Bioinspiration: effizientere Immuntherapie durch künstliche Spinnenseide

Im Rahmen von Forschungsarbeiten wurden aus künstlicher Spinnenseide Transportpartikel entwickelt, die in der Lage sind, die Effizienz von Immuntherapien gegen Krebs oder Tuberkulose signifikant zu steigern.

Natur ist Vorbild für neue Biotechnologien 

Spinnenseide gewährleistet, dass spezielle medizinische Wirkstoffe unbeschädigt ins Zentrum von Immunzellen gelangen und hier ihre volle Wirkung entfalten können. Forscher der Universität Bayreuth, der LMU München sowie der Universitäten Genf und Freiburg in der Schweiz haben zusammen mit der Firma AMSilk aus künstlicher Spinnenseide Transportpartikel entwickelt, die in der Lage sind, die Effizienz von Immuntherapien gegen Krebs oder Tuberkulose signifikant zu steigern. Sie können zudem für vorbeugende Impfungen gegen Infektionskrankheiten oder für die Impfstoff-Lagerung in den Tropen eingesetzt werden. In der Zeitschrift Biomaterials stellen die Wissenschaftler ihre Entdeckung vor.

Effiziente Immuntherapien gegen Krebs und Tuberkulose

"Die biotechnologisch hergestellten Biopolymere der Spinnenseide, aus denen wir die neuen Transportpartikel im Labor gefertigt haben, sind ungiftig, lösen keine Immunreaktion aus und haben keinerlei andere schädliche Auswirkungen auf den Organismus", erklärt Prof. Dr. Thomas Scheibel, Inhaber des Lehrstuhls für Biomaterialien an der Universität Bayreuth. Das deutsch-schweizerische Forscherteam hat diese Vorteile der Spinnenseide genutzt, um eine Hürde zu beseitigen, die einigen immuntherapeutischen Verfahren bisher im Weg stand. Damit das Immunsystem des Menschen gegen bereits ausgebrochene Krebs- oder Tuberkuloseerkrankungen aktiv werden kann, ist es erforderlich, bestimmte Immunzellen – die T-Lymphozyten – zu stimulieren. Dafür muss ein Peptid in die Zellen eingebracht werden. Diesen Wirkstoff auf dem üblichen Weg in den Blutkreislauf zu injizieren, ist wenig effizient. Denn so wird das Peptid größtenteils im Organismus abgebaut, noch bevor es die Immunzellen erreicht. In Spinnenseide verpackt, gelangt es jedoch sicher ans Ziel.

Die Wissenschaftler betonen, dass es bis zur Anwendung in der klinischen Praxis noch ein langer Weg ist. "Eine Vielzahl weiterer Tests ist nötig, bis die Wirkstoff-Transporter tatsächlich bei der Behandlung schwerer Erkrankungen eingesetzt werden dürfen. Aber unsere bisherigen Forschungsergebnisse sind vielversprechende Schritte auf diesem Weg", betont Scheibel. Zusätzliche Adjuvanzien, die derzeit manche Immuntherapien unterstützen, würden dann möglicherweise nicht mehr benötigt werden.

Neue Chancen für die Präventionsmedizin

Auch in der präventiven Medizin eröffnen sich viele Anwendungsmöglichkeiten. Die neuen 'Wirkstoff-Taxis' eignen sich nämlich ebensogut, um Impfstoffe zielgenau in die B-Lymphozyten einzuschleusen. Diese Immunzellen lösen die Produktion von Antikörpern aus, die fähig sind, Erreger von Infektionskrankheiten zu erkennen und unschädlich zu machen. In vielen Ländern der Erde, beispielsweise in den tropischen Regionen Afrikas, stellt die Aufbewahrung von Impfstoffen allerdings noch immer ein großes Problem dar. Denn werden die Impfstoffe hohen Lufttemperaturen ausgesetzt, sinkt ihre Wirksamkeit. Doch die Transporteure aus Spinnenseide haben sich im Labor als außerordentlich widerstandsfähig erwiesen: Sie halten über mehrere Stunden sogar Temperaturen von mehr als 100 Grad Celsius stand und sind in der Lage, die Impfstoffe vor zu starker Temperatur- und Lichteinwirkung zu schützen. So wird Spinnenseide in den Tropen dazu beitragen können, dass die Vorratshaltung von Impfstoffen – beispielsweise im Rahmen breit angelegter Präventionsprogramme – nicht an ungünstigen Klimabedingungen scheitert.

Ein weiterer Forschungserfolg: Transport größerer Antigene

Vor kurzem ist es gelungen, das medizinische Anwendungsspektrum der Wirkstoff-Transporter in einem wichtigen Punkt zu erweitern. Bisher eigneten sie sich nur für die Verpackung kleiner Partikel. Das Forscherteam an der Universität Bayreuth hat sie aber so weiterentwickelt, dass sie auch größere Antigene, zum Beispiel ganze Proteine, aufnehmen und kontrolliert wieder frei setzen. Diese Studie ist in ACS Biomaterials Science & Engineering erschienen.

Von der Natur inspiriert

Die beiden neuen Studien folgen einer wissenschaftlichen Grundidee, die in der Biomedizin und anderen Wissenschaftszweigen immer stärker an Bedeutung gewinnt: Die Natur wird zum Vorbild für Innovationen, die sich an einem hohen Nutzen für die Menschen orientieren. Scheibel bringt es auf den Punkt: "Dieser Ansatz hat einen Namen, der prägnant ausdrückt, was unsere Forschungsarbeiten zum Erfolg geführt hat: Bioinspiration."

Quelle: Universität Bayreuth