versorgten Patientinnen und Patienten um über 20 Prozent zurückgegangen“, erklärt er.

Abgestuftes Versorgungssystem verringert Pflegebedürftigkeit

PROFinD steht für Prävention und Rehabilitation osteoporotischer Frakturen in benachteiligten Populationen. In einem weiteren Projekt des PROFinD-Verbunds, dessen Ergebnisse Becker ebenfalls im Rahmen der Keynote-Lecture vorstellen wird, hat das Forschungsteam sich mit der Frage beschäftigt, wie Pflegebedürftigkeit und Pflegeheim-Einweisungen durch geriatrische Versorgungsstrukturen reduziert werden können. In Deutschland gibt es derzeit noch zwei Modelle: Während in etwa einem Drittel der Bundesländer Patienten nach der alterstraumatologischen Akutversorgung im Krankenhaus meist direkt nach Hause entlassen werden, ist in den übrigen Bundesländern noch eine Versorgungsstufe dazwischengeschaltet: die geriatrische Rehabilitation. Diese beiden Modelle hat das Forschungsteam miteinander verglichen. "Dabei haben wir herausgefunden, dass es in Bundesländern mit Reha-Klinik 20 Prozent weniger Pflegeheim-Einweisungen gibt als in solchen Bundesländern, die direkt aus der Akutabteilung entlassen", erklärt Professor Becker. 

Ältere Menschen fallen eher nach hinten – mit gravierenden Folgen

Ein weiterer Forschungsaspekt, der ebenfalls Bestandteil der Keynote sein wird, ist die videobasierte und sensorgesteuerte Analyse der Unfall-Folgen älterer Patientinnen und Patienten – mit überraschendem Ergebnis: Professor Becker und sein Forschungsteam haben herausgefunden, dass Femurfrakturen zwar immer noch die häufigste Unfallfolge älterer Menschen sind, andere Verletzungen aber, wie zum Beispiel Frakturen des Beckens, der Halswirbelsäule und Kopfverletzungen, drastisch zunehmen. Der Hintergrund: Ältere Menschen fallen bei Stürzen häufiger als bisher angenommen nach hinten. "Aus dieser Erkenntnis müssen wir in der Alterstraumatologie Handlungen ableiten", sagt Professor Becker. Das können zum Beispiel Physiotherapie-Roboter sein, die Beckenfraktur-Patienten früher mobilisieren und damit das Pflegepersonal entlasten können. Auch müsse es mehr präventive Maßnahmen geben, etwa neue viskoelastische Böden, die Stürze abfedern und Frakturen verhindern.

Kongress ist wichtig für interdisziplinären Austausch und Horizonterweiterung

All diese Forschungsergebnisse greifen das Kongress-Motto "Vielfalt des Alterns: biomedizinische und psychosoziale Herausforderungen" auf. "Bei dem alle zwei Jahre stattfindenden gemeinsamen Kongress der DGG und DGGG erhalten die Teilnehmer nicht nur medizinisches Kernwissen, sie können zudem auch andere wissenschaftliche Aspekte, etwa aus der Psychologie oder Ingenieurswissenschaft, mitnehmen. Mein Fazit nach über 20 Jahren Altersmedizin ist, dass ich das Meiste von anderen Disziplinen gelernt habe. Wir brauchen diesen regelmäßigen Austausch, um unseren Horizont zu erweitern – und der Kongress ist im deutschsprachigen Raum die beste Möglichkeit dafür", findet Professor Becker. 

Deutsche Altersmedizin im internationalen Vergleich 

Mit Blick auf die internationale Beteilung beim Kongress und die Frage, wie das deutsche geriatrische Versorgungsystem im Ländervergleich abschneidet, stellt der Experte fest: "Verbessern müssen wir hierzulande vor allem die intersektorale Zusammenarbeit, also die Schnittstelle zwischen stationärer und ambulanter Versorgung." Auch der Umstand, dass immer mehr ältere Menschen direkt in die Notaufnahme gehen, müsse stärker berücksichtigt werden. Besonders gut stehe Deutschland dagegen mit seinem mehrstufigen Modell aus akuter und subakuter Versorgung da. "Da schauen viele andere Länder hin, wie wir das machen. Aus meiner Sicht sollten sich spätestens jetzt alle Bundesländer auf den Weg zu einem abgestuften System machen."

Quelle: Deutsche Gesellschaft für Geriatrie