„Ärzte erwarten Zeit für Familie, Freunde und Hobbys“

Im Interview mit esanum erklärt Dr. Roland Stahl, Pressesprecher der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, wie der Arztberuf wieder attraktiver werden soll Rund 51.000 niedergelassene Ärzte werden na

Im Interview mit esanum erklärt Dr. Roland Stahl, Pressesprecher der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, wie der Arztberuf wieder attraktiver werden soll

Rund 51.000 niedergelassene Ärzte werden nach Angaben der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) bis 2020 ihren Beruf aufgeben. Besonders in ländlichen Regionen finden die Mediziner trotzdem nur schwer Nachfolger für ihre Praxis, da jungen Menschen das Leben als „Landarzt“ nicht mehr attraktiv genug erscheint. Eine gute städtische Infrastruktur, ein urbaner Lebensstil, Zeit für Familie und Hobbys sind jungen Ärzten zunehmend wichtiger. „Wir wollen zeigen, dass der Beruf des niedergelassenen Arztes einer der schönsten der Welt ist“, erklärt Dr. Roland Stahl, Pressesprecher der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, mit Blick auf die KBV-Kampagne „Wir arbeiten für Ihr Leben gern“.

esanum: In verschiedenen Regionen in Deutschland herrscht ein Ärztemangel. Was sind die Gründe dafür?

Stahl: Gerade in den ländlichen Regionen wird es für Ärzte, die in den Ruhestand gehen, immer schwieriger, einen Nachfolger zu finden. Die Gründe hierfür sind vielfältig. Zum einen wollen viele nicht auf die städtische Infrastruktur verzichten. Sie wollen gute Schulen für die Kinder, ein Theater und Kino direkt um die Ecke und einen angemessenen Arbeitsplatz für den Partner. Hinzu kommt, dass die Work-Life-Balance bei der jungen Generation einen größeren Stellenwert einnimmt. Sie erwarten ausreichend Zeit für Familie, Freunde und Hobbys. Ein Leben als Landarzt, der rund um die Uhr für seine Patienten da ist, können sich heute viele nicht mehr vorstellen.

Hier muss man aber ganz klar sagen, dass sich schon einiges zum Besseren geändert hat: Die sogenannte Residenzpflicht ist gefallen. Das heißt, ein Arzt muss nicht mehr am Ort seiner Praxis wohnen. Er kann eine Filialpraxis eröffnen. Das bedeutet, dass er eine Praxis in der Stadt hat, aber auch Sprechstunden in der ländlichen Umgebung anbieten kann. Außerdem haben wir die Möglichkeiten der Zusammenarbeit gestärkt. Heute gibt es deutlich mehr Kooperationsformen für niedergelassene Ärzte. So lassen sich Arbeitszeiten flexibler gestalten. Im vergangenen Jahr haben wir die Kampagne „Wir arbeiten für Ihr Leben gern“ gestartet. Hier wollen wir auch junge Mediziner ansprechen und ihnen zeigen, dass die Arbeit als niedergelassener Arzt trotz allem einer der schönsten Berufe der Welt ist.

esanum: Niedergelassene Ärzte mit einer eigenen Praxis können ihren Arbeitsalltag und ihre Sprechzeiten recht frei bestimmen. Trotzdem klagen viele über eine zu hohe Belastung. Warum?

Stahl: Viele Haus- und Fachärzte beklagen sich über zu viel Bürokratie in ihrem Praxisalltag. Niedergelassene Ärzte verbringen immer mehr Zeit mit Verwaltungsaufgaben und Anfragen von Krankenkassen. Sicherlich können wir auf bestimmte Dokumentationen in unserem Gesundheitswesen nicht verzichten, aber die KBV macht sich dafür stark, unnötige Bürokratie abzubauen. Deshalb haben wir zum Beispiel das Online-Forum „Mehr Zeit für Patienten“ aufgebaut. Dort können uns Ärzte und Psychotherapeuten konkrete Vorschläge zum Bürokratieabbau machen.

esanum: Ursula von der Leyen möchte die Bundeswehr familienfreundlicher machen, Großunternehmen ermöglichen Home Office oder machen einen Empfang von Emails nach Feierabend unmöglich. Wie könnte der Arztberuf familienfreundlicher gestaltet werden?

Stahl: Um eine größere Vereinbarkeit von Praxis und Familie zu ermöglichen, müssen die Rahmenbedingungen sicherlich noch besser werden. Im Schnitt arbeiten niedergelassene Ärzte 55 Stunden in der Woche; da bleibt oft nicht viel Zeit für die eigene Familie. Mit den schon angesprochenen neuen Kooperationsmöglichkeiten haben wir sicherlich den richtigen Weg eingeschlagen. So kann man beispielsweise auch als Selbständiger in Teilzeit arbeiten, mit einer sogenannten Teilzulassung. Das ist sicherlich gerade für junge Ärztinnen und Ärzte mit kleineren Kindern eine interessante Möglichkeit, die mehr Freiraum für die Familie lässt.

esanum: Was ist Hauptantrieb für junge Menschen, den Arztberuf zu ergreifen?

Stahl: In Gesprächen mit jungen Medizinern hören wir immer wieder, dass ihr Hauptantrieb ist, anderen Menschen helfen zu wollen. Sie wollen für Ihre Patienten da sein und sich Zeit für die Behandlung nehmen. Als niedergelassener Arzt haben Sie eine ganz besondere Beziehung zu ihren Patienten. Anders als im Krankenhaus begleiteten sie diese oft über viele Jahre. Dieser vertrauensvolle Arzt-Patienten-Kontakt ist auch für den medizinischen Nachwuchs von großer Bedeutung und ein besonderer Anreiz des Berufs.

esanum: Empfinden Sie die Bezahlung für Ärzte mit einer eigenen Praxis als leistungsgerecht?

Stahl: Die gesetzlichen Krankenkassen stellen für die Behandlung ihrer Versicherten nur eine begrenzte Menge Geld zur Verfügung. Das hat zur Folge, dass ein Arzt nicht alle erbrachten Leistungen zu festen und kostendeckenden Preisen vergütet bekommt. Das ist sicherlich nicht leistungsgerecht. Gerade für junge Mediziner ist die wirtschaftliche Sicherheit ein bedeutender Faktor. Deshalb steht weiterhin unsere Forderung nach einer festen und kostendeckenden Vergütung für unsere Leistungen.

Foto: Lopata/Axentis

Interview: Volker Thoms