Bundesregierung plant Herz-Kreislauf-Strategie

Die Bundesregierung hat bei der "Diabetes 2030" ihre Nationale Herz-Kreislauf-Strategie vorgestellt. Sie soll die Verhältnisprävention stärken und eine suboptimale medikamentöse Therapie, insbesondere bei der Behandlung von Adipositas, verhindern.

Bei der Präventionspolitik fehlen weitere Maßnahmen

Die im internationalen Vergleich schlechten Daten Deutschlands bei der Morbidität und Mortalität von Herz-Kreislauf-Erkrankungen soll politische Konsequenzen haben. Das Bundesgesundheitsministerium plant, in diesem Herbst Eckpunkte für eine Nationale Herz-Kreislauf-Strategie vorzulegen, so BMG-Abteilungsleiter Thomas Müller.

In der Präventionspolitik habe der Fokus bislang auf der Verhaltensprävention gelegen, die Möglichkeiten der Verhältnisprävention seien wenig genutzt worden. Dies habe inzwischen zu einer Rüge der WHO geführt, insbesondere weil Deutschland im Unterschied zu anderen Ländern die Möglichkeiten von Werbeverboten und der Steuerpolitik für ungesunde Produkte nicht konsequent anwende. Auch die Qualität der medikamentösen Behandlung, insbesondere auch in Vor- und frühen Stadien von Diabetes sowie Herz-Kreislauferkrankungen, liege im internationalen Vergleich am unteren Ende.

Auch Adipositas kommt in den Fokus

In diesem Zusammenhang werde auch eine Strategie gegen Adipositas eine bedeutende Rolle spielen. Die Verhaltensprävention sei hier an ihre Grenzen gestoßen, gesundheitsbewusstes Verhalten sehr dauerhaft schwer durchzuhalten. Pläne der Bundesministerien für Gesundheit und Ernährung – etwa Werbeverbote oder -einschränkungen – würden allerdings auf erhebliche Widerstände treffen. Gleichwohl werde es einen Paradigmenwechsel von der Verhaltens- und Verhältnisprävention geben.  

Auf Nachfrage stellte Müller auch eine Überprüfung des Negativlisten-Paragrafen 34 Absatz 1 SGB V in Aussicht. Darin sind „insbesondere“ Arzneimittel als GKV-Leistung ausgeschlossen, die überwiegend zur Abmagerung oder Zügelung des Appetits und zur Regulierung des Körpergewichts dienen. Davon betroffen sind auch hochwirksame neuere GLP-1-Agonisten, die das Körpergewicht bei Adipositas signifikant senken. Diese Arzneimittel dürfen von Kassen nur dann bezahlt werden, wenn bereits eine Diabetes-Erkrankung manifest geworden ist. Müller stellte allerdings auch klar, dass die Lifestyle-Regelung insgesamt weiterhin eine sinnvolle Leistungseinschränkung sei, wenn es um die eigenverantwortliche und individuell beeinflussbare Lebensführung gehe. Wie die Entscheidung des Gesetzgebers ausgehe, hänge wesentlich davon ab, welche harten Endpunkte erreicht werden können, was in derzeit noch laufenden Studien untersucht wird.  

Schlechte Versorgung bei Vor- und Frühstadien von Diabetes

Aus Patientensicht ist das Leben mit Diabetes, der Umgang und die Bewältigung der Krankheit eine "olympische Disziplin", die angesichts existierender Hürden in der Versorgung, etwa bei der Organisation von Terminen bei Ärzten und anderen Therapeuten erhebliche Anstrengungen erfordert, berichtete Stephanie Haack, die seit 14 Jahren an Diabetes erkrankt ist. Haack beklagte insbesondere den schwierigen Zugang zu modernen Technologien und Devices und die restriktive Erstattungspraxis der Krankenkassen. Dies gelte insbesondere in frühen Stadien der Erkrankung. Die Krankenkassen dächten viel zu sehr in kurzfristigen, auf das jeweilige Jahresbudgets bezogenen Kategorien.

Bestätigt wurde dies vom stellvertretenden Vorstandsvorsitzenden der IKK Classic, Kai Swoboda. Diabetes verursache nicht nur hohen Leidensdruck, sondern sei auch wirtschaftlich eine bedeutende Belastung. Seine Krankenkassen gebe 21 Prozent des Gesamtbudgets allein für die Versorgung von Diabetikern aus, pro Patient 7000 bis 8000 Euro im Durchschnitt pro Jahr. Angesichts dieser Kosten kommen die Prävention, die frühe Behandlung, aber auch Kooperation und Vernetzung in der Versorgung viel zu kurz.

Klinische Forschung leidet unter Bürokratie und Datenschutz

Aus Sicht der Industrie sind gravierende Mängel in der Digitalisierung des Gesundheitswesens, die Anwendung des Datenschutzes im föderalen Staatssystem und eine langsame Bürokratie eine ernsthafte Gefahr für den Forschungsstandort Deutschland. Seit 2015 ist Deutschland im Ranking der klinischen Studien weltweit von Platz 2 auf Platz 6 gesunken. 70 Prozent der forschenden Unternehmen erwarten laut einer Umfrage des Verbandes forschender Pharma-Unternehmen (vfa), dass Deutschland in der klinischen Forschung weiter an Bedeutung verlieren werde, so Thorsten Ruppert vom vfa. Die jetzt vorliegenden Gesetzentwürfe zur Digitalisierung und zur Datennutzung für die Forschung seien nicht ausreichend, wieder an die Spitzenposition zurückzukehren.

"Da sind wir viel optimistischer", widersprach der BMG-Spitzenbeamte Thomas Müller. Derzeit werde in seinem Ministerium ein Medizinforschungs-Gesetz vorbereitet, das in der Bundesregierung, auch beim Kanzler selbst, eine hohe Priorität habe. Darüber hinaus kündigte Müller eine Überprüfung der mit dem GKV-Finanzstabilisierungsgesetz eingeführten Extra-Rabatte auf AMNOG-Arzneimittel an; das werde mit dem Bundestag Anfang 2024 geschehen.

Vor dem Hintergrund der sich abzeichnenden politischen Veränderungen, insbesondere der Schaffung einer Nationalen Herz-Kreislauf-Strategie, will das Unternehmen Novo seinen Diskurs mit Gesellschaft und Politik verstärken: In Workshops und Roundtables sollen Ziele und Forderungen erarbeitet werden, wie die Versorgung  chronisch kranker Menschen verbessert werden können – die Ergebnisse werden im September 2024 bei einem weiteren Symposion "Diabetes 2030" vorgestellt werden.