Über Attraktivitätswahrnehmung und steigende Diversität in der Plastischen Gesichtschirurgie

Eine US-amerikanische Studie untersucht erstmals den Zusammenhang zwischen ethnischer Herkunft und Attraktivitätswahrnehmung. Sie reflektiert dabei nicht nur auf unterschiedliche ethnische Patientengruppen, sondern auch auf die steigende Diversität innerhalb der Community der Plastischen Gesichtschirurgie.

Studie zeigt: Bewusstsein für kulturelle Differenzen ist unverzichtbar

Eine in der heutigen Ausgabe von "JAMA - Facial Plastic Surgery" veröffentlichte US-amerikanische Studie untersucht erstmals den Zusammenhang zwischen ethnischer Herkunft und Attraktivitätswahrnehmung. Sie reflektiert dabei nicht nur auf unterschiedliche ethnische Patientengruppen, sondern auch auf die steigende Diversität innerhalb der Community der Plastischen Gesichtschirurginnen und -chirurgen, um für kulturell differierende Wahrnehmung und Schönheitsstandards bislang marginalisierter Gruppen zu sensibilisieren. 

Nach Angaben der Amerikanischen Akademie für plastisch-rekonstruktive Gesichtschirurgie ist die Nachfrage an kosmetischen Korrekturen unter Personen asiatisch-amerikanischer Herkunft zwischen 1999 und 2001 um 200 Prozent angestiegen. Bei Personen lateinamerikanischer und afroamerikanischer Herkunft liegen die Prozentsätze mit 323 und 340 Prozent sogar noch höher.

Die steigende Nachfrage durch diese ethnischen Gruppen ist besonders deshalb von Interesse für die Gesichtschirurgie, weil sie einige der beliebtesten kosmetischen Eingriffe betreffen, wie zum Beispiel Nasen- und Lidkorrekturen sowie die Behandlung mit Fillern.

Steigende Diversität korreliert mit demografischen und wirtschaftlichen Veränderungen

Personen afroamerikanischer und lateinamerikanischer Herkunft verlangen mit 80 bzw. 65 Prozent nach einer Rhinoplastik, während Personen asiatisch-amerikanischer Herkunft Lid- oder Nasenkorrekturen (44 bzw. 41 Prozent) durchführen lassen. Die weiße Bevölkerung hingegen verlangt am häufigsten nach Facelifting (40 Prozent). Dabei reflektieren Veränderungen in der demografischen Zusammensetzung von Patientinnen und Patienten der plastischen Gesichtschirurgie auch Veränderungen im Bevölkerungswachstum und wirtschaftliche Verbesserungen unter ethnischen Minderheiten.

Gesichtsmerkmale beeinflussen bekanntermaßen die Zuschreibung positiver oder negativer Persönlichkeitsmerkmale, was beispielsweise Auswirkungen auf die akademische Karriere, soziale Zugehörigkeit oder Beschäftigungschancen nach sich ziehen kann. So können Gesichtskorrekturen sowohl Selbst- als auch Fremdwahrnehmung und Interaktionen im sozialen Umfeld positiv beeinflussen. Am Beispiel der Rhinoplastik hat eine 2018 veröffentlichte US-amerikanische Studie belegt, dass Patientinnen und Patienten postoperativ von zufälligen Betrachtern als attraktiver, erfolgreicher und gesünder wahrgenommen wurden.

In der aktuellen Ausgabe von JAMA Facial Plastic Surgery liefert das Forschungsteam um H. Darrach einen ganz signifikanten Beitrag zur Literatur, der sich mit der Fremdwahrnehmung von Personen nach Rhinoplastik beschäftigt und dabei ethnische Aspekte mit einbezieht. Mit Hilfe von Eye-Tracking-Technologien und Umfragemethoden wurde untersucht, wie der "Other-Race-Effect" (ORE) die Wahrnehmung beeinflusst. Die Studie ist besonders wichtig, weil sie erstmalig diesen Faktor berücksichtigt. ORE beschreibt ein Phänomen, demgemäß Individuen die höchsten Wiedererkennungsraten bei Gesichtern zeigen, die der eigenen ethnischen Herkunft entsprechen. Das gegenteilige Phänomen wird als Cross-Race Effekt bezeichnet und beschreibt die vergleichsweise schlechtere Wiedererkennungsleistung von Fremd-Gruppen-Gesichtern. Obwohl es auch Hinweise auf Unterstützung bestimmter kulturübergreifender Schönheitsmerkmale gibt, liefert die Studie von Darrach et al. Pro-Argumente für ORE oder weist zumindest auf unterschiedliche ästhetische Vorlieben hin: So stellten beispielsweise Personen lateinamerikanischer Herkunft keine gesteigerte Attraktivität in hellhäutigen Gesichtern nach Rhinoplastik fest.

Ethnische Herkunft beeinflusst visuelle Aufmerksamkeit und Attraktivitätswahrnehmung

In der Vergangenheit gab es lange Zeit keine breite Akzeptanz für ästhetische Chirurgie unter ethnischen Gruppen, da die Durchführung kosmetischer Korrekturen eben mit der Aufgabe spezifischer ethnischer Merkmale gleichgesetzt wurde. Die Inklusion einer steigenden Anzahl unterschiedlicher ethnischer Gruppen im Bereich der ästhetischen Medizin sollte daher ermöglichen, ein differenzierteres Verständnis von Attraktivität zu entwickeln. So ist schließlich auch auf Seiten der plastischen Gesichtschirurgie ein größeres Bewusstsein dafür entstanden, dass kosmetische Korrekturen den kulturell geprägten ästhetischen Empfindungen der Patientinnen und Patienten Rechnung tragen und auf ausgeglichene und möglichst natürlich wirkende Ergebnisse abzielen sollten. Veränderungen in der Physiognomie, die einen signifikanten Verlust bestimmter ethnischer Merkmale nach sich ziehen, können zu einem wesentlich verminderten Selbstbild der Patientinnen und Patienten führen und werden aus diesem Grunde im Allgemeinen nicht mehr angestrebt. Aus dieser Entwicklung heraus resultiert, dass kosmetische Operationen auch innerhalb der verschiedenen ethnischen Gruppen nicht länger als Zeichen von Ablehnung den eigenen Herkunftsmerkmalen gegenüber aufgefasst werden.

Obwohl Einigkeit darüber herrscht, dass kein allgemeingültiger Schönheitsstandard existiert, ist ein normativer Standard dominant, der helle Haut bevorzugt. Darrach et al. konnten in ihrer Studie zeigen, dass Teilnehmende aller Herkünfte längere Blickverweildauern bei hellhäutigen als bei lateinamerikanischen Gesichtern zeigten, was im Zusammenhang mit kultureller Anpassung stehen könnte. Diese Ergebnisse stellen das ORE Phänomen nicht in Frage, sie unterstreichen allerdings die Notwendigkeit, bei kosmetischen Korrekturen die jeweiligen Bezugsrahmen der Patientinnen und Patienten mit zu berücksichtigen und auch über die Ziele kosmetischer Gesichtskorrekturen aufzuklären.

Vielfalt ästhetischer Prioritäten soll zukünftig mehr Beachtung finden

Die Studie von Darrach et al. reflektiert nicht nur auf die steigende Diversität innerhalb der Klientel von Patientinnen und Patienten, sondern ebenso auf die Community der Plastischen Gesichtschirurgie; denn diese ist als solche die Basis für die kontinuierliche Zusammenarbeit von Gesichtschirurginnen und -chirurgen ganz unterschiedlicher Hintergründe und Herkünfte - besonders unter dem Gesichtspunkt kulturell differierender Wahrnehmung und Schönheitsstandards.

Weitere Studien mit ähnlicher methodologischer Herangehensweise könnten zukünftig dazu beitragen, auch bislang marginalisierten Gruppen zu erlauben, ihre ästhetischen Prioritäten zum Ausdruck zu bringen.

Quellen:

Jason E. Cohn, DO; Oneida A. Arosarena, MD: Perceiving Attractiveness and the Increasing Diversity in Facial Plastic Surgery. Published Online: January 10, 2019. doi:10.1001/jamafacial.2018.1773

American Academy of Facial Plastic and Reconstructive Surgery: https://www.aafprs.org/

Sturm-O’Brien AK, Brissett AE, Brissett AE.: Ethnic trends in facial plastic surgery. Facial Plast Surg. 2010;26(2):69-74. doi:10.1055/s-0030-1253496

Nellis JC, Ishii M, Bater KL, et al. Association of rhinoplasty with perceived attractiveness, success, and overall health. JAMA Facial Plast Surg. 2018; 20(2):97-102. doi:10.1001/jamafacial.2017.1453

Darrach H, Ishii LE, Liao D, et al. Assessment of the influence of “other-race effect” on visual attention and perception of attractiveness before and after rhinoplasty [published online January 10, 2019]. JAMA Facial Plast Surg. doi:10.1001/ jamafacial.2018.1697

Wimalawansa S, McKnight A, Bullocks JM. Socioeconomic impact of ethnic cosmetic surgery: trends and potential financial impact the African American, Asian American, Latin American, and Middle Eastern communities have on cosmetic surgery. Semin Plast Surg. 2009;23(3):159-162. doi: 10.1055/s-0029-1224793