"Anonymität von Web-Bewertungen muss untersagt werden – nicht nur im Gesundheitswesen"

Interview mit Dr. Dr. Gorenflos, Facharzt für Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie und für Oralchirurgie, Berlin, zum Thema Bewertungsportale im Internet.

Patienten auf der Suche, Ärzte unter Druck, Kammern unter Zugzwang

Interview mit Dr. Dr. Gorenflos, Facharzt für Mund-Kiefer-Gesichtschirurgie und für Oralchirurgie, Berlin, zum Thema Bewertungsportale im Internet. 

esanum: Herr Dr. Dr. Gorenflos, online geht heutzutage nichts mehr ohne Kundenbewertungen. Doch nicht nur Restaurants bekommen Schulnoten, sondern auch Arztpraxen. Welche Erfahrungen haben Sie mit dem Portal jameda gemacht?

Gorenflos: jameda ist ja nicht einfach ein Bewertungsportal. Dagegen wäre nichts einzuwenden. jameda kombiniert Werbung – es optimiert die Präsentation seiner Kunden gegen Entgelt – mit Bewertung und maßt sich gleichzeitig an, alle Ärzte und Zahnärzte aufzulisten, "zwangszurekrutieren", wie ich das nenne. Jetzt passiert, was passieren muss: zahlende Kunden haben die besseren Noten und setzen damit nicht zahlende Kollegen unter Druck "überzulaufen". Die Anwältin der Kölner Dermatologin, die gegen jameda erfolgreich geklagt hatte, spricht in diesem Zusammenhang völlig zu Recht von "Schutzgelderpressung". jameda ist mit diesem speziellen Geschäftsmodell kein Arzt-Empfehlungs-Portal oder Arzt-Bewertungs-Portal, sondern eher ein Ärzte-Korrumpierungs-Portal.

Lassen Sie mich zu Beginn über eine persönliche Erfahrung mit jameda berichten. Der ZEIT-Artikel vom 18.1.2018 von Tin Fischer mit der aussagekräftigen 6.500-Fall-Statistik zu Ungunsten von jameda ging auf meine Initiative zurück, der Autor war durch meine Stellungnahmen und Leserbriefe im Ärzteblatt und den Zahnärztlichen Mitteilungen auf mich aufmerksam geworden, hatte sich mit mir in Kontakt gesetzt und wir hatten uns mehrfach im Vorfeld des Artikels getroffen. Am 18.1. erhielt er eine E-Mail von der Pressesprecherin von jameda, Kathrin Kirchler, ob ich, Dr. Peter Gorenflos, den man bereits kenne, der erwähnte Leser und Arzt sei, von dem er den Hinweis bekommen habe. Tin Fischer hatte das nicht negiert, dazu hatte er auch mein Plazet. Wenige Stunden später hatte ich eine Note 6 in meinem Profil, vordatiert auf den 16.1., damit der Vorgang nicht ganz so sehr nach mafiösen Machenschaften aussieht. Natürlich hatte ich sofort den Behandlungsnachweis angefordert, den man mir aber solange verweigerte, bis ich meinen Rechtsanwalt einschaltete. Dann kam ein "Nachweis", datiert auf den 17.12., obwohl er doch erst am 18.1. angefordert wurde, von einem angeblichen Patienten, der vor dreieinhalb Jahren bei mir in Behandlung gewesen sein will und sich an fast gar nichts mehr erinnern konnte! Auf dieser Grundlage und nach Rückfrage von jamedas Pressedame beim ZEIT-Autor wollte man mich also abstrafen, einschüchtern. Ich glaube nicht zu übertreiben, wenn ich ein solches Verhalten mafiös nenne. Patienten auf Arztsuche sind bei jameda an der falschen Adresse. Wie gefaked die Bewertungen dort sind, das haben WDR, RBB und NDR längst nachgewiesen.

esanum: Viele Ärzte lassen ihren Online-Auftritt gegen Bezahlung aufhübschen – die Konkurrenz ist vor allem in Städten groß. So werden Nichtzahler automatisch unter Druck gesetzt. Haben auch Sie Ihr jameda-Profil aufgewertet, um Patienten anzusprechen? Falls nicht, warum nicht?

Gorenflos: Man hübscht sein jameda-Profil auf, indem man Kunde wird. Oder indem man Bewertungen kauft. Davon würde ich dringend abraten, denn das ist genauso rechtswidrig, wie jamedas Geschäftsmodell selbst. jameda verkauft zwar selbst keine Bewertungen – so dumm ist man nicht – sondern manipuliert offensichtlich Bewertungsdurchschnitte zugunsten seiner Kunden. Das ist einfach, effektiv, schwer zu beweisen, im Geschäftsinteresse des Portals aber auch vom Gesetzgeber prognostiziert und leider subtil genug, um die Öffentlichkeit und die Ärzteschaft zu blenden, statt sie auf die Barrikaden zu bringen. Natürlich kann man auch zufriedene Patienten bitten, eine gute Bewertung abzugeben. Das ist legitim, aber heikel, denn damit verletzt man die gebotene Distanz.

esanum: Wo sehen Sie die Ursache für die aktuelle Problematik?

Gorenflos: Die Hauptverantwortung für die Entwicklung tragen die Kammern, Ärzte- und Zahnärztekammern. Obwohl es von vornherein absehbar war, dass ein Kombi-Portal Werbung/Bewertung mit vollständiger Arztlistung zu einer Bevorzugung zahlender Ärzte führen muss – das liegt in der Natur der Sache und selbst das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb geht davon aus – verhielten sich die Kammern immer sehr permissiv. Sie haben sogar zusammen mit der KBV Werbung gemacht für jameda mit dem Clearingverfahren von 2010/2011, das dem Portal die Note Gut erteilt hat. Sie waren im Falle der Kölner Dermatologin, die gegen jameda geklagt hatte, sehr zurückhaltend, statt ihr Rückendeckung und Unterstützung zu geben. Darüber haben sich sogar deren Rechtsanwälte gewundert.

"Wer zahlt, hat auf Kosten von Nicht-Kunden die bessere Außendarstellung"

Die Kammern verhalten sich so, als wäre die flächendeckende Korrumpierung der Ärzteschaft und die Täuschung von Patienten gar nicht von Belang, als hätte all das nichts mit den Aufgaben der Kammern zu tun. Das ist grotesk! Die Kammern verletzen in dieser Angelegenheit ihre Aufsichts- und Fürsorgepflicht ganz erheblich. Ich habe schon mehrfach öffentlich die Frage gestellt, ob das mit einem Interessenkonflikt im Aufsichtsrat der apoBank zu tun hat. Dort sitzen zahlreiche Spitzenvertreter der Ärzte- und Zahnärzteschaft, u.a. der Vorsitzende der Ärztekammer, der Vorsitzende der Zahnärztekammer, der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung und der stellverstretende Vorsitzende der Kassenzahnärztlichen Bundesvereinigung. Da verdient man vermutlich nicht gerade wenig Geld. Die apoBank bekommt seit 10 Jahren Top-Rankings von Focus-Money, einer auflagenstarken und einflussreichen Wochenzeitschrift aus der Burda-Gruppe. Dieser Werbeeffekt spielt dem Geldinstitut sicher viele Millionen in die Kasse. Auch jameda gehört zur Burda-Gruppe, sodass die Frage gestellt werden muss, ob es eine Vereinbarung hinter den Kulissen gibt nach dem Motto "eine Hand wäscht die andere", ein Deal, der einer Vertretung ärztlicher Interessen diametral entgegenstünde.

esanum: Was sollte sich Ihrer Ansicht nach ändern?

Gorenflos: Es müssen endlich das Gesetz gegen unlauteren Wettbewerb (UWG) und seit 2018 auch die DSGVO angewendet werden. Wolfgang Büscher war nicht nur Vorsitzender des Bundesgerichtshofes bis 31.12.2017. Er ist auch Kommentator des Lauterkeitsrechts. Er sagt zu der Problematik in seinem wegweisenden Artikel "Soziale Medien, Bewertungsplattformen und Co" von letztem Jahr: "Verlässt der Betreiber des Bewertungsportals die mit der Stellung als Hostprovider verbundene neutrale Position und nimmt er gegen Entgelt aktiv durch Werbung oder Optimierung der Präsentation einzelner Unternehmer zu deren Gunsten am Wettbewerb teil, besteht kein Anlass mehr, seinen Interessen an einem möglichst vollständigen Überblick den Vorrang vor dem einzelnen Unternehmer an informationeller Selbstbestimmung einzuräumen. Der einzelne Unternehmer muss daher die Möglichkeit haben, sich auf dem Portal vollständig löschen zu lassen." Klarer kann man es nicht formulieren. Der Gesetzgeber war klug genug zu prognostizieren, dass Gelegenheit nicht nur Diebe und Tyrannen macht. Es ist Aufgabe der Kammern, die Wettbewerbsbehörde in Stellung zu bringen. Die DSGVO geht noch wesentlich weiter. Da jameda ganz offensichtlich nicht neutral ist, müssen alle Portal-Teilnehmer explizit um Genehmigung gebeten werden, um überhaupt aufgeführt werden zu dürfen. Andernfalls macht sich jameda strafbar und es können Schadenersatzforderungen geltend gemacht werden. Das Internet ist kein rechtsfreier Raum, dort ist weder Betrug noch unlauterer Wettbewerb zulässig. Das muss endlich ins öffentliche Bewusstsein gerückt werden.

esanum: Was fordern Sie daher von den Kammern und der gesetzgebenden Seite?

Gorenflos: Die permissive Grundhaltung der Kammern gegenüber jameda muss aufgegeben werden, die Wettbewerbsbehörden angerufen, ggf. muss auch ein Interessenkonflikt innerhalb des Aufsichtsrats der apoBank aufgeklärt und behoben werden. jameda verletzt die Interessen der Ärzteschaft, nicht weil Ärzte nicht bewertet werden möchten, sondern weil sie durch ein solches Geschäftsmodell einem erheblichen, flächendeckenden Korrumpierungsversuch ausgesetzt werden. Inakzeptabel! Auch die Patienten werden getäuscht, das sollte man nicht vergessen. Nach dem BGH-Urteil von Februar 2018 hat jameda die Werbung zahlender Ärzte innerhalb der Profile zwangsrekrutierter Kollegen aufgegeben. Die Behauptung, die Neutralität sei damit wiederhergestellt, ist eine Farce. In Wirklichkeit hat man hat der Obszönität unlauteren Wettbewerbs nur die Spitze genommen und einfach weitergemacht wie bisher. Mehrere Kollegen wenden sich jetzt erneut gerichtlich gegen ihre Listung. jamedas kosmetische Korrektur im Web-Auftritt nach dem BGH-Urteil durchschauen dann hoffentlich schon die ersten Instanzen. Es gibt aber noch eine andere, rechtspolitische Forderung: die Anonymität von Web-Bewertungen generell, nicht nur im Gesundheitswesen, muss untersagt werden. Jeder Bürger ist für das verantwortlich, was er sagt und trägt auch ggf. die juristischen Konsequenzen. Wenn man die Anonymität bei Web-Bewertungen belässt, dann sind Intrige und Verleumdung Tür und Tor geöffnet. Ich finde nicht, dass das mit Rechtsstaatlichkeit vereinbar ist.

esanum: Was raten Sie Kollegen, die sich online ungerecht bewertet fühlen? Und was empfehlen Sie suchenden Patienten, die zwischen den vielen Bewertungen den richtigen Arzt finden wollen?

Gorenflos: Sie sollten die Kammern einschalten und Druck machen, dass sie ihrer Aufsichts- und Fürsorgepflicht gerecht werden, die Wettbewerbsbehörden einschalten. Das Problem ist ja nicht die schlechte Bewertung, sondern die Tatsache, dass sich die ärztliche Konkurrenz um die Ecke davon quasi freikauft. Sie sollten auch direkt bei jameda Einspruch erheben und einen Behandlungsnachweis verlangen, der ihnen laut Landgericht München zusteht, und dann prüfen, ob es sich um eine unzulässige Schmähkritik und Tatsachenbehauptung handelt. Man sollte auch juristisch gegen jameda vorgehen, solange sich die Kammern noch im Tiefschlaf befinden und die Kollegen sträflich der Vereinzelung ausliefern.

Vielen Dank für Ihre Ausführungen, Herr Dr. Dr. Gorenflos!