Deutlich mehr häusliche Gewalt während Corona-Pandemie

In der Corona-Pandemie ist es in Berlin nach Einschätzung von Justiz und Rechtsmedizin zu einem deutlichen Anstieg der Gewalttaten zu Hause gekommen.

Anstieg von 30 Prozent im Vergleich zum Juni 2019

Prügel, Brüche und Würgemale: In der Corona-Pandemie ist es in Berlin nach Einschätzung von Justiz und Rechtsmedizin zu einem deutlichen Anstieg der Gewalttaten zu Hause gekommen. "Alle Befürchtungen, die wir hatten, haben sich bewahrheitet", sagte Saskia Etzold, Leiterin der Berliner Gewaltschutzambulanz, bei einer ersten Zwischenbilanz. "Wir hatten schwerste Verletzungen. In fast allen Fällen spielten Brüche eine Rolle oder Gewalt gegen den Hals."

Zum Höhepunkt der Lockerungen im Juni 2020 habe die Gewaltschutzambulanz zum Beispiel einen Anstieg von 30 Prozent der Fälle im Vergleich zum Juni 2019 verzeichnet. Die Zahl der registrierten Kindesmisshandlungen sei im ersten Halbjahr 2020 im Vergleich zum Vorjahr fast um ein Viertel gestiegen (23 Prozent). Bei Sexualdelikten gab es dagegen einen Rückgang um fast ein Drittel (32 Prozent).

"Corona trifft Frauen und Kinder besonders hart", sagte Justizsenator Dirk Behrendt (Grüne) mit Blick auf Gewalttaten. Es habe deutlich mehr Anzeigen bei den Strafverfolgungsbehörden gegeben. Die Zahl der Verfahren an den Berliner Familiengerichten sei ersten Quartal 2020 um 7,5 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum angestiegen. Bei fast einem Viertel der Fälle (23 Prozent) sei es dabei um prügelnde Partner gegangen.

Jugendliche haben zum Teil selbst die Polizei gerufen

Zunächst hatten die Behörden während des Lockdowns weniger Fälle registriert. Das habe aber daran gelegen, dass kaum jemand vor die Tür gegangen sei. Mit den Lockerungen seien die Fallzahlen sofort in die Höhe geschnellt. Behrendt vermutet, dass nach den Schulferien noch mehr Fälle bekannt werden.

Bei Gewalt gegen Kinder sahen Etzold und ihr Team viele Arten von Verletzungen. Sie seien zum Beispiel mit Gürteln, Kabeln oder Stöcken geschlagen worden. Neu sei jedoch, dass Jugendliche selbst die Polizei riefen. Zum Beispiel aus einem Zimmer, in das sie sich selbst eingeschlossen hatten. "Das ist mir so vorher noch nie begegnet", sagte Etzold.

Zu 80 Prozent sind Frauen betroffen

"Es wird in allen Schichten, Ethnien und Religionen geprügelt", berichtete Etzold. Als einen möglichen Grund für den Gewaltanstieg in der Pandemie nannte sie Angst. Menschen handelten dann nicht mehr rational. Als weitere Ursachen seien ein gestiegener Drogen- und Alkoholkonsum möglich - und das lange Zusammensein zu Hause.

Gewalt gegen Kinder mache bei der Gewaltschutzambulanz rund ein Fünftel aller Fälle aus. Der Rest treffe Erwachsene, darunter zu 80 Prozent Frauen. Die absolute Zahl männlicher Opfer vom häuslicher Gewalt sei bis heute allerdings unbekannt. Das liege auch daran, dass sich viele Männer schämten, wenn sie zu Opfern würden.

Insgesamt verzeichnete die Gewaltschutzambulanz im ersten Halbjahr 2020 einen Anstieg von acht Prozent auf 783 registrierte Fälle. 2019 waren es in diesem Zeitraum 727 Fälle, 2018 waren es 703.