Aus Sicht eines Intensivpflegers: was jetzt getan werden müsste

Am Wochenende habe ich mit Christian gesprochen. Er arbeitet seit sieben Jahren als Intensivkrankenpfleger in Berlin. Letzte Woche hat er auf einer Corona-Station der Berliner Charité Dienst gehabt.

"Diejenigen, die die Corona-Fälle betreuen, arbeiten am Limit"

Am Wochenende habe ich mit Christian gesprochen. Er arbeitet seit sieben Jahren als Intensivkrankenpfleger in Berlin. Beschäftigt ist er über eine Leasing-Firma. Letzte Woche hat er auf einer Corona-Station der Berliner Charité Dienst gehabt. Wir haben uns darüber unterhalten, unter welchen Bedingungen die Pflege derzeit stattfindet und was seiner Meinung nach, auch über die aktuelle Situation hinaus, getan werden müsste, um die Arbeitsbedingungen zu verbessern.

Du warst in der letzten Woche auf einer Corona-Station im Dienst. Wie würdest du dein Arbeitsgefühl beschreiben?

Also diejenigen, die die Corona-Fälle betreuen, arbeiten am Limit. Zumindest war das bei mir in den letzten Tagen so. Die Tage sahen so aus, dass ich die Zeit vom Dienstantritt bis zum Ende meines Dienstes in dem Zimmer verbracht habe, in dem ich Dienst hatte - mit Schutzkleidung und allem drum und dran. Ohne Unterbrechung.

Das heißt, du trägst die ganze Zeit über Schutzkleidung und bist so vor einer Infektion geschützt. Hast du trotzdem Angst davor, dich anzustecken?

Ich kann mich schützen. Optimal wäre es natürlich, wenn ich eine FFP-2 oder FFP-3 Schutzmaske nach zwei Stunden wechseln könnte, das geht aber nicht. Die gibt es mittlerweile auf Zuteilung, das ist in jedem Krankenhaus so. Wenn du so wie ich den ganzen Tag in diesem Zimmer verbringst, dann bekommst du zwei Masken. Angst vor Ansteckung habe ich nicht. Ich würde sagen, ich habe Respekt davor, mich anzustecken, aber ich vertraue den Schutzmaßnahmen, die wir auf der Station haben. Eine korrekte Handdesinfektion, ein sorgfältiger Umgang mit der Schutzausrüstung – ich weiß, wie das zu handhaben ist. Außerdem ist das Ansteckungsrisiko relativ gering, wenn man es, wie ich letzte Woche, mit geschlossenen Beatmungssystemen zu tun hat.

Welche Entwicklung erwartest du für die nächste Zeit?

Schwer zu sagen. Ich glaube, es hätte härterer Maßnahmen bedurft in der Vergangenheit. Jetzt ist es dafür zu spät. Ich glaube, dass es in der nächsten Zeit noch einmal zu einem ordentlichen Anstieg kommen wird. Entweder dadurch, dass die Maßnahmen gelockert werden oder dadurch, dass die Menschen sich die Freiheit nehmen werden, sie selbst zu lockern.

Sind die Kliniken für einen weiteren Anstieg der Erkrankungen ausgerüstet?

Ich denke, dass das, was wir haben, nicht ausreicht, um sich gut gerüstet zu fühlen. Ob es dann letzten Endes reichen wird, kann man nicht vorhersagen. Aber es geht ja auch vor allem darum, ob man sich gut ausgerüstet fühlt oder nicht. Und das hängt nicht nur von der Anzahl der Intensivbetten ab, sondern von sehr viel mehr. Also wenn zum Beispiel sedierende Medikamente rationiert sind, weil es davon nicht genug gibt oder wenn Atemschutzmasken rationiert sind oder wenn es zu wenig Beatmungssysteme gibt, dann können wir so viel Betten haben wie wir wollen. Wenn es die Sachen nicht gibt oder wenn Firmen, wie schon erlebt, nicht liefern können, dann nützt mir das Bett auch nichts.

Gibt es denn überhaupt genug Intensivpflegekräfte?

Davon gab es ja vorher schon nicht genug. Und die Intensivpatientinnen und -patienten, die es schon vor der Corona-Krise gab, fallen ja nicht einfach weg. Also diejenigen, die aus anderen Gründen intensivmedizinische Betreuung benötigen. Wenn es nur um die Corona-Krise ginge, wären wir gut ausgerüstet. Die Corona-Fälle kommen noch on top. Und jetzt gibt es ja diese Intensivpflege-Kurse, einwöchige Crash-Kurse, in denen Pflegekräfte aus anderen Bereichen für die Intensivpflege ausgebildet werden und den Umgang mit Schwerkranken und Beatmungsgeräten lernen sollen. Das ist fatal. Die Leute fühlen sich unsicher, die werden einfach da reingeschubst und sollen dann Menschen betreuen, die wirklich sehr, sehr schwer krank sind. Das ist ja auch ein Berufsfeld, in das du niemand reindrücken kannst. Oder es kommen Studierende als Hilfen, die dann mit lagern helfen sollen. Das ist eben auch nicht für jeden was.

Bezogen auf deine Arbeit an der Charité letzte Woche: Hast du das Gefühl, dass die Kapazitätsgrenzen da schon erreicht sind oder ist da noch Luft nach oben?

Es gibt dort eine hohe Fluktuation an Patientinnen und Patienten. Die kommen und gehen, man muss nicht lange auf sie warten. Aber wenn dorthin noch mehr schwere Fälle kommen, dann ist auf dieser Station, auf der ich war, die Grenze schnell erreicht.

Was wünschst du dir in der jetzigen Situation von offizieller Seite?

Von journalistischer und politischer Seite sollte auf jeden Fall Panikmache vermieden werden. Es gibt so viele Fake News im Umlauf – man sollte versuchen, die Menschen von den Fakten zu überzeugen, die wir haben. Und das sind nun mal nicht so viele. Und auch zu Unsicherheiten zu stehen. Im Speziellen und für die Krankenhäuser besonders, ist es nicht damit getan, dass jetzt Leute schnell ausgebildet und auf die Intensivstationen geschickt werden, wenn schon die Luft brennt. Da sind die Fehler schon so viel früher gemacht worden, dass man die jetzt nicht einfach ausbügeln kann. Um diejenigen zu schützen, die da jetzt arbeiten, könnte ich mir vorstellen, dass die Bundesregierung bestimmt, dass Firmen, die Ressourcen haben, um etwas herzustellen, das jetzt auch tun. Seien es etwa geschlossene Absaugsysteme, Beatmungssysteme oder Schutzbekleidung und Schutzmasken. Ich glaube, es sollte Firmen geben, die zum Beispiel in Deutschland Schutzmasken herstellen. Und das möglichst schnell, so dass nicht in China produziert wird und die Lieferungen dann abgefangen werden. Das kostet vielleicht mehr, aber es sind uns so viele Dinge etwas wert – nur Schutz, Gesundheit, Prävention nicht. Das sollte sich in Zukunft ändern.

Das Pflegepersonal wurde ja jetzt doch sehr gefeiert. Es wurde den Heldinnen und Helden des Alltags applaudiert. Was hältst du davon?

Also es ist schon ganz schön, wenn sich Leute auf den Balkon stellen und mal applaudieren. Und zwar nicht nur für Krankenschwestern und Krankenpfleger, sondern für alle Berufsgruppen, die, wie das so schön heißt, systemrelevant sind. Aber davon kann keine Pflegekraft Miete bezahlen und davon geht auch keine Ärztin und kein Arzt oder keine therapeutische Kraft gestärkt nach Hause nach so einem Dienst. Da müssen ganz andere Maßnahmen ergriffen werden, und zwar politische. Und das fängt für mich damit an, dass Krankenhäuser in staatliche Hand gehören. Die Gehälter des medizinischen Personals sollten nicht dem Gewinnanspruch einer Klinikkette unterworfen werden. 

An welche Maßnahmen denkst du dabei?

Was speziell die Krankenpflege betrifft, muss eine Aufwertung des Berufsstandes stattfinden, eine Professionalisierung. Meiner Meinung nach sollte die Ausbildung definitiv akademisch erfolgen. Es sollte mehr systemische und gesellschaftliche Wertschätzung geben, und die Krankenpflege sollte sich definitiv besser organisieren – als eigenständige Gewerkschaft. Historisch gesehen haben Pflegekräfte schon immer eine Haltung gehabt die besagt: Mein Lohn ist, dass ich dir helfen darf. Und das muss aufhören. Es muss ein Konzept her, wie dieser Berufsstand professionalisiert werden kann.

So langsam gibt es ja auch duale Studiengänge, aber noch viel zu wenig. Studien im Bereich der Pflege, evidenzbasierte Pflege – das ist alles erst ganz langsam im Kommen. Da muss was passieren auf der Bildungsebene. Die Pflege ist eine Arbeit am Menschen, und du schlägst die Hände über dem Kopf zusammen, wenn du siehst, welche Entscheidungen wir treffen müssen. 

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