Broschüre soll Krankenhauspatienten zu Nachfragen animieren

Patienten sollen mithelfen, Fehler im Krankenhaus zu vermeiden. Lieber zu viel als zu wenig nachfragen, lautet der Rat einer neuen Broschüre. Eine sinnvolle Idee – oder doch eher absurd? Den 

Patienten sollen mithelfen, Fehler im Krankenhaus zu vermeiden. Lieber zu viel als zu wenig nachfragen, lautet der Rat einer neuen Broschüre. Eine sinnvolle Idee – oder doch eher absurd?

Den Tupfer in der Wunde vergessen, die falsche Stelle aufgeschnitten, Medikamente verwechselt, die Hände nicht desinfiziert oder zwei Herr Müllers verwechselt: “Krankenhäuser sind Hochrisikobereiche, wie Atomkraftwerke oder der Luftverkehr”, sagt Hartmut Siebert vom Aktionsbündnis Patientensicherheit.

Internationalen Studien zufolge kommt es bei fünf bis zehn Prozent aller Krankenhaus-Behandlungen zu einer Panne – von folgenlos bis tödlich. Etwa die Hälfte davon gilt aus vermeidbar. Bekannt werden die Fälle nur, wenn Patienten sich beschweren: Bei ihrer Kasse oder Versicherung, Schlichterstellen der Ärzteschaft oder einem Anwalt.

Auch wenn man deren Zahlen addiert, sieht man, sagt Siebert, “nur die Spitze des Eisbergs”. Das Aktionsbündnis Patientensicherheit fordert seit langem eine Meldepflicht und ein Zentralregister.

Wie kann man Fehler vermeiden? Hessens Sozialminister Stefan Grüttner (CDU) sieht zwei Ansatzpunkte: Zum einen müssten die Kliniken eine Kultur schaffen, in der Fehler nicht verheimlicht, sondern öffentlich gemacht werden, damit man aus ihnen lernen kann. Zum anderen brauche man aufgeklärte, mündige Patienten, die den Mut haben, den Mund aufzumachen, wenn ihnen etwas komisch vorkommt.

Hessen will 2017 allen Patienten eine einheitliche Broschüre an die Hand geben, wie sie selbst mithelfen können, Fehler im Krankenhaus zu vermeiden. Es ist die erste bundesweite Initiative dieser Art in einem Flächenland, wie Siebert sagt. Aufgeklärt wird über Hygiene, Medikamente, Stürze, Schmerzen, Untersuchungen und vieles mehr. Wichtigster Rat: “Fragen Sie bei Unsicherheit lieber einmal zu viel als einmal zu wenig nach. Dies ist ein wesentlicher Beitrag zu Ihrer Sicherheit!”

Drei Kliniken in Wiesbaden, Fulda und Offenbach haben “Sicher im Krankenhaus – Ein Ratgeber für Patienten” in der Pilotphase einen Monat lang an 500 Testpatienten verteilt. Die Ergebnisse seien “durchaus positiv”, sagt der Geschäftsführer der Asklepios Paulinen Klinik in Wiesbaden, Ulrich Schulze: “Die Patienten hatten weniger Scheu, aktiv nachzufragen.” Und das Personal, das eine Flut von Fragen erwartet hatte, berichtete nicht von mehr, sondern nur von zielgerichteteren Gesprächen.

An der Ausarbeitung der 22-Seiten-Broschüre war neben dem Ministerium und dem Aktionsbündnis auch die Techniker Krankenkasse (TK) beteiligt. Barbara Voß, Leiterin der TK-Landesvertretung, berichtete von mehr als 4000 anerkannten Behandlungsfehlern, die der Medizinische Dienst der Krankenkassen 2015 bundesweit gezählt hat – in 205 Fällen waren sie tödlich. 14 Mal wurde ein falsches Körperteil operiert, weitere 14 Mal der ganze Patient verwechselt.

Siebert vom Aktionsbündnis Patientensicherheit findet die Idee, einen landesweit einheitlichen Leitfaden zu verteilen, eine großartige Initiative. “Respekt, Herr Minister!” Es gibt auch andere Stimmen: “Eine Hochglanzbroschüre verhindert keine Behandlungsfehler. Hier bei den Patienten anzufangen, stellt den Patientenschutz auf den Kopf”, findet Eugen Brysch von der Deutschen Stiftung Patientenschutz. Verantwortlich seien Ärzte und das Krankenhauspersonal. Die Idee, Patienten zur Kontrolle des Krankenhauspersonals anzuhalten, findet Brysch “absurd”.

Die Landesärztekammer zeigte sich überrascht von dem Vorstoß aus Wiesbaden – sie war in die Aktion des Ministeriums nicht eingebunden. “Grundsätzlich ist das zu begrüßen, wenn man sich um Patientensicherheit bemüht”, kommentierte Kammerpräsident Gottfried von Knoblauch zu Hatzbach, “aber es wäre sinnvoll, wenn man nicht jedes Mal das Rad neu erfinden würde”. Am 17. September ist “Internationaler Tag der Patientensicherheit”.

Text und Foto: dpa /fw