Ärzteschaft im Dauerstress?

Arbeitsbedingter Stress und berufsbedingte Burnout-Risiken nehmen deutschlandweit zu. Das gilt auch für den Arztberuf. Unter dem Titel "Mediziner im Dauerstress" sprechen im Rahmen einer Pressekonferenz vier Gastroenterologen über Probleme im Gesundheitswesen.

Zu wenig Zeit für die Patientenbehandlung

Arbeitsbedingter Stress und berufsbedingte Burnout-Risiken nehmen deutschlandweit zu1. Das gilt auch für die ärztliche Berufstätigkeit. Unter dem Titel "Mediziner im Dauerstress – jeder fünfte Klinikarzt denkt ans Aufhören! Was muss sich ändern?" schildern Prof. Dr. med. Joachim Labenz, Dr. Dr. med. Charles Christian Adarkwah, Dr. med. Cornelius Weiß und Prof. Dr. med. Reinhard Strametz auf der Pressekonferenz des Berufsverbandes Gastroenterologie Deutschland e.V. (BVGD) am 10.03. in Berlin ihre Sichtweisen zu Themen wie Zeitdruck, Risiken für junge MedizinerInnen, Patientensicherheit, bürokratischen Hürden oder Verfehlungen im Gesundheitswesen.2

Ärztliches Fachpersonal am Limit – ein Thema, das nicht nur die medizinische Fachwelt interessiert. Beim schweifenden Blick durch den Raum wird deutlich, dass auch öffentlich-rechtliche Medien hohe Anteilnahme an der Thematik zeigen. Schließlich handelt es sich hierbei um ein Problem, das medizinisches Fachpersonal ebenso betrifft wie das gesamte Versorgungssystem. In diesem Sinne stimmt auch Dr. Labenz seinen Vortrag, der sich mit Missständen in Kliniken und Praxen sowie den Bedingungen im Gesundheitssystem befasst, ein. "Unser Gesundheitssystem ist krank, schwer krank", gibt der BVGD-Vorsitzende zu verstehen.

Labenz erläutert, durch die gegebenen politischen Zustände und Gegebenheiten sei es nicht möglich, eine Schließung der Krankenhausbetten auf den Weg zu bringen. Durch das DGR-System und politische Maßnahmen der Qualitätssicherung sei der ökonomische Druck auf Kliniken massiv erhöht worden. Dies resultiere nach Ansicht des Gastroenterologen darin, dass wirtschaftliche wie dokumentarische Vorgänge an medizinisches Fachpersonal weitergereicht werden und weniger Zeit für die Behandlung von und Rücksprache mit zu behandelnden Personen bleiben. "Viele Ärzte verbringen mehr als die Hälfte ihrer Arbeitszeit vor dem Computer, sie können ihrem eigenen Anspruch, der persönlichen und individuellen Patientenbetreuung, nicht mehr nachkommen; nahezu jeder baut dazu Frustration systematisch auf", beklagt Labenz.

Besonders hohes Burnout-Risiko bei junger Medizinerschaft

Zum Stichwort "Frustration" wusste auch Dr. Charles Adarkwah viel zu berichten. Der Facharzt für Innere und Allgemeinmedizin stellte eine Umfrage aus der Gastroenterologie vor, die aufzeigt, dass besonders Klinikpersonal und junge MedizinerInnen unzufrieden und Burnout-gefährdet sind. Zwar werde das Thema noch immer oft tabuisiert, doch die Umfrage unter 683 Befragten in deutschen Kliniken und Praxen zeige auf, dass 59 Prozent sich häufig oder ständig überlastet fühlen. Hohe Unzufriedenheit käme vor allem bei jüngeren MedizinerInnen im Vergleich zu erfahrenen häufiger auf. "Diese Gruppe weist auch ein höheres Burnout-Risiko auf, wohingegen ältere Ärztinnen und Ärzte ihre persönliche Leistungsfähigkeit höher bewerten", merkt Adarkwah an.

Die Zufriedenheit mit den Arbeitsbedingungen fiel laut Umfrage in Kliniken geringer als in Praxen aus. Das Forschungsteam um Adarkwah konnte außerdem im Rahmen der Studienauswertung erkennen, dass eine höhere Position in im Klinikumfeld mit einem geringeren Burnout-Risiko einherging und umgekehrt. Der Redner ermahnt, man müsse diesen Problempunkten – besonders der hohen Unzufriedenheit der jungen Ärzteschaft – dringend entgegenwirken, um eine Verschlechterung der Patientenversorgung zu verhindern.

Potenziale der jungen Ärzteschaft werden nicht optimal genutzt

Wie mit einem Burnout-Risiko bei jungen ÄrztInnen umzugehen und deren Potenzial optimal zu nutzen ist, stand auch im Fokus des Beitrags von Dr. Cornelius Weiß. Der stellvertretende Sprecher des Jungen Forums im Berufsverband Deutscher Internisten berichtet auf Basis einer 2019 veröffentlichten Studie, junge Fachleute wären immer dann psychisch besonders belastet, wenn der erbrachte Einsatz in Diskrepanz zur erhaltenen Gratifikation steht. So zeichneten sich laut Studienergebnissen 54 bis 63 Prozent der Pflegenden und des ärztlichen Personals durch "Overcommitment" aus, das Gesundheitssystem wisse diesen Einsatz allerdings nicht ausreichend wertzuschätzen.

Dies führe zu schwerwiegenden Folgen: 22 Prozent der befragten ÄrztInnen griffen aufgrund von Arbeitsstress zu Medikamenten, 37 Prozent sähen in Deutschland eine geringe Versorgungsqualität, 56 Prozent litten an Burnout und 62 Prozent berichteten von einem als schlecht empfundenen Gesundheitszustand. Um dieser Entwicklung entgegenzuwirken, empfiehlt Weiß Maßnahmen wie eine verringerte Arbeitsverdichtung, gesetzlich festgelegte Personalschlüssel, weniger ökonomisch getriebene Entscheidungen sowie individuelle Möglichkeiten zur Weiterbildung, um die "riesigen Potenziale" des jungen Fachpersonals optimal zu nutzen.

Patientensicherheit durch geänderte Rahmenbedingungen und Sicherheitskultur gewährleisten

Auf mögliche Resultate einer überlasteten Ärzteschaft, nämlich die Folgen für die Patientensicherheit, ging Prof. Dr. Reinhard Strametz in seinem Beitrag ein. So werde im Gesundheitswesen zunehmend offener über Fehler bei der Patientenbehandlung und die hieraus resultierenden Konsequenzen gesprochen. Eine häufige Ursache für solche Behandlungsfehler? "Es sind unsichere Handlungen auf dem Boden unsicherer Arbeitsbedingungen, die zu solchen Fehlern führen", sagt der Mediziner. Laut einer Studie von 2019 führe vor allem dieser Umstand bei jungen MedizinerInnen in Deutschland zu chronischer Erschöpfung und Burnout.

Laut Strametz liegen erste wichtige Schritte, um dieser Entwicklung entgegenzusteuern, im Eingeständnis und der öffentlichen Debatte der eigenen Fehlbarkeit. Auf diesem Weg könne man lösungsorientiert daran arbeiten, mögliche systemische Ursachen für Fehler zu benennen und eine Wiederholung dieser zu vermeiden. Auch kritische Verläufe von Behandlungen müssten offen debattiert werden. Stichwort hierbei war auch der Begriff "Second Victim", also die Traumatisierung im Rahmen von Überarbeitung und anschließenden Behandlungsfehlern. Laut einer Befragung von über 500 jungen InternistInnen der DGIM empfand sich mehr als die Hälfte bereits einmal als zweites Opfer. Die sinnvollste Möglichkeit, ärztlicher Überforderung zu begegnen und eine möglichst hohe Patientensicherheit zu gewährleisten, biete laut Strametz "die Änderung der Rahmenbedingungen und die Entwicklung einer Sicherheitskultur."

Änderung im Gesundheitswesen ist dringend erforderlich

Der Fragestellung, wie einer Überarbeitung der Ärzteschaft entgegenzuwirken ist, kommt auch Professor Labenz zum Abschluss der Pressekonferenz noch einmal nach. Die Überlastung werde vor allem durch die Faktoren Zeitdruck, Kostendruck und überbordende Bürokratie getriggert. Diese führen in den Augen des Mediziners langfristig zu einem Qualitätsverlust der ärztlichen Tätigkeit und schlimmstenfalls zu einem Vertrauensverlust von Patientenseiten.

Dr. Labenz erwähnt vier Punkte, durch welche diese Entwicklung seiner Ansicht nach eingeschränkt werden könnte: Ökonomisch unabhängige medizinische Entscheidungen, eine möglichst hohe Ausgliederung bürokratischer Tätigkeiten aus dem ärztlichen Berufsfeld, zum Beispiel durch digitale Unterstützung, Arztuntergrenzen sowie "klare Festlegung, welche Leistungen ambulant und welche stationär zu erbringen sind". Ändert sich am aktuellen Zustand des Gesundheitswesens nichts, sieht der BVGD-Vorsitzende der Zukunft zweifelnd entgegen: "In der Quintessenz hinkt die Weiterbildung des dringend benötigten Nachwuchses dem eigentlich Notwendigen weit hinterher, die Konsequenzen hierfür werden wir in einigen Jahren sehen und erleiden."

Quellen:
1. https://www.esanum.de/today/posts/zwei-drittel-der-arbeitenden-bevoelkerung-fuehlen-sich-gestresst
2. "Mediziner im Dauerstress – jeder fünfte Klinikarzt denkt ans Aufhören! Was muss sich ändern?"  Pressekonferenz des Berufsverbandes Gastroenterologie Deutschland e.V. (BVGD) 10. März 2020 Tageszentrum im Haus der Bundespressekonferenz