Angriffspunkte für Medikamente gegen SARS-CoV2 und künftige Coronaviren

Ein internationaler Forschungsverbund hat erstmals RNA-Faltungsstrukturen des SARS-CoV2-Genoms beobachtet, mit denen das Virus den Infektionsverlauf steuert. Damit schafft es Grundlagen für die gezielte Entwicklung neuartiger Medikamente zur COVID-19-Behandlung und für mögliche künftige Infektionsgeschehen mit neuen Coronaviren.

Auch gegen möglichen "SARS-CoV3" gewappnet

Erstmals haben WissenschafterInnen RNA-Faltungsstrukturen des SARS-CoV2-Genoms beobachtet, mit denen das Virus den Infektionsverlauf steuert. Darauf aufbauend; könnten gezielt Medikamente zur COVID-19-Behandlung entwickelt werden. Das ist aber nicht alles: Weil diese Strukturen bei verschiedenen Beta-Coronaviren sehr ähnlich sind, könnten sie auch für die Bekämpfung möglicher zukünftiger Coronaviren interessant werden

Der genetische Code des SARS-CoV2-Virus ist 29.903 Buchstaben lang und enthält die Informationen zur Herstellung von 27 Proteinen. Zwar kann die menschliche Zelle 40.000 Proteinsorten herstellen, doch Viren nutzen den Stoffwechsel ihrer Wirtszellen, um sich selbst zu vermehren. Dafür müssen sie die Bildung der eigenen Proteine präzise steuern können. SARS-CoV2 nutzt für die Herstellung räumliche Faltungen seines RNA-Erbmoleküls: Überwiegend in Bereichen, die nicht für die Viren-Proteine codieren, werden aus dem RNA-Einzelstrang Strukturen mit RNA-Doppelstrang-Abschnitten und –schleifen.

Bisher gab es nur Modelle dieser Faltungen, die sich auf Computeranalysen oder indirekte experimentelle Nachweise stützten. Ein internationales Team von WissenschaftlerInnen unter Leitung von Chemikern und Biochemikern der Goethe-Universität und der TU Darmstadt hat die Modelle erstmals experimentell überprüft. Beteiligt waren auch Forschende des israelischen Weizmann Institute of Science, des schwedischen Karolinska-Instituts und der Katholischen Universität Valencia.

15 regulatorische Elemente bestimmt

Um die Struktur von 15 solcher regulatorischen Elementen zu bestimmen, nutzten die ForscherInnen die Kernresonanz- oder NMR-Spektroskopie, bei der die Atome der RNA einem starken Magnetfeld ausgesetzt werden und so etwas über ihre räumliche Anordnung verraten. Die Ergebnisse dieser Methode glichen sie mit denen aus einem chemischen Verfahren ab (Dimethylsulfat-Footprint), mit dessen Hilfe zwischen RNA-Einzelstrang- und Doppelstrangbereichen unterschieden werden kann.

Nun habe man eine breite Basis, um künftig genau zu verstehen, wie SARS-CoV2 das Infektionsgeschehen steuert, sagt Prof. Harald Schwalbe vom Zentrum für Biomolekulare Magnetische Resonanz der Goethe-Universität. Mittlerweile untersuchen die WissenschattlerInnen, welche viralen Proteine und welche Proteine der menschlichen Wirtszellen mit den gefalteten regulatorischen Regionen der RNA interagieren, und ob sich daraus Ansatzpunkte für Therapien ergeben können.

Weltweit forschen über 40 Arbeitsgruppen mit 200 WissenschaftlerInnen im COVID-19-NMR-Konsortium, in Frankfurt arbeiteten seit Ende März 2020 45 Doktoranden und Postdocs in zwei Schichten pro Tag an sieben Tagen die Woche mit. Schwalbe ist zuversichtlich, dass dieses Wissen über die Behandlung von Infektionen mit SARS-CoV2 hinaus wichtig sein kann. Die Steuerungsregionen der viralen RNA seien bei SARS-CoV fast identisch und auch bei anderen Beta-Coronaviren sehr ähnlich. "Daher hoffen wir, dass wir einen Beitrag dazu leisten konnten, auf künftige ‚SARS-CoV3‘-Viren besser vorbereitet zu sein."

Quelle:
Anna Wacker et. al.: Secondary structure determination of conserved SARS-CoV-2 RNA elements by NMR spectroscopy. Nucleic Acids Research, 2020