Primärarztsystem: Ein Rezept für mehr Arbeit? Warum Hausärzte nicht der Lückenfüller des Gesundheitssystems sein können

Dr. Sandow teilt ihre Bedenken darüber, wie zusätzliche Aufgaben in der Terminvergabe ihre ohnehin knappen Ressourcen weiter belasten könnten.

Mehr Arbeit muss ich wirklich nicht haben! 

Viele reden jetzt über das Primärarztsystem als Allheilmittel für alle Überlastungsprobleme in den fachärztlichen Niederlassungen. Ich denke, das gibt es doch längst – nämlich seit es Überweisungen für fachärztliche Termine gibt. Die Krankenkassen wollen ohnehin, dass Patienten zuerst zu uns Hausärzten kommen, sodass wir dann entscheiden, ob jemand überhaupt zum Facharzt muss. Wir sind schon lange die erste Filterstation – was ja sicher klug ist. Denn die Patienten können in der Regel nicht selbst beurteilen, ob sie etwas haben, womit sie zum Facharzt müssen. Betroffene empfinden immer alles, worunter sie leiden, als ganz schlimm.

Nun soll es also etwas Neues geben. Und dieses Neue ist, dass wir Hausärzte fortan die Termine bei den Fachärzten vermitteln müssen. Wenn wir es für richtig halten, sollten Patienten innerhalb weniger Tage einen Facharzttermin bekommen. Und wir bekommen ein kleines Honorar für die Vermittlung.

Dennoch finde ich das Ganze überhaupt nicht überzeugend. Die Kontaktaufnahme mit den Facharztpraxen, um Termine zu machen, bedeutet viel zusätzliche Arbeit. Das bisherige System, in dem es gewünscht war und nicht verpflichtend, dass man sich eine Überweisung beim Hausarzt holt, war eigentlich ganz in Ordnung. Aber wenn wir für die Terminvergabe bei Fachkollegen zuständig sein sollen – das geht zu weit. Die Zeit haben wir einfach gar nicht.

Wir haben ja derzeit schon die Möglichkeit, einen Dringlichkeits-Code auf eine Überweisung zu packen, wenn jemand beispielsweise möglichst schnell zum Kardiologen sollte. Dann kommt derjenige auch schneller an einen Termin. Das ist in Ordnung. Aber den Kontakt zum Kardiologen herstellen, den Termin für den Patienten zu vereinbaren, das kostet wirklich zu viel Zeit.

Zusätzliche Belastung der Hausärzte

Klar, wir haben zu wenig Fachärzte. Die Kollegen berichten, dass ihre Termine zu etwa 80 Prozent von Patienten belegt sind, die nicht unbedingt bei ihnen landen müssten – sodass diejenigen, die dringend einen Facharzt brauchen, erst nach Monaten einen Termin bekommen können. Ich verstehe also, dass man vermeiden will, dass Patienten wegen Nichtigkeiten zum Facharzt gehen und dort die Wartezimmer füllen. Wegen einer Warze braucht man keinen Dermatologen. Das können auch wir Hausärzte übernehmen.  

Es muss also besser gefiltert werden. Aber eine zusätzliche Belastung der Hausärzte ist nicht sinnvoll – denn wir haben ja nicht  nur zu wenig Fachärzte, wir haben auch zu wenig Hausärzte.

Es gibt auch Dinge, die muss ich wirklich nicht entscheiden. Wenn eine Frau zum Gynäkologen muss, dann ist das so, das muss sie mir nicht erklären. Und es gibt auch Patienten, die unbedingt zum Facharzt wollen. Das finde ich völlig in Ordnung. Zum Beispiel könnte ich normale Diabetespatienten ohne weitere zusätzliche Herausforderung problemlos betreuen, aber für manche ist es eben ganz wichtig, dass das ein Diabetologe macht. Dann sollen sie, bitteschön, auch dorthin gehen dürfen. 

Mit anderen Worten: Ich sehe da eine neue Reglementierung, die keinem wirklich hilft. Es klaut Hausärzten Zeit, die sie gar nicht haben.

Zu wenig Geld im System

Wenn man die Primärversorgung ernsthaft stärken will, und darum geht es ja schon lange, dann muss dort mehr Geld ins System hineingegeben werden. Damit können wir sofort mehr abpuffern. Wir hatten auch früher schon Kollegen in der Praxis, die wir bezahlen konnten. Das geht jetzt nicht mehr.

Mit besserer Finanzierung wird es auch bald wieder mehr junge Hausärzte geben. Und wenn das passiert, dann ist das Primärarztmodell nicht so verkehrt, weil ein Großteil der Patienten tatsächlich keinen Facharzt benötigt. Wie es allerdings jetzt laufen soll, wird der zweite Schritt vor dem ersten gemacht. Richtig wäre: erst die Hausärzte stärken, sodass sie die zusätzliche Arbeit leisten können, die dann die Fachärzte im zweiten Schritt entlastet. 

Die Wahrheit ist doch: Es ist zu wenig Geld im System. Es gibt einfach zu wenig niedergelassene Ärzte. Das ist Fakt. Man muss die Hausärzte stärken, sodass sie mehr abpuffern können – wir Hausärzte könnten rein fachlich tatsächlich achtzig Prozent dessen, was bei den Fachärzten aufläuft, übernehmen. Allein die Kapazität fehlt.  Man kann natürlich auch die Facharztpraxen stärken, sodass die ihre Volumina ausweiten können. Dann hat man dort auch nicht mehr so lange Wartezeiten. Jedenfalls kann ich mir nicht vorstellen, dass ich zu meinen etwa sechzig Patienten, je nach Saison, noch zwanzig pro Tag dazu habe, die eigentlich zum Augenarzt, Urologen oder Dermatologen wollen. Da muss ich einfach passen. Mehr Arbeit als jetzt zur Grippesaison muss ich wirklich nicht haben. 

Mein Fazit: Es geht nicht nur um Patientensteuerung. Es geht um viel mehr. Wir brauchen insgesamt mehr Kapazitäten.